Mozart. Karl Storck
Die Tochter hatte ein so ausgesprochenes Talent zur Musik bewiesen, daß der Vater sehr früh ihren Unterricht am Klavier begann. Das machte auf den damals dreijährigen Knaben einen sehr starken Eindruck. »Er zeigte schon da sein außerordentliches Talent. Er unterhielt sich oft lange beim Klavier mit Zusammensuchen der Terzen, welche er dann immer anstimmte und seine Freude darüber bezeigte, diese Harmonie gefunden zu haben. Im vierten Jahre seines Lebens fing sein Vater gleichsam spielend an, ihn einige Menuetts und andere Stücke auf dem Klavier zu lehren, freie Sachen, die dem Lehrer ebenso leicht wurden als dem Lehrling. Zu einem Menuett brauchte er eine halbe Stunde, um es zu lernen und es dann mit der vollkommensten Nettigkeit und mit dem festesten Takte zu spielen. Von nun ab machte er solche Fortschritte, daß er in seinem fünften Jahre schon kleine Stücke komponierte, die er seinem Vater vorspielte und von diesem zu Papier bringen ließ.« (Schlichtegroll.) Der Vater schrieb diese Kompositionen in Mariannes Klavierbuch ein und vermerkte dabei genau das Datum des Entstehens. Dieses Klavierbuch befindet sich im Mozarteum zu Salzburg. Das früheste Stück Wolfgangs trägt die Jahreszahl 1761. Ein kleines Menuett; zur zierlichen Melodie spielt die Linke die zur Dezime gedehnte Terz als Begleitung. Die Formgebung dieser Schöpfung eines Fünfjährigen ist untadelig; nicht einmal als Kind hat Mozart formale Schwierigkeiten gekannt; schon jetzt fand er die vollgültige Ausdrucksform für das, was er sagen wollte. Bezeichnend ist auch, daß, wie der Benediktinerpater Scharl erzählt, schon des Kindes »Passion« das Phantasieren war. Es ist uns vielfach berichtet, daß das freie Phantasieren auf Klavier oder Orgel noch in späteren Zeiten Mozarts unvergleichlichste Leistung geblieben ist und die höchste Offenbarung seines Genies. Wie ernst schon das Kind Musik aufnahm, bezeugt der Vater 1778 dem Sohne in einem Brief vom 16. Februar: »Als Kind und Knabe warst Du mehr ernsthaft als kindisch, und wenn Du beim Klavier saßest oder sonst mit Musik zu tun hattest, so durfte sich niemand unterstehen, Dir den mindesten Spaß zu machen. Ja, Du warest selber in Deiner Gesichtsbildung so ernsthaft, daß viele einsichtsvolle Personen wegen dem zu früh aufkeimenden Talente und Deiner immer ernsthaften und nachdenkenden Gesichtsbildung für Dein langes Leben besorgt waren.«
Wir können im übrigen für die Schilderung dieser ersten Entwicklungszeit des Kindes nichts Besseres tun, als den durch seine Treuherzigkeit und die Unmittelbarkeit des Ausdrucks überzeugenden Brief Schachtners hier vollständig wiederzugeben.
»Hochwohledelgeborene gnädige Frau! Deroselben sehr angenehmes Schreiben traf mich nicht in Salzburg, sondern in der Hammerau an, wo ich eben bei meinem Sohne, dortigen Mitbeamten beim Oberverwesamt, auf einem Besuch war. Aus meiner sonstigen Willfährigkeit gegen jedermann und besonders gegen das Mozartsche Haus können Sie schließen, wie sehr leid mir war, daß ich nicht auf der Stelle Ihren Auftrag befriedigen konnte.
Zur Sache also!
Auf Ihre erste Frage, was Ihr seliger Herr Bruder in seiner Kindheit, NB. außer seiner Beschäftigung in der Musik, für Lieblingsspiele hatte? – auf diese Frage ist nichts zu beantworten: denn sobald er mit Musik sich abzugeben anfing, waren alle seine Sinne für alle übrigen Geschäfte soviel als tot, und selbst die Kindereien und Tändelspiele mußten, wenn sie für ihn interessant sein sollten, von der Musik begleitet werden. Wenn wir, er und ich, Spielzeuge zum Tändeln von einem Zimmer ins andere trugen, mußte allemal derjenige von uns, so leer ging, einen Marsch dazu singen oder geigen. Vor dieser Zeit aber, ehe er die Musik anfing, war er für jede Kinderei, die mit ein bißchen Witz gewürzt war, so empfänglich, daß er darüber Essen und Trinken und alles andere vergessen konnte. Ich ward daher ihm, weil ich, wie Sie wissen, mich mit ihm abgab, so äußerst lieb, daß er mich oft zehnmal an einem Tage fragte, ob ich ihn lieb hätte, und wenn ich es zuweilen auch nur zum Spaß verneinte, stunden ihm gleich die hellichten Zähren im Auge, so zärtlich und so wohlwollend war sein gutes Herzchen.
Zweite Frage, wie er sich als Kind gegen die Großen benahm, wenn sie sein Talent und Kunst in der Musik bewunderten?
Wahrhaftig, da verriet er nichts weniger als Stolz oder Ehrsucht: denn diese hätte er nie besser befriedigen können, als wenn er Leuten, die die Musik wenig oder gar nicht verstanden, vorgespielt hätte, aber er wollte nie spielen, außer seine Zuhörer waren große Musikkenner, oder man mußte ihn wenigstens betrügen und sie dafür ausgeben.
Dritte Frage, welche wissenschaftliche Beschäftigung liebte er am meisten?
Antw. Hierinfalls ließ er sich leiten, es war ihm fast einerlei, was man ihm zu lernen gab, er wollte nur lernen und ließ die Wahl seinem innigst geliebten Papa, welches Feld er ihm zu bearbeiten auftrug. Es schien, als hätte er es verstanden, daß er in der Welt keinen Lehrmeister noch minder Erzieher wie seinen unvergeßlichen Herrn Vater hätte finden können. Was man ihm immer zu lernen gab, dem hing er so ganz an, daß er alles übrige auch sogar die Musik, auf die Seite setzte. Z. B. als er Rechnen lernte, war Tisch, Sessel, Wände, ja sogar der Fußboden voll Ziffern mit der Kreide überschrieben.
Vierte Frage, was er für Eigenschaften, Maximen, Tagesordnung, Eigenheiten, Neigung zum Guten und Bösen hatte?
Antw. Er war voll Feuer, seine Neigung hing jedem Gegenstand sehr leicht an; ich denke, daß er im Ermangelungsfalle einer so vorteilhaft guten Erziehung, wie er hatte, der ruchloseste Bösewicht hätte werden können, so empfänglich war er für jeden Reiz, dessen Güte oder Schädlichkeit er zu prüfen noch nicht imstande war.
Einige sonderbare Wunderwürdigkeiten von seinem vier- bis fünfjährigen Alter, auf deren Wahrhaftigkeit ich schwören könnte.
Einsmal ging ich mit Herrn Papa nach dem Donnerstagsamte zu ihnen nach Hause, wir trafen den vierjährigen Wolfgangerl in der Beschäftigung mit der Feder an.
Papa: Was machst du?
Wolfg.: Ein Konzert fürs Klavier, der erste Teil ist bald fertig.
Papa: Laß sehen.
Wolfg.: Ist noch nicht fertig.
Papa: Laß sehen, das muß was Sauberes sein.
Der Papa nahm's ihm weg und zeigte mir ein Geschmiere von Noten, die meistenteils über ausgewischte Tintendolken geschrieben waren, NB. der kleine Wolfgangerl tauchte die Feder aus Unverstand allemal bis auf den Grund des Tintenfasses ein, daher mußte ihm, sobald er damit aufs Papier kam, ein Tintendolken entfallen, aber er war gleich entschlossen, fuhr mit der flachen Hand darüber hin und wischte es auseinander und schrieb wieder darauf fort, wir lachten anfänglich über dieses scheinbare Gallimathias, aber der Papa fing hernach seine Betrachtungen über die Hauptsache, über die Noten, über die Komposition an, er hing lange Zeit steif mit seiner Betrachtung an dem Blatte, endlich fielen zwei Tränen, Tränen der Bewunderung und Freude aus seinen Augen. ›Sehen Sie, Herr Schachtner,‹ sagte er, ›wie alles richtig und regelmäßig gesetzt ist, nur ist's nicht zu brauchen, weil es so außerordentlich schwer ist, daß es kein Mensch zu spielen imstande wäre.‹ Der Wolfgangerl fiel ein: ›Drum ist's ein Konzert, man muß so lange exerzieren, bis man es treffen kann; sehen Sie, so muß es gehen.‹ Er spielte, konnte aber auch just so viel herausbringen, daß man erkennen konnte, wo er aus wollte. Er hatte damals den Begriff, daß Konzertspielen und Mirakelwirken einerlei sein müsse.
Noch eins.
Gnädige Frau! Sie wissen sich zu erinnern, daß ich eine sehr gute Geige habe, die weiland Wolfgangerl wegen ihrem sanften und vollen Ton immer Buttergeige nannte. Einmal, bald nachdem sie von Wien zurückkamen (zu Anfang 1763), geigte er darauf und konnte meine Geige nicht genug loben, nach ein oder zwei Tagen kam ich wieder, ihn zu besuchen, und traf ihn, als er sich eben mit seiner eigenen Geige unterhielt, an, sogleich sprach er: ›Was macht Ihre Buttergeige?‹ geigte dann wieder in seiner Phantasie fort, endlich dachte er ein bißchen nach und sagte zu mir: ›Herr Schachtner, Ihre Geige ist um einen halben Viertelton tiefer gestimmt als meine da, wenn Sie sie doch so gestimmt ließen, wie sie war, als ich das letztemal darauf spielte.‹ Ich lachte darüber, aber Papa, der das außerordentliche Tönegefühl und Gedächtnis dieses Kindes kannte, bat mich, meine Geige zu holen und zu sehen, ob er recht hätte. Ich tat's, und richtig war's.
Einige Zeit vor diesem, die nächsten Tage, als Sie von Wien zurückkamen und Wolfgang eine kleine Geige, die er als Geschenk zu Wien kriegte, mitbrachte, kam unser ehemaliger sehr