Mozart. Karl Storck

Mozart - Karl Storck


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Opernform auch die italienische Seele in sich aufgenommen oder hatten doch wenigstens die Fähigkeit eingebüßt, ein deutsches persönliches Empfinden auszudrücken. Auch der Riese Händel ist in seinen Opern durchaus Italiener. Dagegen wird man selbst die italienischste Oper des späteren Mozart, »Cosi fan tutte«, niemals als italienische Musik empfinden. Man spürt ganz deutlich eine Persönlichkeit heraus, und diese Persönlichkeit ist kein Italiener.

      Für Mozart – ich meine jetzt den späteren, fertigen Meister – wurde die Beherrschung der verschiedenen Stile niemals zu einer Nachahmung derselben, weil er sie niemals um ihrer Form willen anwandte, sondern weil sie ihm in dem betreffenden Augenblick als geeignet erschienen, sein Empfinden und seine Absichten in Musik auszudrücken.

      Letzterdings entsteht doch das Gefühl, daß eine Ausdrucksform Stil sei, dadurch, daß sich diese Ausdrucksform mit einem Inhalt, einer Stimmung so deckt, daß sie nicht nur für den einzelnen Schöpfer, sondern für eine große Zahl von Menschen (in der Idealvorstellung für die Gesamtheit) als die gegebene, die einzig wirkliche Ausdrucksform des betreffenden Inhalts erscheint. Auch Richard Wagner mit seinem Sprachgesang hat z. B. die durchaus nicht den Sprachgesetzen angepaßte, ja diesen eigentlich fortwährend widersprechende kontrapunktische Polyphonie des Palestrinastils als den durchaus entsprechenden katholischen Kirchenmusikstil empfunden und hat nicht die Bedenken dagegen erhoben, die er aus seinem persönlichen Stilgefühl der Verpflichtung der Musik der Sprache gegenüber hätte fühlen müssen. Er selbst hat aber trotzdem auch in den Abendmahlschören des »Parsifal« diesen Stil nicht zur Anwendung gebracht. Mozart würde es in einem gleichen Falle sicher getan haben. Ebenso ist in den »Meistersingern« die Annäherung an die ältere deutsche Kontrapunktik nur Kolorit, nicht eigentlicher Stil, was die akademischen Gegner Wagners oft dahin verkannten, als hätte Wagner nicht so recht im kontrapunktischen Stil schreiben können. In Wirklichkeit beruht aber der kontrapunktische Stil auf einem dem innersten Kunstprinzip Wagners durchaus entgegengesetzten Lebenselement, ist absolut musikalisch und immer mit einem schweren Zwang für die Sprache verbunden. So erkennen wir, daß bei Wagner auch den verschiedensten Vorlagen gegenüber im Grunde immer dasselbe Stilprinzip tätig ist, daß die musikalische Verschiedenheit nur in einer leichten Beimischung eines anderen Kolorits beruht, etwa so, wie ein Dichter, wenn er bei einem älteren Stoff die Sprache etwas altertümlich färbt, durchaus nicht seine persönliche Sprechweise aufzugeben braucht.

      Bei Mozart ist dagegen der merkwürdige Fall eingetreten, daß er gewissermaßen mehrere Muttersprachen hat, mehrere Sprachen, in denen ihm Denken und Reden natürlich geworden ist. Aber auch diese liegen nun nicht nebeneinander getrennt, sondern bilden eine große Einheit, tatsächlich das Ideal einer Weltsprache. Es ist leicht erklärlich, daß nur die Musik, die völlig befreit ist von den trennenden Grenzen, die sonst die Sprachverschiedenheit aufrichtet – bei den bildenden Künsten entstehen Grenzen durch die wenn auch oft nur geistige Zweckbestimmung –, daß die Musik, die ihrem innersten Wesen nach Empfindungen und Gedanken als solche ausdrückt, also bevor sie eine Gestalt gewonnen haben, eine solche Welt- oder sagen wir besser allgemein menschliche Sprache abgeben kann. Soweit das Nationale in den Musikformen liegt, soweit es nicht auf der Tatsache beruht, daß die verschiedenen Völker ebensogut wie die einzelnen Menschen verschiedene Persönlichkeiten sind, deren Art zu fühlen und zu empfinden unterschiedlich ist, soweit also die Musik formen irgend einen Nationalcharakter tragen, ist dieser bereits nicht mehr urmusikalisch, sondern äußere Gestaltung. Es ist doch sehr bezeichnend, daß dabei der Rhythmus, dessen Beziehungen zur Körperbewegung unverkennbar sind, also daß Tänze und Volkslieder diese Charakterisierungsmittel abgeben.

      Es ist darum nur natürlich, daß, solange ein stärkeres, vergeistigtes Nationalgefühl fehlte, solange vor allen Dingen die Kunstmusik eigentlich nur für die Kirche herangezogen wurde, von irgendwelchen nationalen Stilen nicht die Rede war; die kontrapunktische Polyphonie ist überall dieselbe. Von der Zeit aber, wo die Musik mehr Seelensprache des einzelnen wird, bilden sich die Nationalmusiken heraus. Es hat immer Künstler gegeben, und es waren bezeichnenderweise fast immer Deutsche, die diese Stilabsonderung als einengend empfanden. Dieses Empfinden geht dann nach zwei Seiten; auf der einen ist es Verwischung der persönlichen Eigenart zugunsten einer allgemeinen Internationalität, ist Schwäche; auf der anderen ist es höchste Steigerung des Besten in der eigenen Kraft, genährt und vermehrt durch die Aufnahme des Verwandten oder doch innerlich Anpassungsfähigen in dem Besitzstande der Fremde, ist es Universalismus, höchste Stärke. Für die Musik vertritt Mozart diesen Universalismus in der vollendetsten Weise. Seine Musik ist überhaupt in der gesamten Kunst das wunderbarste Beispiel eines Menschheitsbesitzes.

      Nochmals müssen wir, um das klar zu erfassen, einige Schritte zurückgehen und wieder an Goethes Wort anknüpfen, daß das wesentliche Künstlerische der Genialität darin beruht, daß man zur Produktion von Kunst fähig ist, daß also die schöpferische Idee, die die Seele zu erfassen vermochte, nach künstlerischer Aussprache drängt. Erst in zweiter Linie steht die Umsetzung der Idee in die Tatsache, also die Gestaltung jenes Schöpfergedankens. Freilich tritt vor uns Menschen ja nur diese sichtbare oder hörbare, diese körperlich, sinnlich wahrnehmbar gewordene Gestalt des Kunstwerks, und somit ist man vielfach dahin gekommen, das Künstlertum nach seiner Gestaltungskraft einzuschätzen. Immerhin wissen wir alle, daß sogar bei den verschiedenen Völkern da eine verschiedene Veranlagung hervortritt, daß z.B. die Romanen, die Franzosen voran, vorzügliche Gestalter, daß sie ausgezeichnete Formengeber des ihnen schöpferisch Aufgegangenen sind, daß dagegen die deutsche Kunst fast immer schwer um diese Formengebung zu ringen hat, daß nur in ganz vereinzelten Fällen in der deutschen Kunst die Formengebung auf derselben Höhe steht wie die innerliche schöpferische Kraft. Nur wer es wagen würde, die germanische Kunst darum geringer einzuschätzen als die romanische, dürfte sich zu jenem verbreiteten Grundsatze, daß die Gestaltung das Wesentlichste der Kunst ist, ohne weiteres bekennen. Immerhin, die eine Tatsache bleibt bestehen, daß die künstlerische Kraft nur dann in Kunstwerke ausgemünzt werden kann, wenn eine solche Gestaltungskraft vorhanden ist und diese in Tätigkeit umgesetzt wird.

      Wenn nun auch jeder schöpferische Gedanke in jeglicher Kunst einen Ausdruck finden kann, je nach der Formgebung, die dem betreffenden produktiven Menschen zur Mitteilung zur Verfügung steht, so liegt es doch in den einfachen Gesetzen der Logik, daß für jeden schöpferischen Gedanken eine Art der Aussprache die vollkommenste, die idealste sein muß. Es liegt hier der innerste Grund dafür, daß die verschiedenen Künste nach ihrer Trennung immer wieder Vereinigungen angestrebt haben, aus dem Gefühl heraus, daß es im Grunde nur eine Kunst gibt und die verschiedenen Künste nur unterschiedliche Mitteilungsarten der einen gleichen Kraft sind. Wenn es trotzdem im Laufe der Entwicklung dahin gekommen ist, daß die einzelnen Künste sich so sehr als selbständige Wesenheiten fühlten, daß man viel lieber die Grenzen zwischen den verschiedenen Gebieten untersuchte als das Einigende, daß die Wiedervereinigung dieser Künste als etwas Neues wirkte und sich regelmäßig zum künstlerischen Problem auswuchs, so zeugt das nur dafür, daß jede einzelne dieser Künste ein so unendlich weites Gebiet darstellt, daß der Einzelmensch für alle seine Empfindungen darin sehr leicht Platz findet, daß er in der Regel sogar noch lange nicht zur völligen Ausfüllung derselben kommt. Aber das Vorhandensein von Männern wie Michelangelo, Lionardo da Vinci, Goethe, Richard Wagner zeugt ebenso für das stete Vorhandensein dieses großen Urkunstgefühls wie die Tatsache, daß einzelne Künste sich sehr leicht innig verbinden können, z. B. Malerei und Plastik, Musik und Lyrik in der ganz volkstümlichen Form des Liedes, Poesie und Mimik bei aller Darstellung, Musik und Mimik im Tanz.

      Die Trennung hat sich aber nicht auf die verschiedenen Künste beschränkt, sondern innerhalb der einzelnen Künste weiter gewaltet. Hierbei könnte man ein Nebeneinander von einem Nacheinander unterscheiden. Das Nebeneinander wird dargestellt durch die verschiedenen Gattungen der betreffenden Kunst. Auch in der Wahl der Gattung offenbart sich das Formgefühl. Der Künstler erkennt, welche Art der Aussprache für seinen schöpferischen Gedanken die natürlichste ist, bei welcher am meisten die Form mit dem Inhalt sich deckt. Wir erleben gerade in der Musik heute immer und immer wieder, daß unseren Künstlern dieses Gefühl abgeht, indem sie z. B. für die einfachen, kleinen Formen des lyrischen Gedichts dieselben Ausdrucksmittel aufwenden wie für eine große Sinfonie. Zeitalter mit ausgeprägterem Formensinn haben sich in dieser Hinsicht niemals derartig vergriffen.

      Außer


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