Mozart. Karl Storck

Mozart - Karl Storck


Скачать книгу
Motiv an, das einer treibt, es ist alles dasselbige. Ob einer sich in der Wissenschaft genial erweist oder im Kriege und der Staatsverwaltung, oder ob einer ein Lied macht, es ist alles gleich.« Das alles sind nur Erscheinungsformen, Offenbarungsformen, Gestaltungsformen jener urschöpferischen Kraft.

      Aus dieser einen Erkenntnis ergeben sich für das Sondergebiet der Künste alle Folgerungen über die Grenzen unter ihnen wie über ihre Vereinigung. Das Allkunstwerk Richard Wagners erklärt sich ebenso einfach und natürlich wie die Wirkungskraft, die Möglichkeit der vollen Lösung eines großen Problems in einer Spezialistentechnik.

      Übersetzen wir Goethes Wort in die Philosophiesprache Schopenhauers, des tiefsten Denkers über die Psychologie der Kunst, so erhalten wir die einfache Formel, daß jene schöpferische Kraft, sofern sie nach künstlerischer Betätigung drängt, parallel steht der Idee der Kunst, während die Gestaltungen, die jene schöpferischen Gedanken durch die einzelnen Künste finden, Abbilder dieser Idee werden. Es wäre dabei festzuhalten, daß ein und derselbe schöpferische Gedanke die denkbar verschiedensten Abbilder in den verschiedensten Künsten hervorrufen kann.

      Nun hat derselbe Schopenhauer der Musik im Verhältnis zu den anderen Künsten eine Sonderstellung eingeräumt, indem sie nicht wie die anderen ein Abbild der Idee, sondern eine solche selbst sei. Sie sei Abbild des Willens, des Ansich der Welt selber. »Deshalb eben ist die Wirkung der Musik um so mächtiger und eindringlicher als die der anderen Künste, denn diese reden nur vom Schatten, jene aber vom Wesen.« Die Musik besitzt danach die Fähigkeit, das Schöpferische an sich zu verlebendigen, die Wonne des Schöpferisch-Seins auszudrücken. Die Musik braucht nicht zu sein eine Form, in der sich die Schöpferkraft ausdrückt, sondern sie ist der Ausdruck der Schöpferkraft selber.

      Es ist merkwürdig, wie sich die Größten in ihren Empfindungen begegnen. Die Musikphilologie hat neuerdings Goethes Verhältnis zur Musik als nicht besonders tief hingestellt. Man kann ja so leicht eine Reihe von Fällen aufzählen, in denen sich das musikalische Verständnis Goethes nicht so fest bewährte, wie wir es heute von jedem großstädtischen Abonnenten philharmonischer Konzerte gewöhnt sind. Man denke sich nur, daß er, zu dem Beethoven sich so mächtig hingezogen fühlte, nicht nur von dem ungefügen und ungeschlachten Komponisten selber, sondern auch von seiner Musik nichts wissen wollte. Wenn wir, die wir so gern nachreden, daß das Genie für das bloße Begriffsvermögen ewig ein Geheimnis bleiben müsse, den wirklichen großen Genies gegenüber doch jene Bescheidenheit bewahren möchten, die einem erhabenen Geheimnis gebührt, so wären wir wohl in der Erkenntnis großer Künstler längst weiter. Wir würden in unserem Falle nicht stolz verkünden, daß Goethe kein großes musikalisches Verständnis besessen hat, sondern würden uns bescheiden fragen: Wie kommt es, daß Goethe, der durch einfache Volkslieder aufs tiefste ergriffen wurde, der für die Musik Mozarts eine grenzenlose Bewunderung hegte, von dem wir über Musik und Musiker einzelne Aussprüche von einer wunderbaren Tiefgründigkeit haben, Beethoven ablehnte?

      Einer jener tiefgründigen Aussprüche gilt Joh. Seb. Bach. Als der junge Mendelssohn ihn mit den Klavierwerken des Titanen bekanntmachte, meinte Goethe: »Mir ist es bei Bach, als ob die ewige Harmonie sich mit sich selbst unterhielte, wie sich's etwa in Gottes Busen kurz vor der Schöpfung mag zugetragen haben.« Es gibt Leute, die solche Worte, wenn sie nicht gerade von einem Goethe stammen, mehr als ästhetische Phrase abtun. In Wirklichkeit haben wir hier wieder einen Fall, in dem der Genius Goethes, weit über alles Erkennungsvermögen hinaus, die Wahrheit fühlte und für ein wunderbares Geheimnis das erhellende Wort fand. Denn die Empfindung Goethes Bach gegenüber bedeutet dasselbe wie Schopenhauers Gefühl von der Sonderstellung der Musik, und in dem »kurz vor der Schöpfung« liegt das Merkwürdige und Tiefsinnige dieser Empfindung. Warum nicht während der Schöpfung? Warum nicht nach ihr? Nein, vor ihr! Da war Gottes Busen geschwellt von unendlicher Schöpferkraft. Was er nachher gestaltete, war ja alles nur Ausdruck, nur Form, nur Abbild dieser Kraft. In der Musik Bachs spürte also Goethe, der doch oft genug selber die Zustände des Schöpfer-Seins wie die der Gestaltung eines schöpferisch Erschauten empfunden hatte, jene sonst in keiner Kunst ausdrückbare Empfindung, fühlte er die Idee selber gegenüber den Abbildern einer Idee, welch letztere sonst die Kunst nur zu geben vermag.

      Was so den alten Goethe leicht einen Weg finden ließ zum Tiefsten Bachs, das in seiner Zeit sonst kaum erfaßt wurde, führte ihn dazu, Beethovens Musik nicht anzunehmen.

      Beethoven ist der Begründer jener Musik, die eigentlich auch dann nicht mehr für sich allein steht, wenn sie ohne die Verbindung mit anderen Künsten vor uns tritt. Er selber hat mit den Worten »Dichten in Tönen« seine schöpferische Tätigkeit bezeichnet und schon in diesem Ausdruck eine bestimmte Art, man könnte sagen eine bestimmte Tendenz der Benutzung des Tonmaterials angedeutet. Denken wir an Goethes Erklärung der genialen Produktivität, so erkennen wir, daß bei Beethoven dieses innerliche Schöpfen vor dem Gestalten nicht rein musikalisch, sondern mit Entwickelungsvorstellungen oder Gedankenanschauungen verknüpft erscheint, die aus dem Gebiet der Dichtung, der Philosophie oder auch aus einem in der Natur liegenden Bilde geschöpft sind. In Beethoven liegen die Keime der Programmmusik und der sinfonischen Dichtung. Was seine Überlegenheit über alle Nachfolger ausmacht, ist die ungeheure musikalische Kraft seiner Natur, mit der es ihm gelang, die vielfach aus dem Vorstellungskreise der Dichtung oder der Anschauung heraus erschaffene Idee ganz in Musik aufzulösen. Es ist deshalb ganz kurzsichtig, wenn man Beethoven, wie es vielfach geschieht, zu den absoluten Musikern rechnet; er ist nie und nirgendwo ein solcher. Dennoch steht er als Gipfel völlig getrennt von Richard Wagner, weil das, was bei Beethoven Dichten ist, noch vor jeder Gestaltung der schöpferischen Idee liegt. Dieses Dichten beeinflußt nur die Art der schöpferischen Vorstellung. Es erzeugt für nachher die Vorführung des Nacheinanders eines bestimmten seelischen Erlebens, während die absolute Musik seelische Zustände im allgemeinen ausgesprochen hat. Richard Wagner hat als erster diese Stellung der Beethovenschen Sinfonie gegenüber der älteren betont und hervorgehoben, daß bei Beethoven an die Stelle des Gegensatzes verschiedener seelischer Zustände die Entwickelung von einem zum anderen getreten ist. Diesen musikalischen Entwickelungsgängen aller Sonaten und Sinfonien Beethovens liegt die Vorstellung eines bestimmten seelischen Erlebens zugrunde, und diese Vorstellungsart ist in ihrem Wesen dichterisch. Darauf kommt es an. Dadurch, daß Beethoven für diese dichterischen Gedanken eine musikalische Ausspracheform wählt, dadurch, daß diese musikalische Ausspracheform von so hinreißender Kraft, von so urmusikalischer Naturgewalt ist, erreicht er den Sieg des Musikalischen über das Dichterische, während bei sämtlichen Vertretern der sinfonischen Dichtung das Musikalische im günstigsten Falle zur Vollbringung des dichterischen Wollens ausreicht. So kann man wohl dahin kommen, daß man in Beethovens Musik bloß die höhere Bestimmtheit des Ausdrucks und damit die stärkere Gewalt dieses Ausdrucks sieht und dabei vergißt, daß diese gewaltige Ausdruckskraft immerhin einer Einengung des rein und nur Musikalischen zu danken ist.

      Da diese Weltanschauung der Beethovenschen Musik der seelischen Veranlagung der neuesten Zeit entspricht, bewirkt, daß Beethovens Musik uns heute näher steht, uns tiefer packt als jede andere. Daß aber die urmusikalische Kraft eines Bach an sich stärker ist, daß vor allem die rein musikalischen Wirkungen Mozarts auf unendlich größere und weitere Schichten der Welt sich erstrecken können, scheint mir unzweifelhaft festzustehen.

      Für mein Empfinden ist Mozart noch viel reiner musikalisch als Bach. Man sollte bei Bach nicht immer gleich an die Fugen denken. Wenn wir das Riesenwerk der Bachschen Kantaten ansehen, erkennen wir am deutlichsten, wie diese Kunst aus dem Erleben und Mitleben aller Qualen, aller schweren Probleme der Zeit, ja der Menschheit überhaupt hervorgewachsen ist. Gewiß ist von allen Musikern in Beethoven am meisten und deutlichsten das Promethidenhafte, das Titanische, das Heldenhafte ausgeprägt; das Faustische, das an sich ja viel weniger Heldentum ist, das mehr die Versenkung in die Tiefe als die Erstürmung der Höhe bedeutet, lebt wohl noch gewaltiger in Bach, und es ist nur die Tatsache, daß in seinem Jahrhundert alles Denken sich innerhalb der äußeren Grenzen der dogmatischen Glaubensvorstellungen und eines kirchlich religiösen Empfindens bewegte, was uns diese faustische Art Bachs so leicht verkennen läßt. In Mozart fehlt alles dieses Titanische, Faustische und Promethidenhafte. Seine Schöpferkraft ist von göttlicher Art, ist Wonne des Schaffens. Die Qualen des menschlichen Ringens, der Krampf des Hervorbringens


Скачать книгу