Mozart. Karl Storck

Mozart - Karl Storck


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ästhetischen Skrupel nachzudenken, daß er vielmehr mit größter Unbefangenheit an die Komposition jedes ihm aufgegebenen Operntextes sich machte, sogar unbekümmert darum, ob dieser Text für ihn, als reinen Musiker, dankbar sei oder nicht. Nehmen wir alle seine hier und da aufbewahrten ästhetischen Bemerkungen und Aussprüche zusammen, so versteigt alle seine Reflexion gewiß sich nicht höher als seine berühmte Definition von seiner Nase.« Wir werden dagegen gerade bei der Betrachtung von Mozarts dramatischem Schaffen sehen, wie »reflektiert sein Verfahren« gegenüber allen jenen Dingen war, bei denen die Reflexion etwas zu tun hat.

      Das letzte Wort Wagners zielt auf jenen als Ganzes sicher unechten Brief vom Jahre 1789, in dem ausführlich über Mozarts Art zu komponieren gesprochen ist. Da der Brief innerlich wahr ist und gewissermaßen das von der äußeren Beobachtung her Erkennbare in Mozarts Schaffensweise zusammenfaßt, sei die wichtigste Stelle auch hier wiedergegeben:

      »Wenn ich recht für mich bin und guter Dinge, etwa auf Reisen im Wagen oder nach guter Mahlzeit beim Spazieren und in der Nacht, wenn ich nicht schlafen kann, da kommen mir die Gedanken stromweis und am besten. Woher und wie, das weiß ich nicht, kann auch nichts dazu. Die mir nun gefallen, die behalte ich im Kopf und summe sie wohl auch für mich hin, wie mir andere wenigstens gesagt haben. Halt' ich das nun fest, so kommt mir bald eins nach dem andern bei, wozu so ein Brocken zu gebrauchen wäre, um eine Pastete daraus zu machen, nach Kontrapunkt, nach Klang der verschiedenen Instrumente usw. usw. Das erhitzt mir nun die Seele, wenn ich nämlich nicht gestört werde; da wird es immer größer, und ich breite es immer weiter und heller aus, und das Ding wird im Kopf wahrlich fast fertig, wenn es auch lang ist, so daß ich's hernach mit einem Blick, gleichsam wie ein schönes Bild oder einen hübschen Menschen, im Geist übersehe und es auch gar nicht nacheinander, wie es hernach kommen muß, in der Einbildung höre, sondern wie gleich alles zusammen. Das ist nun ein Schmaus! Alles das Finden und Machen geht in mir nun nur wie in einem schönen, starken Traum vor. Aber das Überhören, so alles zusammen, ist doch das Beste. Was nun so geworden ist, das vergesse ich nicht gleich wieder, und das ist vielleicht die beste Gabe, die mir unser Herrgott geschenkt hat. Wenn ich hernach einmal zum Schreiben komme, so nehme ich aus dem Sack meines Gehirns, was vorher, wie gesagt, hineingesammelt ist. Darum kommt es hernach auch ziemlich schnell aufs Papier; denn es ist, wie gesagt, eigentlich schon fertig und wird auch selten viel anders, als es vorher im Kopf gewesen ist. Darum kann ich mich auch beim Schreiben stören lassen, und mag um mich herum mancherlei vorgehen, ich schreibe doch, kann auch dabei plaudern, nämlich von Hühnern und Gänsen und von Gretel und Bärbel und dergleichen. Wie nun aber über dem Arbeiten meine Sachen überhaupt eben die Gestalt oder Manier annehmen, daß sie Mozartisch sind und nicht in der Manier eines anderen, das wird halt ebenso zugehen, wie daß meine Nase ebenso groß und heraufgebogen, daß sie Mozartisch und nicht wie bei anderen Leuten geworden ist. Denn ich lege es nicht auf die Besonderheit an, wüßte die meine auch nicht einmal näher zu beschreiben; es ist ja aber wohl bloß natürlich, daß die Leute, die wirklich ein Aussehen haben, auch verschieden voneinander aussehen, wie von außen, so von innen. Wenigstens weiß ich, daß ich mir das eine sowenig als das andere gegeben habe.«

      Dagegen steht jenes Geständnis, das Mozart bei der Einstudierung des »Don Juan« in Prag dem Kapellmeister Kucharcz gegenüber äußerte: »Überhaupt irrt man, wenn man denkt, daß mir meine Kunst so leicht geworden ist. Ich versichere Sie, lieber Freund, niemand hat so viel Mühe auf das Studium der Komposition verwendet als ich; es gibt nicht leicht einen berühmten Meister in der Musik, den ich nicht fleißig und oft mehrmals durchstudiert hätte.«

      Den scheinbaren Widerspruch hilft uns wieder Goethe lösen, der von der Produktivität höchster Art, die der Mensch als unverhofftes Geschenk von oben zu betrachten habe, das da übermächtig mit ihm tut, wie es ihm beliebt, und dem er sich bewußtlos hingibt, eine Produktion anderer Art unterscheidet, die irdischen Einflüssen unterworfen ist, und die der Mensch mehr in seiner Gewalt hat. »In diese Region zähle ich alles zur Ausführung eines Planes Gehörige, alle Mittelglieder einer Gedankenkette, deren Endpunkte bereits leuchtend dastehen; ich zähle dahin alles dasjenige, was den sichtbaren Leib und Körper eines Kunstwerkes ausmacht.« Bei der Ausgestaltung der genial erfaßten Idee tritt der Kunstverstand als wichtigste Kraft auf. Die Bedeutung dieser zweiten, von Goethe mit vollem Recht noch in den Bereich des Genialen hineingezogenen Tätigkeit ist so groß, daß vielfach der Kunstbeurteiler in dieser Kraft der Ausführung das Ausschlaggebende sieht. Fast die ganze französische Art des Kunsturteils bewegt sich in diesem Kreise, wobei wir freilich hinzufügen müssen, daß in der Geschichte der romanischen Künste die Erscheinungen, daß diese zweite Art der Produktivität nicht auf der Höhe der ersten steht, sehr selten sind. Wohl aber ist es eine charakteristische Erscheinung der germanischen Kunstgeschichte, daß die Gestaltung eines künstlerisch genialen Gedankens weit hinter dessen ursprünglicher Erfassung zurückbleibt. Wir berühren hier vielleicht das tiefste Problem germanischer Kunstauffassung und damit den entscheidenden Punkt im germanischen Kunstschaffen, für das die Schwierigkeit immer darin liegt, daß die Konzeption so ungeheuer stark ist, daß die Formgebung für jeden einzelnen Fall als neues Problem dasteht. Wir haben nun gerade bei Mozart so stark das Gefühl, daß die Form sich mit dem Inhalt deckt – alles natürlich rein musikalisch verstanden –, daß wir schon daraus auf eine hohe Bildung seines Kunstverstandes schließen können. Während er sonst, wie seine Schwester sagte, zeitlebens in allem ein Kind blieb, war er in allen musikalischen Dingen von einer erstaunlichen Frühreife, auch hinsichtlich des verstandesmäßigen Urteils. Die schroffe Entschiedenheit dieses künstlerischen Urteils wirkt gerade bei seinem so liebevollen Charakter, welcher in allen anderen Dingen das Lobenswerte heraussuchte, doppelt charakteristisch.

      Es ist für Mozart charakteristisch, daß wir fast nichts von dieser Arbeit der Produktion merken, in der das innerlich erschaute Werk seine Gestaltung für die Mitteilung an die äußere Welt erfährt. Diese ganze Arbeit wird in einer sonst unerhörten Weise innen vollzogen. Wir haben von Mozart fast keine Skizzen, und die vorhandenen wirken mehr als Notierung wertvoller Einfälle denn als Vorbereitungsarbeiten oder Vorstadien eines bestimmten Kunstwerkes.

      Die Gestaltung ist in der Musik, technisch betrachtet, das Aufzeichnen in Noten, also etwas der Schreibarbeit ähnliches. Immerhin wäre es falsch, diese Notenschreibarbeit etwa der Niederschrift eines innerlich fertiggemachten Gedichtes zu vergleichen. Die formale Arbeitsleistung ist in der Musik eine unendlich verwickeltere. Eine Orchesterpartitur mit ihrer Verteilung der Melodieführung und der Tonfarben an die verschiedenen Instrumente kann man viel eher einer Radierung mit ihrer Verteilung von Hell und Dunkel vergleichen als einer Wortniederschrift. Der Dichter arbeitet in den Worten mit festgeprägten Begriffen, für den Musiker dagegen ist ein einzelnes, noch so inhaltreiches Motiv für die letzte Umarbeitung noch schier ein Nichts, nicht mehr als der Gedanke, der erst der Formulierung bedarf. Also wenn bei Dichter und Musiker die Mitteilungsform an die Außenwelt in der Arbeit scheinbar dieselbe ist, so ist die Gestaltung beim Musiker doch ein viel verwickelterer Prozeß. Man mag es sich so vorstellen, wie wenn ein Maler ohne vorangegangene Zeichnung, ohne Untermalung oder dergleichen ein großes Ölgemälde so schüfe, daß er in der einen Ecke anfinge, überall gleich den endgültigen Farbenton hinsetzte und so das ganze Bild glatt hinmalte, wie es vor seinem innern Auge steht. Ein solcher Gedanke wirkt geradezu unsinnig; aber Mozart hat derartiges geleistet. Die Entstehungsgeschichte der Ouvertüre zum »Don Juan« – sie wurde in körperlicher Erschöpfung in der Nacht vor der Aufführung geschrieben – ist ein solches Wunder. Ein anderes Mal hat er ein Orchesterwerk, den ergötzlichen musikalischen Spaß einer »Bauernsinfonie« gleich in Stimmen hingeschrieben, was im Grunde noch erstaunlicher ist als der oben angeführte Fall, weil das nicht nur ein völlig genaues Klangbild voraussetzt, sondern auch ein schier unbegreifliches Gedächtnis, das genau weiß, wo und wie lange die einzelnen Instrumente zu pausieren haben, wo sie, rein zeitlich genommen, wieder mit den anderen zusammentreffen und dergleichen. Wieder eine andere Variante zeigt der Fall mit der Geigerin Strinasacchi, der er eine Violinsonate für ein gemeinsames Konzert versprochen hatte. Am Abend vorher war noch nichts fertig. Sie bittet, beschwört ihn so lange, bis er ihr schließlich die Violinstimme schreibt. Sie übt noch schnell ihren Part ein, und beim Konzert ernten beide großen Beifall. Der Kaiser Joseph aber, der zugegen war, erkannte durch die Lorgnette, daß Mozart keine Noten vor sich hatte. Er bittet ihn deshalb zu sich und verlangt die Sonate. Da stellt sich heraus, daß außer


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