Mozart. Karl Storck

Mozart - Karl Storck


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nachher gewissermaßen die dem Gehirn als fertiges Bild vorschwebende Partitur einfach mit den Händen abschrieb. Das war dann so mechanische Arbeit, daß er keiner musikalischen Beihilfe – etwa des Klaviers – dazu brauchte, daß ihn leichtes Geplauder eher anregte als störte, daß er, wie seine Frau sich äußert, »Noten schrieb wie Briefe«. Vom wunderbarsten Beispiel aber gibt zweifellos folgender Brief (30. April 1782) an die Schwester Kunde: »Hier schicke ich Dir ein Präludio und eine dreistimmige Fuge. Das ist eben die Ursache, warum ich Dir nicht gleich geantwortet, weil ich – wegen des mühsamen kleinen Notenschreibens nicht habe eher fertig werden können. – Es ist ungeschickt geschrieben, – das Präludio gehört vorher, dann folgt die Fuge darauf. – Die Ursache aber war, weil ich die Fuge schon gemacht hatte und sie unterdessen, daß ich das Präludium ausdachte, abgeschrieben.« Also während er eine so schwierige, höchste Aufmerksamkeit erheischende Abschrift fertigstellte, war Mozart zur »innerlichen« Produktion eines neuen Werkes imstande.

      Erst so verstehen wir nun recht, was Mozart darunter verstand, daß er »ganz in der musique steckte«. Das war höchste Arbeitsleistung, die durch eine ungeheuer gesteigerte Fähigkeit innerlicher Konzentration ermöglicht war. Diese wird uns denn auch von allen Seiten bezeugt. Das heißt indirekt durch die Berichte von Zeitgenossen. Der Friseur hatte große Not mit ihm, denn alle Augenblicke sprang er auf und lief zum Klavier, und der Figaro mußte ihm mit dem Zopfband überallhin folgen. Beim Kegeln und Billardspielen summte er vor sich hin, taktierte mit dem Kopf und warf Noten auf irgend ein hervorgezogenes Stück Papier. Teile des »Don Juan« und der »Zauberflöte« sind so entstanden. Beim Reiten wurde ihm das Komponieren fast gefährlich, denn das Pferd ging mit dem versonnenen Meister durch. Schuf er ein großes Werk, so war er zu Possen und Späßen besonders geneigt, in denen er ein Gegengewicht gegen die geistig tief erregenden Momente des Gestaltens fand. »Er war immer guter Laune, aber selbst in der besten sehr nachdenkend, einem dabei scharf ins Auge blickend, auf alles, es mochte heiter oder traurig sein, überlegt antwortend, und doch schien er dabei an etwas ganz anderem tief denkend zu arbeiten. Selbst wenn er sich in der Früh die Hände wusch, ging er dabei im Zimmer auf und ab, blieb nie ruhig stehen, schlug dabei eine Ferse an die andere und war immer nachdenkend. Bei Tisch nahm er oft eine Ecke der Serviette, drehte sie fest zusammen, fuhr sich damit unter der Nase herum und schien in seinem Nachdenken öfters nichts davon zu wissen, und öfters machte er dabei noch eine Grimasse mit dem Munde. – Auch sonst war er immer in Bewegung mit Händen und Füßen, spielte immer mit etwas, z. B. mit seinem Chapeau, Taschen, Uhrband, Tischen, Stühlen gleichsam Klavier.«

      Ebenso bezeichnend ist die Mitteilung, die Mozarts Schwager, Jos. Lange, in seiner Selbstbiographie (S. 181) macht: »Nie war Mozart weniger in seinen Gesprächen und Handlungen für einen großen Mann zu erkennen, als wenn er gerade mit einem wichtigen Werk beschäftigt war. Dann sprach er nicht nur verwirrt durcheinander, sondern machte mitunter Spässe einer Art, die man an ihm nicht gewohnt war; ja, er vernachlässigte sich sogar absichtlich in seinem Betragen. Dabei schien er doch über nichts zu brüten und zu denken. Entweder verbarg er vorsätzlich aus nicht zu enthüllenden Ursachen seine innere Anstrengung unter äußerer Frivolität; oder er gefiel sich darin, die göttlichen Ideen seiner Musik mit den Einfällen platter Alltäglichkeit in scharfen Kontrast zu bringen und durch eine Art von Selbstironie zu ergötzen.« An Selbstironie ist dabei natürlich nicht zu denken; eher an eine Art Notwehr, in der sich der dem Alltäglichen dienstpflichtige materielle Mensch gegen die Übermacht des Geistes verteidigt. Oder auch an das Schamgefühl des fein und zart empfindenden Künstlers, der vor der Umwelt die Wunder zu verheimlichen strebt, die in ihm sich vollziehen.

      Natürlich, wer nun bloß dieses Äußere sah, mußte denken, das sei überhaupt keine Arbeit. Selbst der Vater erkannte in dieser Hinsicht die Art seines Sohnes nicht. Auch er schätzte nur das als Arbeit, was er sah, und bedachte nicht, daß wenn sein Sohn sich zur Niederschrift hinsetzte, eigentlich bereits alles gearbeitet war, trotzdem ihm dieser das oft genug sagte; so z. B. einmal von München aus, als er dort am »Idomeneo« arbeitete, wo er ihm schrieb: »Komponiert ist schon alles, aber geschrieben noch nicht.« Dabei ist es so leicht erklärlich, daß Mozart vor der Niederschrift zurückschreckte; sie war ja für ihn eigentlich gleich einer rein handwerksmäßigen Arbeit, im Grunde mechanische Abschrift eines innerlich Fertigen. Nun mag es ja sein, daß bei diesem »Auf-die-lange-Bank hinausschieben«, wie es der Vater nannte, gelegentlich etwas nicht fertig geworden ist. Aber angesichts der riesigen Zahl der Mozartschen Werke müssen wir schon rein äußerlich von einem ganz gewaltigen Fleiß sprechen. Nicht bei allen ähnlich veranlagten Genies können wir das gleiche sagen. Lionardo da Vinci z. B., zweifellos eine der produktivsten Naturen, die es je gegeben hat, ist nur selten zur vollendeten Gestaltung seiner genial erschauten und innerlich fertig gestalteten Werke gelangt. Während der Arbeit an der Gestaltung des Äußeren nahm ihn die innere Produktion eines Neuen bereits derartig in Anspruch, daß er nicht nur die Lust, sondern auch die Spannkraft zur äußeren Vollendung der älteren Werke verlor. In herrlicher Weise hat der Russe Mereschkowski in seinem Roman »Lionardo da Vinci« den Wegen dieser eigenartigen Genialität nachgespürt.

      Daß Mozart dieser Gefahr so völlig entronnen ist, hat seinen tiefsten Grund wohl darin, daß für ihn das Formale keine Probleme ergab. Das elementar Musikalische, von jeglicher außermusikalischen Beimischung Freie seiner Empfindungsweise bewirkt, daß bei Mozart ein Widerstreit zwischen Form und Inhalt nicht möglich ist. Hier liegt auch die Erklärung dafür, daß seine Werke von so vollkommener Stileinheit sind. Dieser

      Mozartsche Stil

      ist der entzückendste Ausdruck seiner Persönlichkeit. Nichts ist ihm zu vergleichen. Wir wollen sein Wesen zu ergründen versuchen.

      Der 22jährige Mozart hat auf der Reise nach Paris an den Vater geschrieben, er würde sich sehr freuen, wenn er in Paris den Auftrag zur Komposition einer Oper erhalten würde, und soviel lieber ihm eine italienische Oper wäre, so würde er sich doch auch kecklich eine französische Oper übernehmen, »denn ich kann so ziemlich, wie sie wissen, aller Arten Stil von Kompositionen annehmen und nachahmen«. In der Tat, man wird von diesen Kompositionen aus den Wunderkinderjahren nicht ein ausgesprochen persönliches Gepräge erwarten. Das ist sogar das Gute dabei; denn so frühreif das Kind Mozart war, so große psychologische Rätsel seine Entwicklung aufgibt, psychopathisch, krankhaft wirken die Erscheinungen nirgends. Und so ist denn auch Mozarts frühe Kompositionstätigkeit im letzten Sinne die durchaus kindliche Eigenschaft der Nachahmungsfähigkeit, freilich in einer sonst kaum wieder anzutreffenden Höhe.

      Die Fähigkeit, alle Arten Stil anzunehmen, ward bei ihm zum Stilgefühl insofern dadurch, daß doch alle diese Stilarten durch ihn hindurchgehen mußten, sich bei ihm ganz natürlich die Empfindung einstellte, daß der und der Stil besser für diese Gelegenheit passe, als für eine andere. So offenbart sich schon in den Kompositionen, die der Zwölfjährige für Wien schuf, ein bewußtes, scharfes Auseinanderhalten im Stil der Kompositionen für die Kirche und für die Oper.

      Im Hinblick auf Mozart hat Richard Wagner den Satz geschrieben: »Der deutsche Genius scheint fast bestimmt zu sein, das, was seinem Mutterlande nicht eingeboren ist, bei seinen Nachbarn aufzusuchen, dies aber aus seinen engen Grenzen zu erheben und somit etwas Allgemeines für die ganze Welt zu schaffen.« Diese Universalität – nicht Internationalität – des Geistes haben vor allem deutsche Musiker angestrebt. Aber Mozart hat nicht nur »diese Universalität des deutschen Geistes in der höchsten Potenz vollbracht und die ausländische Kunst sich zu eigen gemacht, um sie zur allgemeinen zu erheben« (Wagner), – er hat das viel Höhere erreicht, daß die Weltsprache der Musik seine Persönlichkeitssprache wurde. Das haben wir nach meinem Gefühl seinem Herumreisen als Wunderkind zu danken, der Tatsache, daß er in so jungen Jahren die Stile der verschiedenen Völker sich zu eigen machte. Denn auf Italien folgte Paris, wo er die ganze Art der französischen Musik wirklich erleben konnte, überdies in aller Lebendigkeit die Werke Glucks auf sich einwirken ließ. Gerade weil er selber noch ein Kind oder Knabe oder doch noch ein unfertiger Jüngling war, übernahm er diese verschiedenen Musikstile als Formen. Da ein eigenes Seelenleben, die Persönlichkeit in ihm noch nicht entwickelt war, da er jugendlich empfand, nahm er alle diese fremde Kunst als Außenerscheinung in sich auf, nicht aber den tieferen Gehalt derselben, vor allen Dingen nicht die Art des Fühlens, die eine solche Ausdrucksweise


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