Totengesicht. Eberhard Weidner

Totengesicht - Eberhard Weidner


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      »Am besten ziehst du deine Handschuhe an«, sagte Alessia, bevor sie sich abwandte, und fügte, als sie das Badezimmer verließ, hinzu: »In fünf Minuten bin ich fertig.«

      Sie hatte schon wieder recht. Ich schüttelte den Kopf, weil ich nicht selbst an meine Handschuhe gedacht hatte. Aber vermutlich trug ich sie noch nicht lange genug bei mir, um mir ihrer Gegenwart ständig bewusst zu sein. Außerdem wollte ich sie nicht pausenlos tragen, sondern nur als Vorsichtsmaßnahme im dichtesten Gedrängel in allen öffentlichen Verkehrsmitteln, wo es meist eng zuging und Körperkontakt in der Regel unvermeidbar war. Deshalb trug ich in diesem Jahr sogar im Sommer immer langärmlige Shirts und Hemden.

      Ich hängte das Handtuch wieder ordentlich über den Halter und zog meine Handschuhe aus der Jackentasche. Wenn ich sie bereits getragen hätte, als ich die Wohnung das erste Mal betreten hatte, hätte ich mir um Fingerabdrücke auf der Elefantenmaske und in der restlichen Wohnung überhaupt keine Gedanken machen müssen und sofort die Polizei einschalten können. Vielleicht sollte ich sie von nun an immer tragen, sobald ich aus dem Haus ging, auch wenn ich dann noch öfter irritierte Blicke meiner Mitmenschen erntete.

      Ich streifte die Handschuhe über, überprüfte ihren Sitz und zog sie noch einmal glatt. Mir war allerdings klar, dass ich damit nur Zeit schinden und den Zeitpunkt, an dem ich mich dem Leichnam widmen musste, hinauszögern wollte. Doch es half ja nichts. Ich musste den Toten durchsuchen und hatte dafür nur ungefähr viereinhalb Minuten Zeit, weil wir uns beeilen mussten. Also sollte ich besser nicht länger zögern.

      Ich seufzte, bevor ich mich auf den Badewannenrand setzte, den ich vorhin erst sauber gewischt hatte, und meine Aufmerksamkeit auf die Leiche richtete. Die Kleidung des Mannes – Rollmütze, Rollkragenpulli, Jogginghose und Turnschuhe, alles in schwarz – erwies sich für mich nun als Glücksfall, denn da er keine Jacke und Jeans so wie ich trug, gab es nicht viele Taschen, in die ich meine Hände stecken und die ich durchwühlen musste, ohne zu wissen, was ich darin finden würde. Ich hoffte, dass er nicht der Typ war, der angelutschte Bonbons oder gekaute Kaugummis in die Hosentasche steckte.

      Die Jogginghose hatte nur vorn zwei Taschen, der Pulli überhaupt keine. Wenn ich mich endlich dazu aufraffen könnte, anzufangen, wäre ich vermutlich bald fertig und könnte die Leiche und das Bad verlassen.

      Ich streckte beide Hände nach vorn, fasste mit der linken zaghaft nach dem Saum des Pullis und zog ihn ein Stück nach oben, damit ich in die rechte Hosentasche fassen konnte. Ich verzog angeekelt das Gesicht, als ich meine rechte Hand langsam in den Schlitz der Tasche schob. Ich bewegte vorsichtig meine Finger, konnte jedoch nichts ertasten. Also schob ich sie tiefer hinein, bis sie auf den unteren Saum der Tasche stießen und es nicht weiterging. Ich tastete ein bisschen hin und her, fand jedoch rein gar nichts. Die Tasche war leer. Entweder hatte der Typ, weil er ein Profi war, nichts bei sich gehabt, das den Behörden für den Fall, dass er gefasst wurde, einen Hinweis auf seine Identität liefern könnte, oder derjenige, der ihn umgebracht hatte, hatte ihn schon durchsucht und alles mitgenommen.

      Ich zog meine Hand aus der Tasche, war froh über die Handschuhe und wiederholte die Prozedur dann auf der anderen Seite. Doch auch hier war das Ergebnis dasselbe. Obwohl ich durch den Stoff der Handschuhe nicht so gut fühlen konnte wie mit bloßen Fingern, fand ich nicht einmal einen Krümel in den Taschen der Jogginghose.

      Ich zog die Hand wieder heraus und war erleichtert, den Kontakt – auch wenn es kein Hautkontakt war – beenden zu können. Eigentlich hätte ich jetzt aufstehen und gehen können. Ich hatte ihn durchsucht und nichts gefunden. Aufgabe erledigt! Allerdings konnte ich mir vorstellen, dass Alessia mich fragen würde, ob ich den Toten wirklich gründlich durchsucht hatte. Wenn ich ihr dann sagen musste, wo ich gesucht hatte, würde sie mich vermutlich wieder ansehen, als hätte ich sie über alle Maßen enttäuscht.

      Ich seufzte, bevor ich beide Hände ausstreckte und den Körper des Toten systematisch abtastete, um zu überprüfen, ob er unter der Kleidung etwas bei sich trug. Die Leiche bewegte sich dabei ein bisschen, und der Schlauch, an dem sie hing, raschelte.

      Als die Leiche plötzlich ein lautes Stöhnen von sich gab, zuckte ich erschrocken zusammen und riss meine Hände zurück. Im ersten Moment dachte ich, Alessia und ich hätten uns geirrt und der Kerl wäre trotz des Lochs in seiner Stirn gar nicht tot, sondern nur bewusstlos gewesen und würde in diesem Augenblick wieder zu sich kommen. Doch ein kurzer Blick in seine Augen verriet mir, dass er noch immer mausetot war. Sein Mund stand jetzt allerdings ein wenig offen und entließ einen üblen Geruch, der mich angeekelt das Gesicht verziehen ließ. Anscheinend hatten sich noch Luftblasen in seinem Magen oder seiner Speiseröhre befunden und waren durch die leichte Bewegung des Körpers gelöst worden und nach oben gestiegen, um durch seinen Mund zu entweichen – ein postmortales Bäuerchen gewissermaßen.

      Obwohl es alles andere als witzig war, musste ich dennoch grinsen. Ich überlegte, ob ich die Leiche überhaupt noch weiter abtasten sollte. Vermutlich würde ich ohnehin nichts finden. Doch dann vergegenwärtigte ich mir Alessias missbilligenden Blick und machte weiter. Den Oberkörper hatte ich vor dem übelriechenden Rülpser bereits abgeklopft. Den Unterleib ließ ich aus. Selbst wenn er dort einen Ausweis, ein schriftliches Geständnis und eine Wegbeschreibung zu seinem Auftraggeber aufbewahren sollte, würde es mich dennoch nicht dazu bringen, an seinem Hintern oder seinem Intimbereich herumzufummeln. Igitt!

      Also klopfte ich die Beine ab, so wie ich es Polizisten im Fernsehen bei Leibesvisitationen hatte tun sehen. Erst das linke und dann das rechte Bein. Ich war allerdings nur noch halbherzig bei der Sache, da ich mir ohnehin nichts davon versprach.

      »Und? Was gefunden?«

      Ich erschrak, als Alessia mich so unvermittelt ansprach, denn ich hatte sie gar nicht hereinkommen gehört, und wandte ruckartig den Kopf. Sie stand in der offenen Badezimmertür, hatte eine kleine Reisetasche in der Hand und sah mich fragend an.

      Ich schüttelte den Kopf. »Wenn er überhaupt etwas bei sich hatte, dann muss es der Mörder mitgenommen haben.«

      Alessia sah enttäuscht aus. »Schade. Ich habe gehofft, wir würden etwas finden, das Licht ins Dunkel bringt und uns weiterhilft.«

      Ich zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid.«

      »Tja. Da kann man nichts machen. Aber jetzt sollten wir uns beeilen und zusehen, dass wir von hier verschwinden.«

      Ich erhob mich, warf einen letzten Blick auf den Toten und zog dann den Duschvorhang wieder zu, ehe ich mich der Tür näherte. »Hast du schon in der Toilette nachgesehen, ob meine Arbeitsmappe da liegt?«

      Alessia nickte. »Leider auch dort Fehlanzeige. Sie befindet sich also definitiv nicht mehr in der Wohnung. Und auch von der Maske und meinem Föhn fehlt jede Spur.«

      »Dann muss der Mörder die Sachen mitgenommen haben.«

      Alessia sagte nichts, sondern zuckte nur mit den Schultern. »Komm schon! Lass uns von hier verschwinden!« Sie wandte sich ab und setzte sich in Bewegung.

      Ich folgte ihr ohne ein weiteres Wort, und wir verließen die Wohnung. Während sie die Tür abschloss, wartete ich auf dem Treppenabsatz und überlegte, ob ich die Handschuhe anbehalten sollte. Ich entschied mich allerdings dagegen, denn mit den Handschuhen würde ich nur unnötige Aufmerksamkeit erregen. Und das wollte ich momentan lieber vermeiden, denn möglicherweise wurden wir bereits von einem weiteren Killer gesucht.

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