Totengesicht. Eberhard Weidner

Totengesicht - Eberhard Weidner


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      »Die Pistole lag auf der Spiegelablage?«

      »Ja! Das sagte ich doch gerade.«

      »Dann kann er sich wirklich nicht selbst erschossen haben.«

      »Meine Rede.« Ich verdrehte die Augen und hob die Schultern.

      »Aber wenn du ihn nicht erschossen hast, und er es auch nicht selbst getan hat, wer war es dann?«

      Ich schüttelte ratlos den Kopf, während mein Blick wieder zum Gesicht des Toten wanderte, das bleich war und mit jedem verstreichenden Moment mehr wie eine Totenmaske aussah. Er konnte noch nicht lange tot sein, doch das Blut in seinem Körper floss bereits, der Schwerkraft folgend, in die tieferen Regionen, nachdem es nicht länger von einem schlagenden Herzen in einem funktionierenden Blutkreislauf durch die Adern und Venen gepumpt wurde, um die absterbenden Zellen mit Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen. Was ich vor mir sah, war das wahre Totengesicht des Mannes. Der totenschädelartige Schatten über seinen Zügen, den ich zuvor gesehen hatte, als er versucht hatte, mich zu erdrosseln, war nur ein Vorzeichen seines Todes gewesen, gewissermaßen ein tödliches Omen. Dennoch hatte meine verfluchte Gabe erneut tadellos funktioniert. Ich hatte das Antlitz des Todes im Gesicht des Mannes gesehen, und gerade einmal eine Stunde später war er auch schon mausetot. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es immer schneller ging. Beim nächsten Mal würde die Person vielleicht schon unmittelbar nach unserem körperlichen Kontakt aus den Latschen kippen.

      Ich erschauderte, wandte rasch den Blick ab und sah Alessia an, die selbst dann einen zigfach angenehmeren und schöneren Anblick geboten hätte, wenn der Killer noch am Leben gewesen wäre. »Woher soll ich wissen, wer ihn umgebracht haben könnte?«, sagte ich und dachte darüber nach, was während unserer Abwesenheit geschehen sein mochte. Es kam mir beinahe so vor, als würde ich mir die Handlung für einen Kriminalcomic überlegen, den ich zeichnen wollte. »Vielleicht war es ein Komplize oder sein Auftraggeber. Immerhin hatte er die Sache vermasselt und seinen Auftrag nicht ausgeführt. Darüber hinaus kannten wir sein Gesicht und hätten der Polizei eine gute Beschreibung liefern können. Ich glaube nämlich nicht, dass hier momentan allzu viele Typen mit so einer Gangstervisage herumlaufen. Vermutlich wollte der Komplize oder der Mann, der hinter dem Mordauftrag steckt, nicht riskieren, dass die Polizei ihm über die Identität des Killers auf die Spur kommt.«

      Alessia runzelte die Stirn, während sie zuhörte, als würde sie intensiv darüber nachdenken. Nachdem ich geendet hatte, nickte sie langsam. »Vermutlich hast du recht, Rex. Es muss so oder ganz ähnlich gewesen sein, denn eine andere Möglichkeit sehe ich momentan auch nicht.«

      Ich nickte, sagte allerdings nichts, denn mir war noch eine weitere Möglichkeit eingefallen. Allerdings hätte diese Alternative das Eingreifen einer weiteren, bislang unbekannten Partei bedeutet, die vollkommen andere Ziele als der Killer und sein Auftraggeber verfolgte und den Mann getötet hatte. Allerdings hätte das unsere ohnehin schon nicht ganz einfache Situation nur unnötig verkompliziert, und darauf hatte ich jetzt überhaupt keine Lust, nachdem ich erst vor wenigen Minuten die Leiche eines mutmaßlichen Berufskillers gefunden hatte. Ich behielt die Option einer dritten Partei im Hinterkopf, allerdings nicht als echte Alternative, sondern nur als Handlungsidee für einen Comic, den ich vielleicht demnächst, inspiriert durch die Realität, zeichnen würde.

      Jäh fiel mir wieder ein, weswegen ich überhaupt ins Bad gegangen war. »Hast du wenigstens meine Arbeitsmappe gefunden?«

      Alessia hatte mit nachdenklicher Miene die Leiche angesehen, wandte nun den Kopf und sah mich verwirrt an, als wüsste sie nicht, wovon ich sprach. Dann hellte sich ihre Miene auf, als ihr dämmerte, was ich meinte. Sie schüttelte den Kopf. »Tut mir wirklich leid, Rex, aber ich hab die Mappe nirgends gefunden. Hast du schon im Wohnzimmer und auf der Toilette nachgesehen?«

      Ich nickte zuerst, schüttelte dann aber den Kopf, als mir einfiel, dass ich meine Suche gar nicht beendet hatte, nachdem ich die Pistole entdeckt hatte. »Im Klo hab ich noch nicht nachgesehen. Aber ich glaube nicht, dass meine Mappe dort ist.«

      Alessia nickte. »Wir sehen trotzdem nach, bevor wir gehen.«

      »Gehen?« Ich sah sie irritiert an.

      »Natürlich. Ich packe ein paar Sachen zusammen, und dann verschwinden wir schleunigst von hier. Oder glaubst du etwa, ich bleibe hier und leiste dem da Gesellschaft?« Sie deutete auf den toten Killer, sodass ich ihn unwillkürlich ansah. Er sah beleidigt aus, als hätte sie ihn mit ihren Worten gekränkt, aber das war natürlich Blödsinn. Wahrscheinlich war er nur zum Zeitpunkt seines Todes stocksauer und überrascht darüber gewesen, dass ihn, den Killer, jemand anderes gekillt hatte. Und dieser Gesichtsausdruck würde ihm jetzt erhalten bleiben, bis er vollständig verwest war. »Außerdem werde ich nicht hierbleiben und darauf warten, dass derjenige, der das getan hat, zurückkommt, den vermasselten Job zu Ende bringt und mich ebenfalls mit in die Badewanne packt.«

      Ich runzelte die Stirn. Komisch, wie schnell wir es doch als Tatsache akzeptiert hatten, dass jemand Alessia umbringen wollte und dafür einen Killer engagiert hatte, obwohl wir uns nicht einmal erklären konnten, wieso. Eigentlich geschahen solche Dinge nur in Filmen oder erfundenen Geschichten und nicht in der Realität gewöhnlicher Menschen. Doch irgendwie war ich heute, ohne es zu bemerken, aus meiner Realität in exakt so eine Geschichte gepurzelt, in der sich derartige Dinge ereigneten und anscheinend völlig normal waren, zumindest in Alessias Augen. Andererseits war ich aufgrund meiner Gabe vermutlich alles andere als gewöhnlich und hatte in den letzten Monaten schon mehr Todesfälle als üblich miterlebt. Ich beendete den Gedanken, denn wenn ich zu lange darüber nachdachte und mir erst so richtig bewusst machte, in welcher Gefahr ich geschwebt hatte und mich augenscheinlich noch immer befand, würde ich vermutlich nur verrückt werden.

      »Und was machen wir mir ihm?« Diesmal war ich es, der mit dem Zeigefinger auf den toten Mann am Brauseschlauch deutete.

      Alessia sah mich mit gerunzelter Stirn an und zuckte dann mit den Schultern. »Was willst du denn mit ihm tun, Rex? Einpacken und mitnehmen etwa?«

      Ich schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht.« Ich kam mir in diesem Moment reichlich doof und naiv vor. Alessia schien mit der Situation viel besser klarzukommen als ich, dabei gehörte ich zum angeblich stärkeren Geschlecht und sollte sie vor derartigen Dingen beschützen. Vielleicht war sie von Haus aus kaltherziger oder durch ihre Arbeit in einem Nachtklub und den Kontakt mit kriminellen Elementen abgestumpfter und hatte schon früher Gewalt und Verbrechen erlebt, sodass sie leichter damit umgehen konnte, während ich derartige Dinge – Auftragsmorde und erschossene Auftragskiller in der Badewanne – nur aus dem Kino oder Kriminalromanen kannte und bis heute nicht gedacht hatte, dass ich selbst einmal damit in Berührung kommen könnte. »Aber vielleicht sollten wir jetzt doch besser die Polizei rufen.«

      Sie sah mich an wie eine Lehrerin, die von ihrem Lieblingsschüler maßlos enttäuscht worden war. »Und wie sollen wir der Polizei deiner Meinung nach erklären, warum ein toter Mann in meiner Badewanne liegt? Die werden nicht lange nach anderen Verdächtigen Ausschau halten, sondern sich sofort auf die einzigen beiden Leute stürzen, die sie in Reichweite haben, und das sind dann dummerweise wir. Außerdem befinden sich deine Fingerabdrücke auf der möglichen Tatwaffe.«

      Ich erschrak, weil ich Idiot überhaupt nicht daran gedacht hatte. Als Krimineller wäre ich vermutlich die größte Niete gewesen und sofort im Knast gelandet. »Ich wische sie einfach ab«, sagte ich und nahm ein weißes Handtuch vom Halter neben dem Waschbecken. Dann bückte ich mich, hob die Pistole mithilfe des Handtuchs auf und wischte sie überall ab.

      »Und was ist mit den Abdrücken im Rest der Wohnung? Weißt du denn noch, was du alles angefasst hast.«

      Ich runzelte die Stirn, während ich wie besessen jede einzelne glatte Fläche der Pistole und des Schalldämpfers polierte. »Wir sagen einfach, wir wären befreundet und ich hätte dich gelegentlich hier besucht. Dass sich meine Fingerabdrücke in der Wohnung befinden, bedeutet doch nicht automatisch, dass ich diesen Mann ermordet habe.«

      »Da ist richtig. Aber hast du eigentlich die afrikanische Maske irgendwo gesehen, mit der du den Kerl hier geschlagen hast?«

      Ich überlegte, während ich die


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