Totengesicht. Eberhard Weidner

Totengesicht - Eberhard Weidner


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wir meinen Caffè Americano und einen Caffè Latte für sie geholt und Platz genommen hatten, hatte sie mich nach meinem Namen gefragt.

      »Sie können mich Rex nennen«, hatte ich wie üblich geantwortet.

      »Rex?«

      »So nennen mich meine Freunde. Eigentlich heiße ich Richard König.«

      Sie hob die Augenbrauen, als ihr die Herkunft meines Spitznamens klar wurde, und nickte dann. »Ich heiße Alessia, Alessia Engel.«

      »Freut mich, Sie kennenzulernen, Alessia, auch wenn es unter diesen unerfreulichen Umständen geschieht.«

      »Ganz meinerseits.«

      Dann war ich mir allerdings wieder meiner Mappe und der Dringlichkeit, sie zurückzubekommen, bewusst geworden, und hatte die gegenseitige Vorstellung mit der erneuten Wiederholung des Satzes »Ich muss sofort zurück und meine Mappe holen!« beendet, obwohl ich ihr ansah, dass sie vermutlich genauso viele Fragen an mich hatte wie ich an sie. Doch noch war ich nicht bereit, ihr erläutern zu müssen, warum ich sie bis zu ihrer Wohnung verfolgt hatte.

      Während ich die gespeicherte Nummer der Werbeagentur abrief, überlegte ich mir, wie ich ihr erklären sollte, warum ich so überraschend in ihrer Wohnung aufgetaucht war, auch wenn ich ihr dadurch vermutlich das Leben gerettet hatte. Denn die Wahrheit würde sie mir ohnehin nicht glauben.

      Als ich eine Sekretärin der Werbeagentur in der Leitung hatte, nannte ich meinen Namen und sagte ihr, dass ich den Termin in fünfzehn Minuten leider absagen müsse, weil ich völlig überraschend krank geworden sei. Dabei bemühte ich mich, heiser und ein wenig verschnupft zu klingen, und hustete zwischendurch.

      Alessia tat so, als würde sie meinem Telefonat keine Aufmerksamkeit schenken, ich sah jedoch, dass sie schmunzelte.

      Die Sekretärin hatte zum Glück allergrößtes Verständnis und wünschte mir gute Besserung. Es gelang mir, einen neuen Termin für den nächsten Tag zu vereinbaren. Bis dahin musste ich die Mappe allerdings wiederhaben, da sie sämtliche Originale meines Storyboards enthielt und ich keinerlei Kopien besaß.

      »Ein wichtiger Termin?«, fragte Alessia. Sie sah etwas blass aus, was nach allem, was wir erlebt hatten, natürlich kein Wunder war. Ansonsten wirkte sie allerdings erstaunlich gefasst für jemanden, der vor weniger als einer halben Stunde beinahe erschossen worden wäre. Vielleicht war ihr aber auch noch gar nicht bewusst geworden, wie knapp sie dem Tod entgangen war und dass sie ohne mein Eingreifen vermutlich längst tot wäre. Oder sie vermied es momentan bewusst, daran zu denken, und machte stattdessen lieber ein bisschen Smalltalk mit mir. Sie saß mit dem Rücken zur Wand und konnte jeden sehen, der das Starbucks betrat oder sich unserem Tisch näherte, während ich mich dazu umdrehen und über die Schulter schauen musste.

      Ich nickte und steckte mein Handy wieder weg. »Ein möglicher Auftrag für einen Werbetrickfilm. In der Arbeitsmappe befindet sich das Storyboard, das ich gezeichnet habe.«

      »Interessant. Dann sind Sie also Trickfilmzeichner.«

      »Auch. Hauptsächlich aber Comiczeichner und Illustrator. Und Sie?«

      Sie antwortete nicht sofort, sondern sah in ihren Caffè Latte, als müsste sie erst darüber nachdenken und könnte die Antwort darin finden. »Ich arbeite im Gastronomiebereich.«

      »Aha«, sagte ich und hob die Augenbrauen in der Erwartung, dass sie noch etwas ins Detail gehen würde. Das hatte sie jedoch anscheinend nicht vor. Vielleicht schämte sie sich ja, weil sie nur Kellnerin war. So genau musste ich es aber auch gar nicht wissen. Stattdessen wechselte sie plötzlich das Thema, als wäre es ihr unangenehm, und stellte die Frage, vor der ich mich die ganze Zeit gefürchtet hatte, da ich darauf ebenfalls ausweichend oder mit einer faustdicken Lüge reagieren musste.

      »Warum sind Sie mir eigentlich von der U-Bahnstation bis zu meiner Wohnung gefolgt?«

      Ich entschied mich für die Unwahrheit, die ich mir bereits auf dem Weg zu ihrer Wohnung überlegt hatte, als ich von dem Mann mit der Pistole noch nichts geahnt hatte. Ich spürte, dass es ihr nicht genügen würde, wenn ich ihrer Frage auswich, und sie vermutlich nachbohren würde. »Sie haben meine Schmerztabletten mitgenommen. Die wollte ich wiederhaben. Ich hatte heftige Kopfschmerzen und brauchte die Tabletten. Deshalb bin ich Ihnen nachgegangen.«

      Sie nickte. »Und warum haben Sie mich dann nicht schon auf der Straße eingeholt und darauf angesprochen, wenn Sie die Tabletten schon so dringend benötigten?«

      Ich zuckte mit den Schultern. »Sie waren schon zu weit vor mir, als ich beschloss, Ihnen zu folgen, um meine Tabletten zurückzubekommen. Und ich wollte nicht rennen, weil manche Leute das missverstehen könnten. Man hätte mich für einen Dieb auf der Flucht halten können.«

      Sie schmunzelte, sah aber nicht so aus, als wäre sie von meiner Erklärung wirklich überzeugt.

      »Ich wollte keine Aufmerksamkeit erregen, deshalb folgte ich Ihnen einfach bis zu Ihrer Wohnung. Und als ich dann klingeln wollte, sah ich, dass die Tür nur angelehnt war. Das kam mir merkwürdig vor. Deshalb schob ich die Tür auf und sah den Mann mit der Pistole in Ihrem Flur.«

      »Und da beschlossen Sie kurzerhand, sich mit einem Bewaffneten anzulegen und mein Leben zu retten. Wer sind Sie? Batman?«

      Ich schüttelte den Kopf. »Ich muss zugeben, dass ich in diesem Moment gar nicht viel darüber nachgedacht habe, was ich tue, sonst wäre ich vermutlich sofort wieder verschwunden. Ich handelte eher instinktiv und ohne zu überlegen.«

      »Zum Glück«, sagte sie und atmete einmal tief durch. »Und vermutlich wird es langsam Zeit, dass ich mich bei Ihnen bedanke und Sie nicht länger mit Fragen löchere, Rex. Vielen Dank also, dass Sie nicht wieder verschwunden sind, sondern das Richtige getan haben. Sie haben mir vermutlich das Leben gerettet. So hätte nicht jeder reagiert.«

      »Ich bin froh, dass ich es getan habe. Allerdings wäre ich noch glücklicher, wenn ich meine Arbeitsmappe wiederhätte.«

      »Natürlich.« Sie sah auf ihre Armbanduhr, die silbern und mit glitzernden Steinen besetzt war und ein schmales weißes Lederband besaß. Ich wusste nicht, ob die Steine echt waren, die Uhr sah allerdings sehr teuer aus. »Aber wir sollten noch mindestens zehn Minuten warten, bevor wir zurückgehen.«

      »Wir?«

      »Selbstverständlich. Ich lasse Sie doch nicht allein dorthin gehen. Schließlich handelt es sich um meine Wohnung. Außerdem wären Sie ohne mich gar nicht in diesen Schlamassel geraten. Es ist das Mindeste, was ich tun kann, nachdem Sie mein Leben gerettet haben.«

      Ich nickte, denn sie hatte erneut recht. Und der Mann mit der Waffe war vermutlich schlau genug und hatte längst das Weite gesucht, weil er damit rechnen musste, dass wir so schnell wie möglich die Polizei informieren würden.

      »Sie sollten die Polizei benachrichtigen«, sprach ich den Gedanken aus, der mir soeben zum ersten Mal gekommen war, seit wir vor dem Killer geflohen waren.

      Sie sah mich überrascht an und runzelte dann die Stirn, als wäre sie bislang ebenfalls noch nicht auf diesen Gedanken gekommen. »Die Po-li-zei?«, fragte sie gedehnt, als wäre das Wort neu für sie.

      »Ja. Immerhin hatte dieser Typ die Absicht, Ihnen etwas anzutun und Sie vielleicht sogar zu töten. Und mich hätte er ebenfalls beinahe umgebracht. Wir sollten die Polizei darüber informieren, damit nach dem Kerl gefahndet wird, denn unter Umständen versucht er es erneut. Und solange er sich auf freiem Fuß befindet, sind Sie weiterhin in tödlicher Gefahr. Die Polizeibeamten könnten darüber hinaus Ihre Wohnung checken. Wenn die Luft rein ist, können Sie zurück in Ihr Heim, und ich kann meine Mappe holen. Vielleicht bekommen Sie sogar Polizeischutz, solange der Killer auf freiem Fuß ist.«

      Sie dachte mit gerunzelter Stirn über meine Worte nach, während sie ihren Blick durch das Café schweifen ließ. Sogar ihr Stirnrunzeln sah apart aus, als hätte sie es tausendmal vor dem Spiegel geübt, um es mit dieser Perfektion hinzukriegen.

      »Ich glaube, das ist keine so gute Idee.«

      Nun war es an mir, die Stirn zu runzeln


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