Totengesicht. Eberhard Weidner

Totengesicht - Eberhard Weidner


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ihm meine zur Faust geballte rechte Hand mit aller Kraft auf seine Knollennase, die ich wieder deutlich genug erkennen konnte, weil der Schatten auf seinem Gesicht sich allmählich wie Nebel in der Mittagssonne auflöste.

      Er grunzte und funkelte mich sofort noch zorniger an. Hätten Blicke töten können, hätte er seine Hände gar nicht mehr dazu benutzen müssen. Ansonsten schien mein Hieb allerdings nichts bewirkt zu haben, sodass ich kurz davor stand, zu verzweifeln und jegliche Hoffnung auf ein Überleben aufzugeben.

      Doch da wich der Zorn schlagartig aus seinen braunen Augen und machte einem Ausdruck tiefster Verwunderung Platz. Gleichzeitig lockerte sich der Griff seiner Hände um meinen Hals, und er taumelte einen Schritt zur Seite. Ich sog erleichtert frische Atemluft in meine Lunge, befreite mich aus seinem Griff und wich zurück. Er torkelte nach links und prallte gegen die Wand, bevor er auf die Knie sank, den Oberkörper nach vorn beugte und laut stöhnte. Allerdings fiel er nicht um und verlor auch nicht das Bewusstsein.

      Ich wandte den Kopf und sah zu der Frau, die den größten Föhn in der Hand hielt, den ich jemals gesehen hatte. Sie sah auf den knienden und laut stöhnenden Attentäter, der in diesem Moment die rechte Hand hob und sich an den Hinterkopf fasste, wo ihn der Schlag mit dem Föhn getroffen hatte. Dann wandte sie den Kopf und sah mich an. Was jetzt?, schien ihr wortloser Blick zu bedeuten.

      Ich sah von ihr zu dem Mann, der noch vor wenigen Augenblicken drauf und dran gewesen war, mich zu erwürgen, und fasste mit der linken Hand unwillkürlich an meinen Hals, der noch immer etwas schmerzte. Der andere hob den Kopf und sah erst mich und dann die Frau an. Sein Blick und sein Gesichtsausdruck versprachen uns einen schmerzhaften und keineswegs raschen Tod. Zumindest sahen meine Comicfiguren so aus der Wäsche, wenn sie dies ihren Gegnern wünschten.

      »Wir müssen hier weg!«, rief ich, ohne den Blick von ihm zu wenden, und meinte die Frau.

      »Aber …«, begann sie, als gäbe es tatsächlich auch nur ein einziges vernünftiges Argument, in der Nähe eines bewaffneten Gewalttäters zu bleiben, den wir gerade eben so richtig wütend gemacht hatten.

      »Kein Aber!«, sagte ich entschlossen, während ich gleichzeitig nach der Schusswaffe Ausschau hielt. Ich entdeckte sie rasch, doch zu meinem Leidwesen musste ich feststellen, dass sie sich näher bei ihm als bei einem von uns befand.

      Der Mann folgte meinem Blick und sah die Pistole ebenfalls, die nur knapp außerhalb seiner Reichweite lag. Ein bösartiges Grinsen breitete sich daraufhin auf seinem Gesicht aus, das ihn noch mehr wie Kater Carlo aussehen ließ, wenn dieser einen hinterlistigen Plan ausheckte.

      Ich ahnte, dass uns nur noch Sekunden blieben. »Los! Kommen Sie schon! Sofort!«

      Endlich schien auch sie den tödlichen Ernst unserer Lage erfasst zu haben, denn sie reagierte, ohne noch länger zu zögern. Sie ließ den Föhn fallen, dessen Plastikgehäuse ohnehin schon gesplittert war, und rannte los. Als sie den Mann passierte, der sie töten wollte, kam auch in diesen wieder Bewegung. Er ließ sich einfach in die Richtung fallen, in der seine Pistole lag, und griff danach. Ich wartete nicht ab, bis er sie wieder in der Hand hatte, sondern warf mich herum und rannte ebenfalls los, sobald die Frau an mir vorbei war.

      Zwischen meinen Schulterblättern prickelte es, während ich hinter der Frau auf die Ecke des Flurs zusteuerte, um dahinter Schutz vor den Kugeln zu suchen, die der Mann jeden Moment auf uns abfeuern würde. Ich zog unwillkürlich den Kopf ein, um ein kleineres Ziel zu bieten, auch wenn mir das bei dieser kurzen Distanz nicht viel nützen würde. Mein Herz raste wie verrückt, und der Schweiß brach mir am ganzen Körper aus, während ich darauf wartete, dass sich eine Kugel in meinen Rücken bohrte und der Aufprall mich nach vorne warf. Es war ein verdammt unangenehmes und beängstigendes Gefühl, so als hätte ich eine Zielscheibe auf dem Rücken meiner Lederjacke. Und vermutlich würde ich den Schuss wegen des Schalldämpfers nicht einmal hören, bevor mich die Kugel erwischte.

      Trotz der tödlichen Gefahr, in der wir schwebten, fiel mir in diesem Moment dennoch auf, dass die Frau noch immer dieselbe Kleidung trug, die sie auch bei unserer Begegnung in der U-Bahnstation angehabt hatte. Dann hatte sie vermutlich gar keine Dusche genommen, sondern nur das Wasser am Waschbecken laufen lassen und sich dort gewaschen. Deshalb war sie auch nicht lange im Bad gewesen. Hätte sie hingegen geduscht und das Wasser länger laufen lassen, hätte ich genügend Zeit gehabt, mich an den Mann heranzuschleichen und ihn mit einem gezielten Hieb niederzuschlagen. Aber es war nicht nur müßig, jetzt und in dieser Situation darüber nachzusinnen, was hätte sein können, es war auch schlichtweg irrsinnig, denn jeden Augenblick konnte ich erschossen werden.

      Über unsere trampelnden Schritte hinweg hörte ich, wie hinter uns ein schwerer Körper auf dem Boden landete. Vor meinem geistigen Auge sah ich, wie Carlo, von dessen Reaktionsschnelligkeit und Geschmeidigkeit, die absolut im Widerspruch zu seiner äußerlichen Erscheinung stand, ich vorhin schon einen kleinen Vorgeschmack erhalten hatte, blitzschnell nach seiner Pistole griff, kaum dass er auf dem Teppich aufgekommen war, die Hand nach vorne riss, auf mich anlegte und den Zeigefinger krümmte. Es sah aus wie aus einem Actionfilm, bestand allerdings aus einzelnen Bildern wie in einem Comicstrip. Es fehlte nur noch das fett und kursiv gedruckte Wort BANG! im letzten Bild.

      Die Frau bog vor mir um die Ecke und war in Sicherheit. Ich war hingegen noch einen halben Meter davon entfernt. Jeden Moment musste der Schuss fallen und das todbringende Projektil abgefeuert werden. Vermutlich benötigte es nicht einmal den Bruchteil einer Sekunde, um mich zu erwischen. Bis ich hingegen die Ecke erreichte und ebenfalls dahinter verschwinden konnte, würde es länger dauern.

      Im selben Augenblick, als ich in Gedanken vor mir sah, wie sich der Zeigefinger des Mannes am Abzug der Pistole krümmte – BANG! –, warf ich mich in einem flachen Hechtsprung nach vorn. Von hinten hörte ich allerdings keinen lauten Knall, sondern nur ein dünnes Klacken, weil der Schalldämpfer den Mündungsknall dämpfte. Ich spürte nicht einmal, dass die Kugel nur knapp über mich hinwegsauste, hörte und sah jedoch, wie sie ein Loch in den Verputz des Flurs vor mir stanzte.

      Sobald ich am Ende meines Becker-Hechts mit den Händen den Boden berührte, warf ich mich auch schon nach links, um hinter die Flurbiegung und in Deckung vor weiteren Kugeln zu gelangen. Ich hörte die Waffe noch zweimal klacken, die Projektile schlugen jedoch hinter der Ecke in die Wand und konnten mir nicht gefährlich werden. Der Mann stieß daraufhin einen lauten Fluch in einer Sprache aus, die mir vollkommen fremd war.

      Die Frau hatte in diesem Teil des Flurs auf mich gewartet, packte mich am rechten Oberarm und half mir, rasch auf die Beine zu kommen. Von jenseits der Biegung wurden Geräusche hörbar, die uns verdeutlichten, dass der Mann dasselbe tat und allem Anschein nach noch nicht bereit war, sein Vorhaben aufzugeben. Wäre ja auch zu schön gewesen.

      »Weiter! Schnell! Raus hier!«, rief ich laut, da mir zum einen die Atemluft für längere Sätze fehlte und sich auch zuvor schon knappe Befehle bewährt hatten. Die Frau widersprach dieses Mal auch nicht. Gewiss hatten auch die Kugeln, die die Wände ihres Flurs perforiert hatten, ihren Teil dazu beigetragen, ihren Widerspruchsgeist zu dämpfen. Sie nickte mit ernster Miene und lief dann zur Wohnungstür. Ich rannte sofort hinterher und warf einen Blick über die Schulter.

      Wenn der Mann hinter der Flurbiegung auftauchte, bevor wir die Tür erreicht und das Treppenhaus betreten hatten, dann hatten wir vermutlich nicht mehr die geringste Chance, die Wohnung lebend zu verlassen. Dann konnte er uns in aller Seelenruhe abschießen wie Tonfiguren in einer Schießbude. Doch noch tauchte er nicht hinter der Gangbiegung und in meinem Blickfeld auf.

      Obwohl ich den Gang hinter mir ungern aus den Augen ließ, musste ich meinen Blick wieder nach vorn richten, um nicht gegen ein Hindernis zu laufen, denn die dadurch bewirkte Verzögerung hätte meinen sicheren Tod bedeutet. Ich sah, dass die Frau, die allem Anschein nach schneller war als ich, die Tür erreichte, die ich nach meinem Eintreten weit offen stehen gelassen hatte, und ins Treppenhaus rannte.

      Ich spürte erneut ein Prickeln zwischen den Schulterblättern, kurz bevor ich ebenfalls an der Wohnungstür war. Auch ohne mich umzusehen, wusste ich in diesem Moment, dass Carlo mit der Schusswaffe hinter mir um die Ecke gekommen war und auf mich anlegte. Ich griff nach dem Türknopf und zog die Tür zu, während ich nach draußen


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