VIER TODESFÄLLE UND EIN TANKSTELLENRAUB. Eberhard Weidner
nach den Mördern finden würde. »Na gut. Aber verrätst du mir dann wenigstens jetzt schon, wie Schlagzeile Nummer drei nun lautet?«
»Nichts lieber als das. Hier kommt sie: Autodieb fährt gestohlenen Wagen in Weiher und ertrinkt.«
»Ach ja. Davon hab ich letzte Nacht auch gehört. Aber was hat das mit unserem Fall zu tun?«
Schäringer zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Aber findest du es nicht auch merkwürdig, dass in derselben Nacht, in der ein Tankstellenkassierer bei einem Raub erschossen und ein Junkie im Park erstochen wird, ganz in der Nähe jemand mit einem gestohlenen Wagen in einen Weiher rast und anschließend ertrinkt?«
»Purer Zufall, würde ich mal sagen. Kommt immer wieder mal vor. Wahrscheinlich hatte der Idiot nur zu viel getrunken. Oder hast du irgendwelche Informationen, dass diese drei Vorfälle etwas miteinander zu tun haben?«
»Bisher noch nicht. Die Kriminaltechnik hat allerdings noch nicht alle Spuren auswerten und untersuchen können. Ich hoffe, dass wir da im Laufe des Tages nähere Informationen bekommen, und behalte es trotzdem für meine eigenen Ermittlungen im Auge.«
»Mach, was du ohnehin nicht lassen kannst, Franz. Kommt jetzt wenigstens die Schlagzeile mit dem toten Junkie?«
»Nein. Erst kommt noch die hier: Fahrraddiebstahl in der Rosenstraße. Hochwertiges Trekking Bike aus offener Garage gestohlen.«
Baum sah Schäringer mit einem Blick an, als zweifelte er nun doch ernsthafter am Verstand des älteren Kollegen. »Das ist jetzt aber nicht dein Ernst, oder?«
»Was ist nicht mein Ernst?«
»Du willst jetzt nicht auch noch ernsthaft behaupten, dass zwischen einem ordinären Fahrraddiebstahl und zwei vorsätzlichen Morden ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen könnte, oder?«
»Wieso denn nicht? Die Rosenstraße ist von beiden Tatorten nicht weit entfernt, und der Diebstahl erfolgte vermutlich kurz vor dem Überfall.«
»Wahrscheinlich hat der Eigentümer erst zu dem Zeitpunkt bemerkt, dass sein Drahtesel weg ist, und das Ding wurde schon viel früher von irgendeinem übermütigen Rotzlöffel gemopst. Glaubst du etwa, jemand, der eine Tankstelle ausrauben will, fährt mit dem Fahrrad dorthin, wenn er hinterher schnell flüchten muss?«
Schäringer zuckte erneut mit den Schultern. »Möglich wäre das doch, oder?«
»Möglich ist alles. Aber ob es auch wahrscheinlich ist, das ist doch die große Frage. Und ich halte es eben für sehr unwahrscheinlich. Aber lass uns lieber mit deiner Schlagzeilengeschichte weitermachen. Ich hoffe, jetzt kommt endlich unser zweiter Mordfall.«
»Wenn ich dir damit eine Freude machen kann. Hier ist sie: Mord im Stadtpark. Erstochener Drogensüchtiger vermutlich Opfer eines misslungenen Drogendeals.«
»Da könnten die Jungs von der Zeitung sogar recht haben. Wir sollten das Umfeld des Opfers … Wie war noch mal sein Name?«
Schäringer beugte sich erneut nach vorn, schob die obere Akte zur Seite und öffnete die zweite. »Lukas Lang«, sagte er dann, nachdem er den Eintrag gefunden hatte.
»Danke. Wir sollten das Umfeld von Lukas Lang überprüfen. Vielleicht erfahren wir ja, von wem er üblicherweise seinen Stoff bezog. Und Bingo, haben wir schon einen Hauptverdächtigen.«
»Das kannst ebenfalls du erledigen. Nimm dir am besten gleich alle drei männlichen Todesopfer Lukas Lang, Tim Bloch – das ist der ertrunkene Autodieb – und Fabian Becker vor. Durchsuch ihre Wohnungen und befrag die Eltern, Bekannten, Arbeitskollegen und jeden, der sie sonst noch kannte.«
»Gut. Und was machst du so lange?«
»Ich kümmere mich um die Spuren, die Gerichtsmedizin und die anderen Fälle.«
»Welche anderen Fälle meinst du? Wenn ich dich daran erinnern darf: Wir sind die Mordkommission, und es gab letzte Nacht nur zwei Mordfälle. Alles andere, was in Oberhofberg passierte, hat mit unseren Ermittlungen vermutlich überhaupt nichts zu tun und führt uns nur auf falsche Fährten.«
»Mal sehen. Pass auf, ich schlage dir eine Wette vor. Wenn ich mich tatsächlich täusche und die anderen Vorfälle gar nichts mit den Morden zu tun haben, kaufe ich dir eine Eintrittskarte für das nächste Spiel der Bayern.«
»Aber das muss mindestens ein Champions-League-Spiel sein. Bin schon gespannt, gegen wen sie in der nächsten Runde spielen, Barcelona, Real oder Dortmund. Eine Karte für ein Auswärtsspiel wäre echt geil.«
»Aber nur die Karte. Die Fahrtkosten kannst du selber zahlen.«
»Abgemacht.«
»Okay. Aber wenn ich doch recht habe, bekomme ich auch etwas von dir, Lutz!«
»Und was? Eine Eintrittskarte für die Oper, Opa?«
Schäringer grinste und schüttelte den Kopf. »Nein, wenn ich recht habe, wirst du in diesem Büro nie wieder über Fußball reden, verstanden?«
Baum überlegte nur kurz und zuckte dann mit den Schultern. »Von mir aus. Du hast sowieso unrecht. Aber von welchen anderen Fällen sprichst du eigentlich genau? Meinst du den ertrunkenen Autodieb und den Fahrraddiebstahl?«
»Auch, aber nicht nur. Du hast die Schlagzeile Nummer sechs noch nicht gehört.«
»Dann lass mal hören.«
»Unbekannte von ICE überrollt. Behörden gehen von Suizid aus.«
»Ein Selbstmord? Da glaube ich ja noch eher, dass unser Tankstellenräuber tatsächlich das Fahrrad geklaut hat. Aber wenn du meinst. Ich wünsche dir auf jeden Fall schon mal viel Spaß bei deinen überflüssigen Ermittlungen, denn ich muss jetzt gehen. Da ich mich auf das Wesentliche, nämlich auf unsere beiden Mordfälle, konzentriere und dabei fast alles allein machen muss, hab ich heute nämlich noch eine Menge Arbeit vor mir.« Er stand auf, warf den leeren Kaffeebecher in den Papierkorb und schlenderte langsam zur Tür. »Wir sehen uns vermutlich erst heute Abend wieder, um unsere Ermittlungsergebnisse auszutauschen. Ach ja, wie lautet eigentlich die siebte Schlagzeile? Das ist bestimmt der Knaller, oder?«
»Wie man’s nimmt. Die letzte Schlagzeile, die mir bedeutsam erschien, lautet: Bürgermeister entsetzt über Häufung von Gewaltdelikten. Laut Polizei keine Verbindung zwischen den Ereignissen der letzten Nacht.«
»Da siehst du’s, Franz. Es gibt keine Verbindung!«
»Vielleicht täusche ich mich ja tatsächlich. Aber irgendwie hab ich trotzdem das Gefühl, dass all diese Dinge zusammenhängen.«
»Tsss!«, machte Baum nur, winkte Schäringer zum Abschied zu und verließ das Büro.
2.
Oberhofberg, Rosenstraße
11. April 2013, 9:45 Uhr
Nachdem Schäringer kurze Zeit später ebenfalls das Büro verlassen hatte, fuhr er ins 25 Kilometer von Fürstenfeldbruck entfernt gelegene Oberhofberg, das in der letzten Nacht durch die unerklärliche Häufung von Gewaltdelikten traurige Berühmtheit erlangt hatte. Sein erster Weg führte ihn zur örtlichen Polizeiinspektion, wo der Diebstahl des Trekking Bikes angezeigt worden war. Er ließ sich eine Kopie der Diebstahlanzeige geben, auf der nicht nur die Anschrift der Eigentümer stand, sondern auch Informationen über das gestohlene Fahrrad festgehalten worden waren, die eine Identifizierung des Diebesguts ermöglichten.
Anschließend fuhr er zu der Adresse und parkte seinen Wagen am Straßenrand vor dem gepflegten Garten eines hübschen Einfamilienhauses. Er stieg aus und ging zur Doppelgarage, deren Tore geschlossen waren. Anscheinend hatten die Eigentümer aus dem Diebstahl gelernt und ließen die Tore nicht mehr für längere Zeit unbeaufsichtigt offen stehen.
Noch bevor er zur Haustür gehen und klingeln konnte, tauchte an der Hausecke eine etwa dreißigjährige, blonde Frau auf, die einen pflegeleichten Kurzhaarschnitt hatte und ein schlichtes, blaues Kleid trug,