VIER TODESFÄLLE UND EIN TANKSTELLENRAUB. Eberhard Weidner

VIER TODESFÄLLE UND EIN TANKSTELLENRAUB - Eberhard Weidner


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Kriminalpolizei«, antwortete er, zückte gleichzeitig seinen Dienstausweis und ging auf die Frau zu, die sich daraufhin sichtlich entspannte. »Sind Sie Frau Hartwig?«

      Sie nickte unsicher. »Kriminalpolizei?«

      »Ja. Wir ermitteln in den beiden Mordfällen, die gestern Nacht hier im Ort verübt wurden. Vermutlich haben Sie davon gehört. Im Rahmen unserer Ermittlungen gehen wir auch allen anderen Delikten nach, die gestern in unmittelbarer Nähe zu den Tatorten verübt wurden. Aus diesem Grund hätte ich auch an Sie ein paar Fragen wegen des gestohlenen Trekking Bikes, Frau Hartwig.«

      Sie musterte den Dienstausweis aufmerksam und verglich das Foto mit seinem tatsächlichen Aussehen. Allem Anschein nach hatte er immer noch genügend Ähnlichkeit mit seinem Ausweisfoto, um keine Zweifel an seiner Identität bei ihr aufkommen zu lassen, denn sie sagte: »Da müssen Sie meinen Mann fragen. Ihm gehörte das Rad. Aber Markus ist momentan nicht da, sondern im Büro.«

      Schäringer nickte. »Vielleicht können Sie mir trotzdem ein paar Fragen beantworten, wenn Sie gerade Zeit haben, Frau Hartwig.«

      Sie zuckte mit den Schultern. »Ich hab um halb elf einen Termin beim Augenarzt, aber für ein paar Fragen habe ich natürlich Zeit. Was wollen Sie wissen, Herr Kommissar?«

      Er holte die Kopie der Diebstahlanzeige aus der Innentasche seines Jacketts. »Bei dem Fahrrad handelte es sich nach Angaben Ihres Mannes um ein Maranello Light Trekking Bike von KTM im Wert von 1.100 Euro. Ist das korrekt?«

      Sie verzog das Gesicht und zuckte erneut mit den Schultern. »Wenn mein Mann das bei der Polizei so angegeben hat, dann wird das auch stimmen. Ich selbst kenne mich damit nicht aus.«

      »Und das Fahrrad stand zum Zeitpunkt des Diebstahls in der Garage.«

      »Das kann ich bestätigen! Ich kann Ihnen sogar die Stelle zeigen, wenn Sie wollen.«

      Er nickte.

      »Augenblick, ich muss nur erst das Tor aufmachen. Einer der elektrischen Garagentoröffner liegt im Hausflur.«

      Sie wandte sich um und verschwand um die Hausecke, hinter der sie hervorgekommen war.

      Schäringer drehte sich um und ging langsam zurück zur Garage. Er sah sich aufmerksam um und suchte dabei vor allem auf der Zufahrt zur Garage nach Spuren, konnte auf den Pflastersteinen allerdings nichts entdecken.

      Nach zwei Minuten begann sich das linke Tor, das näher an der Haustür lag, rumpelnd und quietschend zu heben. Die Haustür ging auf, und Frau Hartwig kam heraus. Sie warteten, bis das Tor sich vollständig geöffnet hatte und zum Stillstand gekommen war, ehe sie die Garage betraten. Der linke Stellplatz war verwaist. Vermutlich stand hier sonst das Auto des Ehemanns, mit dem er heute früh ins Büro gefahren war. Hinter dem geschlossenen Tor stand ein roter Fiat 500. In den Ecken standen Felgenbäume mit Winterreifen, an den Wänden hing Werkzeug, und an der Wand vor der Motorhaube des Fiat lehnte ein Damenfahrrad an der Wand.

      »Hier stand auch das Fahrrad meines Mannes.«

      »War es abgesperrt oder sonst irgendwie gesichert?«

      Frau Hartwig seufzte. »Doch nicht hier in der Garage.«

      »Aber die Garage war offen?«

      »Bedauerlicherweise ja. Als ich nämlich nach dem Einkaufen nach Hause kam, wollte ich nur schnell die Einkäufe in die Küche bringen und sofort danach das Tor zumachen. Aber dann klingelte das Telefon, und hinterher hab ich vergessen, dass es noch offen war. Erst als mein Mann um halb zehn am Abend nach Hause kam, bemerkten wir, dass die Garage die ganze Zeit offen gestanden hatte. Und da stellten wir dann auch fest, dass das Fahrrad fehlte. Mein Mann hat gleich die Polizei angerufen und wurde gebeten, heute Vormittag auf seinem Weg ins Büro vorbeizukommen, um eine Diebstahlanzeige aufzugeben.«

      »Also war es purer Zufall, dass die Garage gestern offen war, weil sie sonst immer verschlossen ist?«

      Sie nickte. »Immer. Außer natürlich, wenn einer von uns gerade raus- oder reinfährt. Aber danach machen wir das Tor sofort wieder zu.«

      »Was ist mit Kindern, die so etwas öfter mal vergessen, Frau Hartwig?«

      Sie schüttelte den Kopf. »Markus und ich haben noch keine Kinder.«

      »Da Sie vom Einkaufen gekommen waren, gehe ich davon aus, dass das rechte Tor offen stand. Dann konnte man das Fahrrad von der Straße vermutlich sehen.«

      »Davon gehe ich aus. Der Dieb sah das Rad, hatte keine Lust mehr zu laufen, nutzte seine Chance, rannte in die Garage, schnappte sich das Rad und fuhr weg. Der Diebstahl dauerte vermutlich nur wenige Sekunden.«

      Schäringer nickte. »Sie haben aber niemanden gesehen, oder?«

      »Nein. Ich war ja die ganze Zeit über im Haus und habe auch bei meiner Ankunft niemanden in unserer Straße bemerkt.«

      Schäringer sah sich in der Nähe des Platzes um, an dem das gestohlene Fahrrad gestanden hatte, bückte sich und begutachtete den Boden, ob es dort irgendwelche Spuren gab. Doch der gegossene Betonboden war makellos sauber. Es gab weder Fuß- noch Reifenabdrücke, und es lag auch kein Dreck herum.

      »Haben Sie vielleicht etwas gefunden, was dem Dieb gehört haben könnte?«

      »Nein. Tut mir leid, aber hier war nichts.«

      Schäringer musterte das Damenfahrrad. »Ihr Fahrrad ist ja von derselben Marke.«

      Sie nickte strahlend. »Natürlich! Wir haben Sie vor anderthalb Jahren zusammen gekauft, ein Damen- und ein Herrenfahrrad.«

      »Ich würde mir gern einen Abdruck eines Ihrer Reifen machen, um diesen dann gegebenenfalls mit Spuren an den Tatorten zu vergleichen, wenn Sie nichts dagegen haben, Frau Hartwig.«

      »Da habe ich eine viel bessere Idee«, sagte sie, ging an ihm vorbei zur Seitenwand, wo unter anderem eine Aluminiumleiter an der Wand hing, und nahm einen von zwei Fahrrad-Mänteln, die unter der Leiter an einem Haken hingen und die er bislang gar nicht bemerkt hatte. »Sie können sich für die Dauer Ihrer Ermittlungen gern diesen Mantel ausleihen. Er ist nämlich identisch mit den Reifen am Rad meines Mannes. Markus ist immer übervorsichtig und hat sich deshalb schon beim Kauf der Räder Ersatz-Mäntel geben lassen, falls mal einer kaputtgeht.«

      »Perfekt!«, sagte Schäringer und nickte anerkennend.

      »Ich hoffe, ich konnte Ihnen damit helfen. Der Verlust des Fahrrads ist zwar bedauerlich, aber im Vergleich zu den anderen Dingen, die letzte Nacht geschahen, nicht so schlimm. Viel furchtbarer finde ich es ja, dass die Mörder der beiden jungen Männer noch immer auf freiem Fuß und vielleicht noch immer irgendwo in der Nähe sind. Ich hoffe, Sie schnappen die Kerle bald.«

      »Das hoffe ich auch«, antwortete Schäringer. »Und ich bin sehr zuversichtlich, dass uns das bald gelingen wird.«

      3.

      Umgebung von Oberhofberg, Eisenbahntunnel

      11. April 2013, 10:33 Uhr

      Mit dem Fahrrad-Mantel auf dem Beifahrersitz fuhr Schäringer durch Oberhofberg. Er hatte sich alle Tatorte – die Tankstelle, den Weiher, den öffentlichen Park in der Ortsmitte, die Garage der Hartwigs und die Stelle des Selbstmords der jungen Frau vor dem Eisenbahntunnel auf einer Karte markiert. Sie bildeten zwar keine schnurgerade Linie, die eine Systematik erkennen ließ, lagen aber dennoch aufgereiht wie Perlen auf einer leicht gewundenen Schnur, die insgesamt von Nordwesten nach Südosten verlief.

      Er folgte gerade dem letzten Teil dieser Linie und fuhr auf einem engen Kiesweg durch den Wald. Als er schon wieder zwischen den Bäumen heraus und ins Freie kam, lag linker Hand des Weges ein verlassener, heruntergekommener Bauernhof. Das Wohnhaus musste schon vor Jahren niedergebrannt sein. Die Scheune daneben stand völlig schief und machte den Eindruck, als könnte sie jeden Moment beim feinsten Windhauch einstürzen.

      Er konzentrierte sich auf den schmalen Feldweg, der ihn zum Bahndamm führte


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