VIER TODESFÄLLE UND EIN TANKSTELLENRAUB. Eberhard Weidner

VIER TODESFÄLLE UND EIN TANKSTELLENRAUB - Eberhard Weidner


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wurde. Und genau das war letzte Nacht einer jungen, bislang noch unbekannten Frau geschehen.

      Nachdem Schäringer wieder halbwegs zu Atem gekommen war, sah er sich um. Um zur Autobahnraststätte zu kommen, musste er sich nach rechts wenden. Und dazu musste er zunächst das Gleis überqueren. Er trat wieder näher an die Schienen, bis er in den Tunnel sehen konnte. Dies war seiner Meinung nach der gefährlichste Moment, wenn man von der Seite vor den Tunnel trat und nicht wusste, ob gerade ein Zug hindurchfuhr. Hören konnte man ihn wegen der Geräusche von der Autobahn vermutlich ohnehin nicht. Und wenn man darüber hinaus in Gedanken versunken oder abgelenkt war, oder wenn man sich vielleicht aufgrund unvorhergesehener Ereignisse verspätet hatte und die berechneten Zeiten nicht mehr stimmten, dann konnte leicht ein Unglück passieren.

      Er blickte in den Tunnel, der noch immer leer war. Kein bedrohlich schwarzer Umriss eines heranrasenden, brüllenden Ungetüms verdunkelte die Tunnelöffnung auf der anderen Seite, von der er gekommen war und die ihm nun gar nicht mehr so weit entfernt vorkam. Gerade eben im Tunnel war ihm der Weg viel länger erschienen. Er sah auf die Uhr. Bis der nächste Zug eintraf, dauerte es noch immer ungefähr 20 Minuten, sofern er pünktlich war.

      In einer mondlosen Nacht würde man allerdings keine helle Tunnelöffnung am anderen Ende sehen können, sondern nur tiefschwarze Dunkelheit. Unter Umständen die Lichter des näher kommenden Zuges, aber vielleicht war es dann schon zu spät.

      Schäringer sah noch einmal wie ein artiges Schulkind, das auf dem Nachhauseweg die Straße überqueren musste, in beide Richtungen, um ganz auf Nummer sicher zu gehen, dass tatsächlich kein Zug kam, ehe er rasch über die Schienen lief. Auf der anderen Seite ging es wieder eine steile Böschung nach unten, wo es einen weiteren Feldweg gab, der am Rand der Autobahn entlang aufwärts führte. An seinem Ende konnte er bereits die Raststätte sehen.

      Während er vorsichtig die Böschung hinunterging, um nicht zu stürzen, suchte er den Boden nach Fußabdrücken und Reifenspuren von Fahrrädern ab. Er fand jedoch nur einen schmalen Pfad aus festgetretener, trockener Erde, auf dem keine Spuren zu finden waren. Es sah ganz so aus, als würde dieser Weg regelmäßig benutzt werden. Allerdings musste man Schäringers Meinung nach Nerven wie Drahtseile haben, um mehr als einmal durch den Tunnel zu gehen.

      Als er das Ende der Böschung und den Feldweg erreichte, blieb er nicht stehen, um zu verschnaufen, sondern marschierte sofort zügig weiter.

      4.

      Umgebung von Oberhofberg, Autobahnraststätte

      11. April 2013, 11:26 Uhr

      Als er die Raststätte erreichte, fühlte er sich ausgepumpt wie nach einem Dauerlauf. Er war einfach nicht mehr in Form und sollte mehr für seine Kondition tun. Er setzte sich auf eine Bank, atmete tief durch, wischte sich die Schweißtropfen vom Gesicht und sah sich um. Es herrschte natürlich viel Betrieb, ein regelmäßiges Kommen und Gehen. Es waren zwar nicht alle Parkplätze belegt, soweit er das sehen konnte, schließlich waren weder Ferien noch Wochenende, aber doch die meisten.

      Er fragte sich, wie er an diesem Ort einen einzelnen Wagen finden sollte, der unter Umständen schon länger als die anderen hier stand. Die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen war vermutlich unkomplizierter. Als er sich auf den Weg hierher gemacht hatte, hatte er noch vorgehabt, die Angestellten zu befragen, die sich heute schon länger an der Raststätte aufhielten. Aber wem fiel bei dieser Masse schon ein einzelnes Auto auf, vor allem, wenn er dabei auch noch seine Arbeit zu erledigen hatte.

      Aber einen Versuch war es dennoch allemal wert, denn unter Umständen stieß er auf diese Weise etwas schneller auf die Identität der unbekannten Toten, ehe jemand sie irgendwann als vermisst meldete oder anhand des Fotos erkannte, das erst ab heute Abend in den Lokalnachrichten und morgen früh in den Zeitungen erscheinen würde. Und wenn sie nun gar niemand erkannte oder vermisste, würden sie ihre Identität vielleicht nie erfahren.

      Schäringer steckte sein Taschentuch ein und stand auf. Er klopfte das Hinterteil seiner Hose ab und steuerte dann den Zugang zur Raststätte an. Er hatte Durst und wollte sich eine Flasche Mineralwasser kaufen. Bei der Gelegenheit könnte er gleich ein paar Fragen stellen. Als er zufällig nach oben sah, fiel ihm die Überwachungskamera über der Eingangstür auf. Er blieb abrupt stehen und runzelte die Stirn, während er nachdachte.

      Jemand rempelte ihn von hinten an und sagte: »Passen Sie doch auf! Sie können hier nicht einfach stehen bleiben.«

      »Entschuldigung.«

      »Idiot!«, sagte der unfreundliche Mann, der dem Kriminalbeamten gerade einmal bis zum Brustbein reichte, als er ihn passierte, und schenkte ihm zum Abschied noch einen finsteren Blick. Schäringer beachtete ihn allerdings gar nicht. Er war in Gedanken versunken und fragte sich, warum er nicht schon eher daran gedacht hatte, dass es eine Überwachungsanlage geben und diese ihm bei seiner Suche helfen könnte. Vielleicht hatte ja der Ausfall der Anlage in der Tankstelle seinen Glauben an die moderne Technik erschüttert.

      Er ging weiter und betrat die Raststätte. Links gab es ein modernes Schnellrestaurant. An den Kassen standen verhältnismäßig viele Leute an. Rechts befand sich ein Laden, in dem man Getränke, Zeitschriften, Zigaretten, Süßigkeiten und andere Reiseutensilien kaufen konnte. Die Schlange an der einzigen Kasse war nicht so lang. Schäringer ging zwischen den Regalen entlang, bis er das Angebot an Mineralwasser fand. Er hob angesichts der gesalzenen Preise für eine kleine Wasserflasche die Augenbrauen, allerdings konnte man in einer Autobahnraststätte auch keine Billigpreise erwarten. Außerdem hatte er riesigen Durst. Mit der Flasche in der Hand stellte er sich ans Ende der kurzen Schlange.

      Als er an der Reihe war, bezahlte er das Wasser einschließlich Flaschenpfand. Als die Kassiererin ihm sein Wechselgeld gab, sagte er: »Ich hätte gern den Geschäftsführer gesprochen.«

      Der Kopf der jungen Frau ruckte so abrupt nach oben, als hätte ihr eine unsichtbare Faust einen Kinnhaken verpasst, und sie sah ihn erschrocken an. Zweifellos befürchtete sie, sie könnte etwas falsch gemacht haben und er wollte sich nun über sie beschweren. »Den Geschäftsführer …?«, wiederholte sie.

      »Genau«, sagte er und zeigte ihr seinen Dienstausweis. »Schäringer, Kriminalpolizei. Keine Angst, es hat nichts mit Ihnen zu tun.«

      Sie atmete sichtlich erleichtert auf. »Ach so. Ich …« Sie verstummte und sah sich um, bis ihr Blick auf eine Kollegin fiel, die ganz in der Nähe Chipstüten einräumte. »Lena?«

      Die Angesprochene wandte den Kopf und sah in ihre Richtung. »Ja. Was ist denn?«

      »Kannst du bitte mal Herrn Schneider holen.«

      Lena runzelte die Stirn, nickte dann aber. »Klar.« Sie stellte die Chipstüte, die sie noch in der Hand hatte, ins Regal und ging dann zu einer Tür im Hintergrund des Ladens, auf der Kein Zutritt stand.

      »Einen Moment, bitte. Der Chef kommt gleich.«

      Schäringer nickte lächelnd. »Vielen Dank.« Er trat zur Seite, damit die Kunden hinter ihm ihre Einkäufe bezahlen konnten, und ging ein paar Schritte näher zu der Tür, durch die Lena verschwunden war. Auf halber Strecke blieb er stehen, öffnete die Wasserflasche und nahm einen großen Schluck der erfrischenden Flüssigkeit. Genau das hatte er nach seiner anstrengenden Wanderung hierher gebraucht. Er sah durch die großen Scheiben nach draußen auf den Parkplatz und überlegte, wie er anhand der Bilder der Überwachungskameras – immer vorausgesetzt, es gab tatsächlich welche von allen Parkplätzen und sie wurden auch gespeichert – rasch herausfinden konnte, ob eines dieser Autos schon seit gestern Nacht hier stand. Bei dem Verkehr und dem ständigen Kommen und Gehen, das an der Raststätte herrschte, sah es zunächst nach einer unmöglichen Aufgabe aus. Allerdings war am gestrigen Abend und in der Nacht vermutlich viel weniger los gewesen.

      »Sie wollten mich sprechen.«

      Schäringer wandte den Kopf und richtete den Blick auf den Mann, der neben ihn getreten war, während er in Gedanken versunken gewesen war. Sein Gegenüber war sogar noch einen halben Kopf größer als er, so hager, dass der anthrazitfarbene Anzug zwei Nummern zu groß aussah, und hatte


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