Schüchterne Gestalten. Peter Bergmann
Ist er von den Sicherheitsdiensten? Von welchem? Von der Mafia? Für wen arbeitet er? Wer weiß das schon? Gerade in der Sicherheitsbranche, da haben Sie sicher recht, regiert das Faustrecht und das Recht des Skrupellosen. Da können wir nur verlieren. Deswegen bin ich eigentlich dagegen gewesen.“
„Kommen wir zurück zu Ihrem angeblichen Kunden in der Ukraine. Wir hätten gerne den Firmennamen und die Adresse. Bekommen wir das hin?“
Weilham schaute etwas missmutig, nickte aber. „Zentrale Gebäudeüberwachung Lemberg heißt die Firma in Deutsch; hier ist die Visitenkarte vom Geschäftsführer dort.“ Er kramte aus seiner Jacke sein Etui mit den Karten hervor und buchstabierte den Firmennamen: ‚Штаб-квартира будівлю моніторингу Львів‘. Ein gewisser Dmytro Lypar. Karl setzte gleich nach seiner Rückkehr aus Moskau einen Privatdetektiv auf den an, um rauszubekommen, woher der kommt, wer seine Freunde sind usw. Negativ; der schien sauber zu sein, war früher so ein Apparatschik, sie wissen schon, Parteisoldat. Nicht auffällig, offensichtlich seriös.
„Die Karte können Sie uns doch sicher geben, ja Herr Weilham?“ Frau Kundoban ist erwacht und mischte wieder mit: „Wir werden das überprüfen. Zur Frau im Auto: Haben Sie eine Ahnung, wer das sein könnte? Wer war sie?“
„Larissa irgendwie. Sie war dort so etwas wie eine Vertriebsmitarbeiterin. Carsten hat es letzte Woche geschafft und die Vertragsgespräche recht weit getrieben. Der Deal war, dass er Larissa mit nach Vesberg bringt und sie sich hier von CodeWriter einen Eindruck verschafft. Quasi als Vorbereitung auf den eigentlichen Besuch des Chefs. Herr Lypar wollte nächste oder übernächste Woche herkommen und den Kauf perfekt machen. Sie wissen ja selbst: in der Sicherheitsbranche kann man nicht vorsichtig genug sein. Das ist nicht nur bei uns so.“
„Larissa irgendwie? Genauer geht’s nicht?“ Remsen baute weiter Druck auf Weilham auf. Der aber schüttelte den Kopf und lieferte keine Antwort zur Frage.
„Jetzt würde mich noch interessieren, warum Sie uns angelogen haben, Herr Weilham. Das hat Ihnen immerhin jede Menge Ärger und eine Nacht hier bei uns eingebracht. Warum?“
Weilham war offensichtlich noch immer nicht bereit oder einfach nicht in der Lage, hierauf eine verwertbare Antwort zu geben. Nach einiger Bedenkzeit formulierte er es so: „Mit Safety Objects gibt es seit einiger Zeit Schwierigkeiten. Herr Abtowiz hat viele Kontakte nach Osteuropa und damit gedroht, dass wir dort kein Fuß auf den Boden bekommen. Deshalb wollten wir alle unsere Aktivitäten so geheim wie möglich halten. Das mussten wir auch, weil bei diesem Deal die Lemberger das ausdrücklich von uns verlangt haben. Wir sind dem nachgekommen, aber Abtowiz hat irgendwoher erfahren, dass wir in der Ukraine aktiv sind.“
„Moment mal: In der angespannten Situation waren Sie friedlich am Freitagabend mit ihm zum Essen? Das passt doch nicht zusammen. Was für Schwierigkeiten waren das?“
Remsen grübelte nach einer eigenen Erklärung, fand aber keine geeignete. Mal sehen, was Weilham liefern kann. „Er bat sogar darum; die Initiative ging von ihm aus. Als Geschäftsmann sollte niemand die Türen jemals komplett zuschlagen; meistens gibt es immer einen Weg zur Zusammenarbeit, auch wenn es manchmal schwierig ist. Aber dann drehte sich das Gespräch immer mehr um Osteuropa, den vielen Chancen und so. Ich hatte das Gefühl, dass er mich nur aushorchte. Ich fand das nicht gut und erklärte ihm das auch. Nach einem Telefonat hat er mich sitzengelassen und ist einfach gegangen.“
„Um ihn einen Tag später zusammenzuschlagen?“
„Abtowiz ist für CodeWriter ein Alptraum.“
„Glauben Sie, dass er etwas mit dem Mord an Ihrem Sohn zu tun hat? Aber bitte keine Ausflüchte Herr Weilham. Wir bekommen das sowieso raus.“
„Das kann niemand wissen. Aber da Sie mich fragen: Ja, ich traue dem das zu.“ Er schaute kurz auf seine Uhr: „War es das jetzt?“ Bei Weilham war jetzt nicht nur die Geduld, sondern auch die Kraft für weitere Fragen zu Ende. Er hoffte wohl, dass er nach Haus kann.
Remsen überlegte, ob er ihn jetzt mit dem Anschlag auf sein Haus konfrontieren sollte. Er schien abzuwägen, was mehr bringen würde: Ihm das jetzt zu sagen oder es darauf ankommen lassen, bis er zu Hause sieht, was passiert ist. Und ihm war noch immer nicht klar, um welche Schwierigkeiten es sich zwischen CodeWriter und Safety Objects handelte.
Er machte Kundoban ein Zeichen, die Aufnahme zu beenden. Das tat sie dann auch, entnahm das Band und verschwand mit Remsen aus dem VR3.
„Kaffee? Ich habe sogar noch Kuchen mit, frisch vom Bäcker heute Morgen.“
Auch wenn Remsen es nie zugeben würde, aber jetzt wünschte er sich, dass Hansi von seinem Einsatz wieder zurück wär. Vielleicht gibt es inzwischen Neuigkeiten im Büro. Fehlanzeige, er war noch nicht zurück.
Remsen und Kundoban holten sich frischen Kaffee und suchten mit der Kuchentüte in der Hand Plätze in unmittelbarer Nähe des Kaffeeautomaten. Beide brauchten eine kleine Auszeit, mussten sich regenerieren und nachdenken.
Jetzt wussten sie mit ziemlicher Sicherheit, dass die Tote im Auto eine Ukrainerin war und wahrscheinlich auf den Name Larissa hörte. Jetzt ist auch bekannt, dass es Stress zwischen Abtowiz und Weilham, eigentlich zwei Geschäftspartnern, gab. Warum, das muss noch ergründet werden.
Wenn endlich Hanns-Peter aufkreuzen würde, könnten sie etwas über den Brandanschlag heute Nacht bei Weilham's erfahren.
„Nöthe? Haben Sie mal einen Moment Zeit?“ Remsen erspähte seinen Assistenten, wie er sich gerade ins Büro schleichen wollte.
„Ja klar, was kann ich für Sie tun?“ Benjamin Nöthe, der ewig eifrige und selten gute Assistent in seinem Team. Remsen hatte davon durchaus klare Vorstellungen: „Nöthe, ich möchte Sie morgen im Flieger nach Lemberg sehen.“
Nöthe schluckte heftig: „Ich kann doch überhaupt kein Russisch. Das Glück des Spätgeborenen.“
Kundoban grätschte dazwischen: „Dort wird Ukrainisch gesprochen.“
„Und wo ist der Unterschied? Kalaschnikow, Balakov, Nemiroff. Was ist daran so schwer Nöthe? Soll ich Ihnen das mal erklären?“ Remsen sah das wie immer nicht so eng.
„War Balakov nicht ein bulgarischer Fußballspieler?“ Nöthe schaute richtig unsicher drein und war sich über die Reaktion seines Chefs ganz sicher im Unklaren.
„Seien Sie nicht so kleinlich Nöthe. Das bisschen Russisch oder Ukrainisch bekommen Sie schon hin; haben ja noch einen ganzen Tag Zeit dazu. Hier ist die Karte eines gewissen Dmytro Lypar; Chef einer Sicherheitsfirma. Carsten Weilham hat die Firma letzte Woche in Lemberg besucht. Wie es aussieht, war die Tote, eine Larissa irgendwas, eine Angestellte dieser Firma und auf den Weg nach Vesberg, um eine Vertragsunterzeichnung vorzubereiten. Dieser sollte nächste Woche von diesem Lypar unterschrieben werden. Bekommen Sie alles raus; alles, was Carsten Weilham und CodeWriter mit denen gemacht und besprochen haben. Vielleicht haben die Ukrainer Weilham beschatten lassen; soll nicht ganz unüblich dort sein. Schon gar nicht in der Sicherheitsbranche; alles nur Paranoiden.“
Nöthe stand jetzt ziemlich unsicher rum und suchte krampfhaft nach Ausreden. Er hatte keine Lust dorthin zu fliegen und fürchtete sich davor, sich in einer fremden Sprache versuchen müssen.
Ein letzter, zaghafter Versuch „Vielleicht geht morgen kein Flieger dorthin…“
„Dann nehmen Sie den Zug, das Auto, Ihr Fahrrad, aber bewegen Sie Ihren Arsch dorthin. Und zwar morgen!“
Klare Ansagen waren schon immer Remsens Stärke, auch wenn seine Kollegin missbilligend zu ihm rüber schaute.
„Dann müsste ich erst mal schauen, ob dort jemand wenigstens Englisch kann. Deutsch darf man ja nicht voraussetzen.“
„Nöthe, besorgen Sie sich ein Wörterbuch, machen Sie diesen Lypar ausfindig und melden Sie sich für morgen zum Gespräch an. Denken Sie an unsere Brüder in Lemberg; die müssen Sie vorher informieren, sonst landen Sie für viele Jahre in Sibirien.“
Eine Steilvorlage für Jutta Kundoban: „Jan, Sibirien