Die Zeit Constantins des Großen. Jacob Burckhardt

Die Zeit Constantins des Großen - Jacob Burckhardt


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römischer Feldherrn war, so musste auch die Staatsmacht mehr und mehr an die Generale kommen. Diese bilden fortan einen geharnischten Senat, der in alle Grenzprovinzen zerstreut ist. Eine kurze Zeit über geht freilich das Reich ganz aus den Fugen, und planlose Soldatenwillkür und provinziale Verzweiflung bekleidet bald da, bald dort den ersten besten mit dem Purpur; sobald aber der erste Stoss vorüber ist, besetzen die Generale den Thron mit einem aus ihrer Mitte. Wie sich da Berechnung und Überlegung mit Ehrgeiz und Gewaltsamkeit im einzelnen Falle abfinden mochten, was für geheime Schwüre den Verein enger verknüpften, lässt sich nur ahnen. Gegen den Senat zeigt man keine Feindschaft, im ganzen sogar Hochachtung, und es tritt später ein Augenblick ein, da der Senat sich der vollständigen Täuschung hingeben konnte, noch einmal der wahre Herr des Reiches geworden zu sein.

      Doch es lohnt die Mühe, diese merkwürdigen Übergänge auch im einzelnen zu verfolgen.

      Schon unter Valerian hatte der Abfall einzelner Gegenden begonnen, und als er vollends durch völkerrechtswidrige Treulosigkeit in die Gefangenschaft des Sassanidenkönigs Sapor geriet Was Zonaras 12, 23 erzählt, sieht ganz nach bösartiger Erfindung eines Zurückgesetzten aus; wie weit vollends dem Dionysius bei Euseb., Hist. eccl. VII, 23 über Macrian zu glauben ist, zeigt der Ton seiner Rede sattsam. (260), indes sein Sohn Gallienus mit dem Kriege gegen die Germanen beschäftigt war, trat die totale Verwirrung ein. Während Rom selbst durch einen Einfall sonst unbekannter Horden bedroht wurde, und der Senat eilends eine Bürgergarde aufstellen musste, fielen allmählich die östlichen Reichslande ab. Zunächst liess sich der Taugenichts und Vatermörder Cyriades von Sapor als römischer Thronprätendent vorschieben, bis sich als Retter des römischen Orientes zuerst Macrian (260) mit seinen Söhnen und mit seinem tapfern Präfekten Ballista erhob. Sapor musste fliehen, sein Harem wurde gefangen; die herrliche Verteidigung von Caesarea in Kappadocien dürfen wir hier nur mit einem Wort erwähnen Das Nähere bei Zonar. XII, 23.. Aber die Zersetzung des Reiches war noch im Wachsen; Feldherrn und höhere Beamte mussten sich fortwährend zu Kaisern erheben, nur um gegen andere Usurpatoren ihr Leben zu retten, welches sie dann doch bald einbüssten. So in Griechenland Valens mit dem Beinamen Thessalonicus und der von Macrian gegen ihn entsandte Piso; so nach einiger Zeit (261) Macrian selbst, als er gegen den damals noch gallienischen Feldherrn der Donaulande, Aureolus, zu Felde zog, welcher als Sieger ebenfalls von Gallienus abgefallen sein muss. An Macrians und seines Hauses Stelle trat im Osten (262) Odenathus, ein reicher Provinziale, dergleichen mehrere in dieser Zeit als Kaiser aufkommen, aber keiner mit so viel Talent und Erfolg wie dieser Patrizier von Palmyra, der von hier aus mit seiner heldenmütigen Gemahlin Zenobia ein grosses orientalisches Reich zu gründen vermochte Eine Zusammenstellung der Nachrichten über Zenobia und das palmyrenische Reich überhaupt bei G. Hoyns, Geschichte der sogenannten 30 Tyrannen, Göttingen 1852. Auch die Jahrzahlen bis auf Aurelian sind hier nach dieser Schrift angegeben.. Zenobia, die Enkelin der ägyptischen Ptolemäer, auch der berühmten Kleopatra, mit ihrer bunten Hofhaltung asiatischer Heerführer, herrschte später (267–273) für ihre Söhne bis nach Galatien und nach Ägypten hinein, also in Gegenden, wo früher die Generale des Gallienus geringere Usurpatoren mit Erfolg beseitigt hatten, nämlich im südöstlichen Kleinasien den Seeräuber Trebellian, den die unverbesserlich verwilderten Isaurier zu ihrem Herrn erhoben; in Ägypten aber den frühern Kommandanten von Alexandrien, Aemilianus, welcher, von einem Pöbelauflauf tödlich bedroht, sich zum Kaiser aufgeworfen (262–265), um der Verantwortung bei Gallienus zu entgehen.

      In den Donaulanden haben wir Aureolus genannt, welchen Gallienus sogar eine Zeitlang als Herrscher anerkennen musste. Aber schon lange vorher (258) hatten die Donautruppen, um das Land besser gegen die Einfalle zu schützen, den Statthalter Ingenuus erhoben; Gallienus hatte diesen überwunden und furchtbare Strafe über die ganze Gegend verhängt; die nach Rache dürstenden Provinzialen hatten darauf den heldenmütigen Dacier Regillian (260) zum Kaiser gemacht, der von dem dacischen König Decebalus, dem berühmten Feinde Trajans, abstammen wollte; aus Furcht vor abermaliger Bestrafung durch den zu Zeiten sehr grausamen Gallienus liessen sie ihn wieder fallen. – Von einem Usurpator in Bithynien weiss man nicht einmal den Namen; auch in Sizilien herrschten namenlose Räuber (latrones). – Die merkwürdigste Reihe von Usurpatoren bietet jedoch der Westen dar, nämlich Gallien, welchem sich zeitweise auch Spanien und Britannien fügen. Hier erheben sich (seit 259) bei der unbeschreiblichen Landesnot durch die Barbaren schon gegenüber Valerian und dann gegenüber dem Sohn und den Generalen des Gallienus die gewaltigen Verteidiger des Landes, Postumus, Lollianus (oder Laelianus) und Victorinus; und zwar nicht als blosse Soldatenkaiser, sondern unter eifriger, fast regelmässiger Teilnahme der Provinzialen Thierry, Hist. de la Gaule, vol. 2, p. 350 et suiv.. Es bildet sich ein wahres transalpinisches Reich, dessen Notabeln den Senat des meist in Trier wohnenden Imperators ausmachen; weit entfernt, eine schon halb vergessene gallische, britannische oder iberische Nationalität als Panier zu erheben, wollen diese Lande ein okzidentalisches Römerreich sein und römische Bildung und Einrichtungen gegen die hereindringende Barbarei schützen; was sich von dem Reiche Zenobiens nicht in derselben Weise behaupten lässt. Merkwürdigerweise ist es aber auch im Abendlande eine Frau, Victoria, die Mutter Victorins, welche unter diesen Kaisern Adoptionen und Erbfolgen einleitet und als »Mutter der Lager«, ja, wie ein übermenschliches Wesen, über den Heeren waltet. Ihr Sohn und Enkel werden von ergrimmten Soldaten vor ihren Augen niedergemacht, und gleich darauf ist die Reue so gross, dass man ihr die Ernennung eines neuen Kaisers überlässt. Sie ernennt zuerst (267) den Soldaten zuliebe den starken Waffenschmied Marius, nach dessen Ermordung aber – höchst gewagterweise – einen Mann, den die Armee nicht kannte, ihren Verwandten Tetricus, dessen unmilitärische Regierung sich die Soldaten (seit 267) wenigstens bis zum plötzlichen Tode Victoriens Auf der Münze, welche ihre Apotheose verewigt, heisst sie IMPerator, so gut als Maria Theresia in Ungarn »König« hiess. gefallen liessen.

      An das Ende dieser Reihe von Usurpationen gehört offenbar die des Celsus in Afrika, weil sie die am wenigsten berechtigte und in ihrem Erfolge die geringste war. Ohne den Grund oder Vorwand eines Barbarenangriffes rufen die Afrikaner (wahrscheinlich nur die Karthager) auf Anstiften ihres Prokonsuls und eines Generals den Tribun Celsus zum Kaiser aus; das mangelnde göttliche Recht musste der Mantel der »Himmlischen Göttin« ersetzen, den man aus dem berühmten Orakeltempel zu Karthago holte, um den Anmasser damit zu bekleiden. Auch hier spielt ein Weib die Hauptrolle; nach sieben Tagen wurde Celsus auf Anstiften einer Base des Gallienus ermordet, und sein Leichnam von Hunden zerrissen, worauf die Einwohner von Sicca aus Loyalität gegen den Kaiser bestanden. Dann kreuzigte man den Celsus noch in effigie.

      Gallienus selber scheint sich in diese unerhörte, grösstenteils unverschuldete Lage keineswegs so gleichmütig und feige gefügt zu haben, wie die Historia Augusta uns will glauben machen. Einigen jener sogenannten »Dreissig Tyrannen« erteilt er wohl Caesaren- und Augusten-Titel, andere aber bekämpft er auf das äusserste. Die berüchtigte Indolenz muss ihn zeitweise befallen, aber auch plötzlich wieder verlassen haben; ein Zug nach Persien zur Befreiung seines Vaters aber, den man wohl von ihm verlangte, wäre unter jenen Umständen ein ganz undenkbares Unternehmen gewesen. Man kann sein Verhältnis zu den von ihm anerkannten Provinzialkaisern mit dem der Khalifen zu den abgefallenen Dynastien vergleichen, nur dass ihm nicht einmal Ehrengeschenke und Nennung im Kanzelgebet verblieben. Dafür behauptete er wenigstens Italien mit aller Anstrengung für sich allein; ausserdem blieben ihm mehrere der bedeutendsten Generale seines Vaters. Den Senat soll er geflissentlich vom Dienst, ja von blossen Besuchen in seiner Armee abgehalten haben, weil ihn selbst in diesen unparlamentarischen Zeiten die Furcht vor einer militärischen Senatsregierung verfolgte Aur. Vict., Caes..

      Als Aureolus ihn auch in Italien angriff, brach er auf, zwang ihn, sich in Mailand zu konzentrieren und belagerte ihn hier. Schon war Aureolus in verzweifelter Lage, als Gallienus ermordet wurde (268). Der Täter war ein Oberst der dalmatinischen Reiter, die nächsten Urheber ein Gardepräfekt und ein General der Donautruppen; die eigentlichen Hauptpersonen aber waren (der spätere Kaiser) Aurelian, der mit Reiterei zum Belagerungsheer gestossen war, und der Illyrier Claudius, ein Günstling des Senates und zugleich einer der grössten Feldherrn seiner Zeit, der kein Geheimnis daraus zu machen pflegte, wenn die Schlaffheit des Gallienus ihm missfiel, und der wahrscheinlich deshalb abseits in Pavia seine Station hatte. Es soll ein förmlicher Rat dieser Generale über Leben und Tod des Gallienus gehalten worden sein, wobei auch die Reichsfolge des Claudius ihre Entscheidung müsste


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