Rauhnacht. Max Pechmann
starrten missbilligend auf Theresa.
Gregors Assistentin zuckte mit den Schultern. „Ist das ein Problem?“
„Das ist es“, übernahm der Mann mit der tieferen Stimme das Wort.
„Dann störe ich nicht weiter.“
„Du bleibst hier.“
Theresa blieb stehen.
„Fremde und Frauen dürfen bei diesem Ritual nicht anwesend sein“, fuhr er fort. „Ihr habt zwei Regeln auf einmal gebrochen.“
Titus verhielt sich mucksmäuschenstill. Er hasste solche Kerle. Egal, was man ihnen erwiderte, sie waren nur auf Ärger aus.
„Was ist denn daran so schlimm, wenn Fremde und Frauen bei Ihrem Ritual anwesend sind?“
Beide Männer starrten Gregor an, als hätte sich dieser auf einmal in ein Pferd verwandelt. Auf eine solche Frage waren sie wohl oder übel nicht vorbereitet gewesen.
„Brauchst nicht wissen“, sagte schließlich der mit der hohen Stimme und der fehlenden Grammatik.
„Ihr habt die Regeln gebrochen“, wiederholte der andere.
Hinter ihnen nickten die übrigen Männer zustimmend. Eine Mischung aus einfachen Handwerkern und Bauern. Titus erkannte nur wenige, bei denen es sich um Büroleute oder Verkäufer handelte. Es wunderte ihn, dass ausgerechnet in einem solchen Ort ein Antiquariat überleben konnte. Vielleicht durfte man Menschen dieses Schlages nicht unterschätzen. Oder das Antiquariat betrieb zusätzlich einen Online-Shop.
„Wer die Regeln bricht, muss bestraft werden“, erklärte der Mann weiter. „Ihr bringt uns alle in Gefahr.“
„Niemand bringt irgendjemanden in Gefahr!“
Titus spürte so etwas wie Erleichterung, als sich Walter Dorn zwischen den beiden Latzhosenträgern hindurchzwängte. Herbert humpelte hinter ihm her. Er hielt noch immer den Weihrauchkessel in der Hand.
„Uli! Hannes!“, ermahnte der Pfarrer die beiden. „Es sind Gäste. Wie sollen sie von unseren Regeln wissen?“
„Das Ritual kann man nur einmal durchführen“, bemerkte Hannes, der Mann mit der tiefen Stimme.
„Wir haben noch nicht einmal damit begonnen“, machte Dorn ihn darauf aufmerksam. „Es sind Gäste. Und wir sollten sie wie Gäste behandeln.“
Hannes schaute auf Theresa. „Und was ist mit der Frau?“
„Sie zählt auch als Gast“, erklärte Dorn geduldig. „Wie der Mann neben ihr ist sie Wissenschaftlerin.“
„Und dieser Typ da?“ Hannes nickte in Titus’ Richtung.
„Er ist Schriftsteller …“
„Dann krallen wir uns eben den!“ Uli und Hannes packten Titus an den Armen. Sein Herz rutschte ihm beinahe in die Hose.
Dorn schüttelte den Kopf. „Er ist ebenfalls Gast hier in unserem Ort.“
„Aber die Strafe …!“
„Keine Strafe“, unterbrach Dorn Hannes. „Gäste werden nicht bestraft. Das Ritual hat noch nicht begonnen. Niemand ist zu Schaden gekommen.“
„Ehrwürden, Ihr wisst, dass das Ritual nicht funktioniert, wenn Fremde und Frauen daran teilnehmen. Die drei bringen uns in Gefahr. Heute beginnen die Rauhnächte. Wir brauchen den Schutz.“
„Da hast du ganz recht, Hannes. Deswegen werden wir unsere drei Gäste bitten, diesen Platz wieder zu verlassen. Dann können wir ungestört mit dem eigentlichen Ritual beginnen.“
„Hat überhaupt schon einmal ein Fremder an dem Ritual teilgenommen?“, wollte Gregor wissen.
„Nein“, antworteten Uli und Hannes wie aus einem Mund.
„Dann wissen Sie nicht, ob unsere Anwesenheit Ihrem Ritual schadet“, schlussfolgerte der Volkskundler.
„Natürlich schadet es!“, fuhr Hannes ihn an. „So steht es im Gesetz!“
„Strafe machen?“, fragte Uli.
Walter Dorn hob seine Hände in die Höhe, als wollte er wie Moses das Meer teilen. „Ich sagte, niemand wird bestraft. Gilt mein Wort oder euer Wort?“
Uli und Hannes senkten ihre Köpfe. „Ihr Wort, Ehrwürden.“
„Und ich sage, wir lassen sie gehen.“
Auf einmal trat ein Mann nach vorne, dem Titus schon einmal begegnet war. „Dieser Kerl hier wohnt bei Lisa!“ Der Friedhofswärter. Auch jetzt trug er einen schäbigen Anorak und eine Wollmütze. Sein Ausruf führte zu erneuter Unruhe. Uli und Hannes packten erneut Titus’ Arme.
„Bei der Hexe?“, raunte Hannes.
„Müssen Strafe machen!“, rief Uli.
„Bestrafen!“, grölte es nun von allen Seiten. Hände wurden in die Höhe gereckt wie bei einer Protestaktion.
„Ruhe!“, brüllte Dorn. Auf einmal hörte man nur noch den Wind über die Landschaft streifen. „Ich sagte, niemand wird bestraft. Wenn ich die Regeln richtig deute, dann würde eine Bestrafung dazu führen, dass diejenigen, welche diese Untat durchführen, ihrerseits bestraft werden. Und zwar von jenen, vor denen wir uns eigentlich schützen wollen.“
Uli und Hannes ließen Titus augenblicklich wieder los.
Gustav, der Friedhofswärter, starrte Titus weiterhin voller Hass an.
„Und was Lisa betrifft, sie ist keine Hexe“, stellte der Pfarrer klar. „Oder hat sie einen von euch schon einmal verhext?“
„Sie hat als einziges Mitglied ihrer Familie einen Angriff von Lamien überlebt“, sagte Gustav. „Und wie wir alle wissen, ist ihr Mann eines Nachts schreiend aus ihrem Haus geflohen und nie wieder zurückgekehrt. Lisa steht mit denen im Bunde. Damals wurde sie von den Lamien nicht einmal angefasst.“
Zustimmendes Raunen erfüllte die Runde.
„Und“, fügte Gustav bedeutungsvoll hinzu, „es ist kein Geheimnis, dass Lisa vor einem Jahr versuchte, mich zu verhexen. Nur mit Mühe gelang es mir, mich von ihrem Zauber zu befreien. Wir hätten bereits damals Lisa zusammen mit ihrem Haus verbrennen sollen.“
Erneut zustimmendes Gemurmel. Aber auch den ein oder anderen höhnischen Lacher.
„Und wenn Leute in ihrem Haus wohnen, dann sind diese schon allein dadurch gebrandmarkt. Besonders, wenn sie wie dieser Mann einfach auf unserem Friedhof herumschnüffeln.“
Titus sah sich einer Vielzahl weit aufgerissener Augen gegenüber. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als unsichtbar zu sein. Die Leute meinten es ernst mit dem, was sie sagten. So irrsinnig und abgehoben es auch erschien. Diese Typen glaubten daran. Von Vernunft keine Spur. Vielleicht war es doch besser, Tiefenfall so schnell wie möglich zu verlassen.
Walter Dorn breitete seine Arme in einer umarmenden Geste aus. „Seid nicht zu voreilig. Lisa vermietet ihr Haus an Gäste, auch wenn, wie ich zugeben muss, diese lange auf sich warten lassen. Und esst ihr nicht ihre Torten und Kuchen, die sie extra für unsere kirchlichen Veranstaltungen backt?“
„Na ja …“, kam es kleinlaut aus manchen Kehlen.
„Da habt ihr es. Lasst Lisa einfach in Ruhe. Sie tut niemanden etwas. Und habe ich nicht einmal gehört, Gustav, dass du Lisa in gewisser Weise verhexen wolltest?“
Gelächter.
Gustavs Kopf wurde dunkelrot. Mit zorniger Miene machte er kehrt und stapfte zurück zur Palisade.
„Und jetzt zu unseren Gästen“, kam der Pfarrer auf das eigentliche Thema zurück. „Wir lassen sie in Ruhe gehen. An Heilig Abend werden sie an unserer Messe teilnehmen. Dann kann jeder von euch sich ein Bild von ihnen machen. Bei der anschließenden Vesper kommt ihr wahrscheinlich sogar schnell ins