Die Artuslinde. Manuela Tietsch

Die Artuslinde - Manuela Tietsch


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sie bei ihm Zwischenrast hielten. Er wandte sich Merlin zu, dessen Blick wissend auf ihm ruhte.

      „Findest du nicht, daß Talivan immer ernster und in sich gekehrter wirkt?“

      Merlin wog nachdenklich den Kopf hin und her. „Sein Äußeres macht ihm mehr zu schaffen, als er es sich selber zugesteht, geschweige einem anderen!“

      „Ich habe bemerkt, daß die Dame Brighid ihm schöne Augen macht!“

      Merlin schüttelte den Kopf, schloß die Augenlider, wie um dahinter verborgene Geheimnisse zu enthüllen. Als sähe er dort Dinge, welche er mit offenen Augen nie wahrnehmen könnte. Als sich seine Lider wieder öffneten, lag ein Leuchten in seinem Blick. „Talivan braucht eine Frau, die seine seelischen Narben zu heilen versteht, und die seine körperlichen annimmt!“ Er nickte, wie um sich selber zu bestätigen. „Es gibt sie, Artus. Sie werden sich in einer anderen Welt begegnen.“

      „Er braucht sie jetzt!“ warf Artus ein.

      Merlin konnte nicht anders, er schmunzelte. Da stand dieser mächtige König Artus vor ihm, ein Mann, dem Tausende trauten, als ihren Obersten anerkannten, und gebärdete sich wie ein trotziger kleiner Junge. Seine hellbraunen Augen sprühten Funken, und seine blonden Locken flogen wild um seinen Kopf. Wären nicht die beeindruckende Größe und die breiten Schultern, so könnte Merlin leicht den Knaben wiederfinden, den er einst großzog.

      „Du bist ein Heißsporn, Artus... doch du magst recht haben, Talivan wünscht sich eine Frau.“ Merlins Lächeln wurde breiter. „Weshalb versuchst du nicht, deine Schwägerin mit ihm zusammen zu bringen?“

      Artus Blick schnellte zu Merlin, gerade sah er noch dessen breites Grinsen. „Bronwynn? Das ist nicht dein Ernst!“ Artus erwägte den Gedanken. „Aber..., die Vorstellung gefällt mir sogar. Talivan gehört zu meinen ehrlichsten Rittern; ich könnte einen schlechteren Schwager bekommen.“ Er überlegte. „Bronwynn wünscht sich Kinder; und Talivan wird nie in diesem Leben Vater eigener Kinder sein!“ Artus Blick wanderte nach oben, in die Lindenkrone. „Ich wünschte, die Frau, von der du sprachst wäre hier.“ Er schaute Merlin spitzbübisch an. „Könntest du nicht...?“

      „Oh nein, Artus! Du weißt, daß ich niemals in das Weltgeschehen eingreife. Jedenfalls nicht, wie du dir das gerade vorstellst. Es gibt einen Eid, wie du weißt!“ Merlin ärgerte sich, wie konnte der Junge solche Fragen stellen!

      Artus, offen für Merlins Empfindungen, spürte dessen Unmut. „Entschuldige. Es wäre jedoch nur gerecht, wenn es eine Möglichkeit gäbe.“ Er berührte zärtlich die Rinde des Baumes.

      Merlins Blick entspannte sich. Er konnte Artus nicht ernsthaft böse sein. Wenn er ehrlich mit sich war, dann erfüllte er seinen Wunsch nur zu gerne, denn auch er mochte Talivan, und er wußte um Artus Schuldgefühle.

      „Laß uns gehen, Artus. Wenn auch Talivan, als einer der wenigen, um die Zeitlosigkeit dieses Ortes weiß, so könnte er uns doch vermissen.“

      Die Lindenblätter rauschten leise, als bewege sie ein Wind. Artus und Merlin schauten in die Krone.

      „Seltsam! Wo kommt der Wind her?“ Artus blinzelte.

      Zwei rotgoldene Blätter fielen tanzend hinunter, auf seine ausgestreckte Hand. Versonnen betrachtete er sie.

      2 Die wunderbare Lichtung, Sommer 2003

      Was nun? Unschlüssig stieg ich vom Rad. Der Weg gabelte sich an dieser Stelle. Welchen sollte ich nehmen? Den rechten oder den linken? Ich atmete ein paar mal tief durch und genoß die würzige Waldluft. Mit einem Griff vergewisserte ich mich, ob die Decke, und mein Rucksack auf dem Gepäckträger hielten. Ich blickte erneut die beiden Wege entlang. Der rechte lud ein, denn ein Schild kündigte einen See an. Trotzdem entschied ich mich für den linken. Möglicherweise lag es an den Sonnenstrahlen, die gebündelt durch das dichte Blattwerk der Buchen fielen und am Ende den Weg erleuchteten.

      In diesem ungewöhnlich großen, unbesiedelten Waldgebiet fand ich sicherlich was ich suchte, Ruhe und Zufriedenheit, Abstand vom betriebsamen Alltag und dem Lärm der Stadt. Manchmal glaubte ich selbst in der Kleinstadt noch fehl am Platz zu sein, da mir die Natur viel näher war. Ich stieg wieder auf mein Rad und fuhr los. Wie um meine Gedanken zu strafen flog in diesem Augenblick ein Düsenflieger über mich hinweg. Ich zuckte zusammen, doch zum Ohren zuhalten kam ich nicht mehr. Er flog so tief, daß er beinahe die Baumkronen berührte. Ich blickte ihm böse hinterher.

      Während der Fahrt, unter den hohen Buchen, genoß ich den kühlen Schatten, den sie spendeten. Buchen schafften Klarheit, wo gedankliches Durcheinander herrschte. Ein bißchen besserte sich meine Laune tatsächlich. Ich dachte nicht mehr ständig an diesen dummen Verleger, der meine Bilder und Geschichten nicht mehr wollte und mir grundlos gekündigt hatte. Eine bodenlose Frechheit. Mir wurde flau im Magen als ich an seine plumpen Versuche dachte, mich in sein Bett zu bekommen, indem er mir eine Vertragsverlängerung anbot. Von wegen. Und dabei waren meine Comics gut. Klar nicht jedem lag das Mittelalter, doch brachten die Bildergeschichten den heutigen Menschen die alte Zeit näher, und waren gleichzeitig unterhaltend. Mir gefielen sie jedenfalls und meinen Lesern auch.

      Der Buchentunnel kam mir gerade recht, da selbst der Fahrtwind, der mir lauwarm durch mein rotes Baumwollkleid strich, keine Kühlung brachte. Schon seit Wochen hielt das warme Wetter an. Warm? Ach was, das beschrieb nicht annähernd die Wahrheit, es war brütend heiß. Nach einigen hundert Metern Fahrt endete der Buchentunnel unvermutet. Ich spürte, wie die Sonnenstrahlen an Kraft gewannen; denn als ich den Schattenkreis der Bäume verließ, wärmten sie mich wieder.

      Nach etwa einem Kilometer Fahrt sah ich plötzlich linker Hand einen Hohlweg liegen. Beinahe wäre ich daran vorbeigefahren, ohne ihn zu bemerken. Ich stoppte meine Fahrt, stieg ab und schob mein Rad das kleine Stück zurück.

      Ohne ersichtlichen Grund atmete ich mit einem Mal flach. Ich meinte, eine Stimme zu hören die meinen Namen rief und fühlte mich unweigerlich von diesem Pfad angezogen.

      Er führte bergab, begrenzt von großen Eichen und dichtem Gebüsch. Ein seltsames Licht schimmerte innerhalb des Weges. Die Sonne versuchte ohne Erfolg, ihre Strahlen durch das dichte Geäst der Büsche und Bäume hindurchzuzwängen, trotzdem leuchtete der Pfad in einem weißlichen Licht. Er lockte mich, den ersten Schritt zu wagen. Trotz meiner seltsamen Empfindungen, und obwohl sich etwas in meinem inneren sträubte, stellte ich mein Rad an einer kleinen Birke außerhalb des Hohlweges ab, nahm meinen Rucksack und die Decke und wagte diesen ersten Schritt. Er war leicht, auch der nächste und übernächste. Was erwartete ich auch? Daß mich eine Raubkatze ansprang? Ich folgte, grundlos außer Atem, den Windungen des Pfades, bis mich eine wild gewachsene Buschhecke am Weitergehen hinderte. Sollte dieser wundervolle Weg eine Sackgasse sein? Mit den Augen suchte ich in dem knorpelig gewachsenen Gebüsch eine Öffnung und entdeckte tatsächlich eine Lücke. Gerade so groß, daß ich hineinpassen würde. Ohne weiter über das seltsame Gefühl in meiner Magengegend nachzudenken, zwängte ich mich hindurch und richtete mich schwer atmend auf der anderen Seite wieder auf, um im selben Augenblick die Luft anzuhalten.

      Ich glaubte zu träumen, denn ich stand auf einer von Laub- und Nadelbäumen und der dichten Hecke umsäumten Lichtung. Jegliche Sicht nach außen war verwehrt. Ich konnte mich nicht erinnern, schon einmal Wundervolleres als diese Lichtung gesehen zu haben. Auf der Wiese wuchsen wilde Blumen, leuchteten bunt aus den vielfältigen Grüntönen der Gräser. Schmetterlinge, Bienen, Hummeln und vielerlei Kerbtiere und Käfer tummelten sich darauf.

      In der Mitte der Lichtung lag ein Steinkreis, wie gewollt niedergelegt, bestehend aus zwölf Steinen ungleicher Gestalt und Farbe. Und in der Mitte des Steinkreises stand eine Linde: riesig, uralt und überirdisch schön.

      In den Bäumen rund um die Lichtung zwitscherten die Vögel, und hoch über mir, über der Linde, sang eine Lerche ihr schwermütiges Loblied. Seltsam, in der Linde selber konnte ich keinen einzigen Vogel entdecken. Ich fühlte mich überwältigt. Bezaubert. Alles wirkte vollkommen, und doch unwirklich. Als wäre die Lichtung nicht von dieser Welt. Fehlte nur, daß ich eine Elfe auf einer der Blumen sitzen sah, oder einen Zwerg um einen der Bäume blickend.


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