Die Artuslinde. Manuela Tietsch

Die Artuslinde - Manuela Tietsch


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an häuften sich die Erscheinungen und die Träume. Alles glich sich. Immer schien die Frau verwirrt, auf der Suche. Sie flehte ihn ohne Worte um Hilfe an. Abgesehen davon, daß ihn das Gefühl, ihr nicht helfen zu können, berührte, ging ihm der Zauber auf die Nerven. Er brauchte seinen Schlaf, gerade jetzt.

      Manchmal fragte er sich, wie sie hatten so dumm sein können, aus Schottland fortzuziehen und eine Burg in Deutschland zu kaufen? Nur, um darin mittelalterliche Märkte und Turniere zu veranstalten?! Klar, es war die Gelegenheit gewesen, trotz Schuldenberg. Und ein Zurück gab es vorerst nicht. Morgen würden sie mit ihrem ersten Fest und Turnier ins kalte Wasser springen müssen. Es stand in den Sternen, ob es so gut ankäme, wie sie es sich erhofften. Womöglich waren die Menschen schon übersättigt vom Mittelalterkram! Nun, wenn es so war, mußten sie die Schulden eben mit ihrer eigentlichen Arbeit begleichen, auch wenn das bedeutete, daß er sein Leben lang schreinern mußte. Es lag wohl an den Vorfahren, die ihre Bedürfnisse durch sie stillten. Weshalb sein Vater allerdings von Schottland ausgerechnet hierhergezogen war, würde ihm Zeit seines Lebens ein Rätsel bleiben.

      Müde stand er auf. Ein Blick auf die Uhr, meinte er, berechtigte ihn zu gähnen, denn es war erst vier. Er warf sich seinen Morgenmantel über, während sein Blick schon wieder zur Truhe wanderte. Er kniete sich neben sie. Als Schreiner sollte es ihm doch möglich sein ihr Geheimnis zu ergründen? Seine Hände strichen sachte über die geschnitzten Muster. Sie fühlten sich seltsam vertraut an. Er schüttelte den Kopf und erhob sich. An Schlaf war nicht mehr zu denken, also zog er sich an. Nach einem letzten Blick auf die keltischen Laufmuster der Truhe verließ er sein Zimmer, um zur burgeigenen Bücherei zu gehen.

      Zum Frühstück erschien er mürrisch und unausgeschlafen. Ein weiterer Schock suchte ihn heim, als er seine Post öffnete. Es handelte sich um die Bestellung einer Truhe von einem gewissen H. Linden, mit Rohzeichnung anbei, und es war genau die Truhe, die in seinem Zimmer stand. Unmöglich! Hier wollte ihn doch jemand auf den Arm nehmen?

      Brian blickte seinen kreideweißen Bruder an. Er merkte, daß etwas nicht stimmte, ging zu ihm und legte ihm die Hand tröstend auf die Schulter. Liam starrte ihn erschrocken an, als käme er gerade aus anderen Welten zurück. In Brians Brust stritten die Gefühle. Er liebte seinen Bruder, oft hatte er jedoch den vernunftwidrigen Wunsch, ihn bei den Schultern zu packen und kräftig zu schütteln. Er fühlte sich für alle Mißgeschicke seines Bruders verantwortlich, und gab ihm andererseits für alles die Schuld. Dafür plagten ihn dann ständig Schuldgefühle, wofür er wiederum Liam verantwortlich machte. Obwohl er mit ihm fühlte, kamen seine Worte beißend über die Lippen, er konnte nichts dagegen tun.

      „Wieder dein Gespenst?“

      Liam blickte ihn ernst an. In seinen Augen erkannte Brian die unterdrückte Trauer darüber, daß er sich auf seine Kosten belustigte.

      Warum nur mußte er immer sticheln? fragte sich Brian.

      Liam zeigte den anderen den Schreinerauftrag, den sie erhalten hatten.

      Er glaubte nicht einen Augenblick daran, daß dieser Linden die Truhe einer inneren Eingebung zur Folge entworfen und gezeichnet hatte. Doch woher wußte er von der Truhe?

      4 Das Erwachen

      Etwas stimmte nicht, dessen war ich mir bewußt noch bevor ich meine Lider öffnete. Ich zitterte am ganzen Körper. Als ich die Augen aufschlug, suchte ich sofort einen Anhaltspunkt in der Lindenkrone, doch mein Blick irrte wild suchend umher. Die Linde war nicht mehr da! Jedenfalls nicht in der gleichen Art wie zuvor. Die Linde, unter der ich jetzt lag, war ein höchstens dreißig, möglicherweise vierzigjähriger Baum. Ein unangenehmer, kalter Wind, der einen eisigen Regen vor sich herpeitschte, riss an seinen Ästen und an mir. Mit einem Ruck sprang ich auf die Beine. Ich fror so erbärmlich, und der Wind drückte mir das nasse Kleid an den Körper. Entsetzt stellte ich fest, daß ich zwar auf einer Lichtung stand, außer den angeordneten Steinen jedoch nichts der anderen Lichtung glich. Oder handelte es sich womöglich doch um dieselbe? Nur viel jünger! Die Hecke und die Steine glichen den anderen. Gleiche Anzahl, gleiche Farben und Gestalt der Steine.

      Aber wo waren die Tiere? Ein leises Kribbeln wanderte meine Wirbelsäule hinunter. Ich näherte mich ungewollt einer übermächtigen Angst. Abgesehen von diesen erschreckenden Erkenntnissen, drang allmählich in mein Bewußtsein, daß der Hochsommer von einem kalten, regnerisch ungemütlichen Herbsttag abgelöst worden war. Die Blätter der Bäume leuchteten rot, gelb und braun, während sie von dem eisigen, starken Wind gebeutelt, wild tanzend auf die Erde nieder fielen.

      Schlotternd flocht ich meine schweren, nassen Haare zu einem Zopf, zu dumm daß ich kein Gummi zum zusammenbinden mit hatte. Das konnte doch nur ein Alptraum sein, ein äußerst wirklichkeitsnaher allerdings, räumte ich mir ein. Ohne weiter auf meine klappernden Zähne zu achten und auf die Kälte, die mir durch Mark und Bein drang, dachte ich nach. Mit Vernunft mußte ich dem Spuk doch auf den Grund kommen und ihm ein Ende bereiten können. In der Hoffnung, mich damit wärmen zu können, hob ich meine Decke auf, doch meine Erwartung wurde jäh zerstört, denn sie hing bleischwer und naß in meiner Hand. Ich ließ sie fallen. Das war doch lächerlich! Ärgerlich nur, daß mir nicht nach Lachen zumute war. Ich nahm meinen Rucksack und schaute hinein. Er hatte Gott sei Dank dicht gehalten. Zufällig berührten meine Finger den Zeichenblock. Was fand ich wohl, wenn ich hineinsah? Vorsichtig, damit der Regen nicht auf die Papierblätter fiel, öffnete ich den Block und schaute nach. Ich hatte mich nicht getäuscht: Die Zeichnungen der Lichtung, der Tiere, das Selbstbildnis und die Zeichnungen der Truhe waren noch da. Ich lachte wider Willen.

      „Ich habe doch nicht ein halbes Jahr verschlafen?“ Ich schnitt mir selber eine Grimasse. Was war denn jetzt Traum, was Wirklichkeit?

      „Verdammt, wo ist denn hier die Vernunft?“

      Im meinem Hinterkopf sang Herbert Grönemeyer, mich auslachend: „Was soll das?“

      Ich mußte unbedingt zu meinem Rad, um ins Dorf zu fahren und andere Menschen zu sehen, sonst drehte ich durch. Gedankenversunken legte ich meine Decke zusammen, befestigte sie an meinem Rucksack und hängte ihn mir um. Ich versuchte mich zu sammeln, doch das Gefühl, neben mir zu stehen, ließ sich nicht vertreiben. Und wenn es doch bloß nicht so kalt wäre. Verzweifelt machte ich mich auf die Suche nach meinem Rad. Ich mußte so schnell wie möglich mit einem vernünftigen Menschen reden. Einem, der mir sagte, daß mein Erlebnis völlig alltäglich sei, und der für die seltsamen Ereignisse eine verständliche Erklärung verfügbar hatte.

      Bestimmt war dies nur wieder ein Versuch der Mächtigen und Wissenschaftler, das Wetter der Welt zu beherrschen, welcher dieses Mal geglückt oder auch mißglückt war. Und diese riesige, uralte Linde? Die war ein Trugbild, Kraft meines Wunsches, eine solche einmal zu sehen, tatsächlich jedoch gar nicht vorhanden.

      Die Linde! War es ihr betörender Duft, der mir die Trugbilder in den Kopf pflanzte? Am Ende bewahrheiteten sich die Geschichten von den Menschen, die nach einem Schläfchen unter einer Linde Wahnvorstellungen bekamen, oder gar nicht mehr aufwachten! Ich bekam Angst und je mehr Angst sich meiner bemächtigte, umso mehr fror ich. Fest drückte ich meine Arme an mich, als könnten sie mir Halt geben. Die Angst im Nacken, begann ich zu laufen. Ich lief in die Richtung, aus der ich glaubte, gekommen zu sein. Tatsächlich fand ich die Lücke wieder. Sie hatte sich ebenfalls verändert. Nachdem ich hindurchgeschlüpft war, verlor ich gänzlich den Weg. Kein Baum glich in Größe oder Aussehen denen, die ich zuvor gesehen hatte. Ich fand weder den Hohlweg, noch mein Fahrrad. Wurde es gestohlen? Es mußte doch hier sein!

      So blieb mir also nur, zu Fuß zum Dorf zu laufen. Es lag nur wenige Kilometer entfernt von hier. Ein Schauer durchlief mich. Die Angst, das Dorf könnte sich nicht mehr an der Stelle befinden, wo ich es vermutete, ließ mich schneller laufen. Dem Himmel sei Dank, hörte der Regen auf.

      Ich lief und lief so weiter, dennoch, die Gegend sah so anders aus. Wo waren die Wege? Wo die Kreuzung? Ich erkannte nichts wieder. Mein Magen krampfte sich zusammen. Ich glaubte, eine sich windende Schlange darin zu fühlen. Ein Gutes konnte ich meinem schnellen Lauf abgewinnen: Mein Kleid und meine Haare, die sich wieder gelöst hatten, trockneten, und mein Körper erwärmte sich. Dafür schnürte ein eisiges


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