Auf Bali geht um Vier die Sonne unter. Maik Zehrfeld

Auf Bali geht um Vier die Sonne unter - Maik Zehrfeld


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ich mich freuen soll, endlich etwas Input zu bekommen, oder um die deutsche Fernsehlandschaft trauern muss. Um mein Gewissen etwas zu erleichtern und die Gedanken auf ein Ziel zu fixieren, entschließe ich mich, nach der Arbeit das Vergnügen in mein Leben zu lassen. Und spontan erinnere ich mich dabei an eine Weisheit, die mir Medien Manager Jonas mal gesagt hat und die wohl das Hilfreichste und Tiefgründigste war, was er mir jemals mitgeteilt hat. In einer dieser Papieransammlungen mit Buchstaben drin hat er nämlich Folgendes gelesen:SCHULHINTERTÜR

      “Beim Switchen haben sich ganz individuelle und angebotsspezifische Nutzungsformen entwickelt, wie sie Friedrich Krotz und Uwe Hasenbrink vor einiger Zeit beobachtet haben: Beim Switchen zwischen zwei gleichzeitig laufenden Softpornos entsteht für den Zuschauer in der Wahrnehmung ein dritter, kombiniert aus den beiden gezeigten.”(vgl. Hickethier, K. (1999). Rezeptionsgeschichte des Fernsehens - ein Überblick. In Klingler, W., Rothers, G. Gerhards Maria (Hrsg.): Medienrezeption seit 1945. Forschungsbilanz und Forschungsperspektiven. Baden-Baden 1999. S. 129-141.)

      Danke Jonas. So hat man(n) mehr vom (Nacht)Leben.

      7. Das Leben in vollen Zügen genießen

      Verkäuferinnen wirken gleich um einiges unfreundlicher und weniger ambitioniert, wenn es darum geht, gesonderte Fälle zu bearbeiten.

      „Ich möchte das einfach nur umtauschen. M ist mir zu klein, ich brauche L.“

      „Meinen Sie? Sie sehen für mich eher wie ein M-Typ aus...“

      „Aber genau das ist mir ja zu klein. Die fallen vielleicht einfach klein aus...“

      „Eigentlich nicht, aber okay. Ich schau mal, was ich für Sie tun kann.“

      Na geht doch. Während die Verkäuferin wild an ihrer Kasse herum tippt, kann man ihrer Nase kaum aus dem Weg gehen. Was für ein Brummer. Es ist wie bei einem Autounfall: Schrecklich, aber man kann nicht wegsehen. Will man ihr während eines Dialogs einfach nur höflich in das Gesicht schauen, gleitet der Blick immer wieder automatisch zum dominierenden Geruchsorgan. Mike Krüger müsste sich zwölf Ferrari kaufen, um die zu ihrer Nase fehlende Länge zu kompensieren.

      „So hier.“

      Die sprechende Nase drückt mir einen Zettel in die Hand.

      „Bitte unterschreiben. Holen Sie nun einfach ein größeres Hemd und kommen Sie noch einmal zu mir, zum Entsichern.“

      „Alles klar, danke.“

      Leicht ängstlich, kein Exemplar in Größe L vorfinden zu können, mache ich mich auf zum Regal, an dem Toms Brüder hängen. Aber ich habe Glück, eine Größe L ist noch vorhanden. Um einem absoluten Desaster aus dem Weg zu gehen, entschließe ich mich, das Hemd nun doch vor Ort anzuprobieren. Ein schneller Blick zu den Umkleiden zeigt, dass dafür keine Zeit ist. Spontan entschließe ich mich dazu, es direkt auf dem Gang zu testen. Ich lege meine Klamotten zur Seite und kämpfe mich aus meinem Sweatshirt. Dabei immer ein Auge auf das neue Hemd gerichtet. Geschwind in die Hemdärmel, die Knopfreihe zugeknöpft, und: Es ist zu groß! Ich werd bekloppt. Das kann doch nicht sein. Für was für Menschen werden denn bitte diese Konfektionsgrößen geschneidert? Mit 1,74m und 71 Kilogramm bin ich doch nun auch nicht soo unnormal, oder? Kurzfristig überlege ich, für einen besseren Fit des Hemdes einfach ein paar Pfund zuzulegen. Ist ja schnell gemacht. Aber für ein Hemd meine gesamten anderen Klamotten zu benachteiligen erscheint mir dann doch ungerecht. Genervt und leicht zornig erregt schreite ich zurück zur Kasse und knalle meinen Kassenbeleg auf die Theke.

      „Sie sollten doch das neue Hemd direkt mitbringen...“

      „Zu groß.“

      „Aber Sie haben doch gesagt...“

      „Geld. Können Sie mir bitte das Geld geben?“

      Der Pegel an Unfreundlichkeit steigt sekündlich an bei der Verkäuferin. Widerspenstig tippt sie erneut eine Runde auf ihrer Rechenmaschine herum und zahlt mir den Betrag als Gutschrift aus.

      „Danke. Man riecht sich später.“

      Ich nehme den Gutschein und wanke bedröppelt aus dem Laden. Schöne Scheiße. Nun muss ich noch ein drittes Mal los, um endlich etwas eingekauft zu bekommen. Dem zielstrebigen Einkaufstyp scheine ich nicht mehr anzugehören.

      Noch immer etwas gefrustet mache ich mich auf den Weg zu meiner Bahnstation. In etwa gleicher Schrittgeschwindigkeit und mit anscheinend identischem Ziel läuft eine kleine Gruppe Jugendlicher neben mir her. Meine Stimmung vermiest sich noch mehr, als ein Handy zu klingeln beginnt. Einer der Jugendlichen rückt seine Basecap von Viertel vor Neun auf Sechszehn vor Zwölf.

      „Ey, wisst ihr? Ich hab da voll das neue Witzige!“

      Kaum sind die Worte ausgesprochen, fingere ich auch schon in meiner Jackentasche nach der digitalen Erlösung namens Kopfhörer. Verdammter Mist, zu Hause vergessen! Und schon beginnt eine hochfrequente Stimme, einen gespielten Anruf nachzustellen. Intuitiv verkleinere ich meine Schrittfrequenz und hoffe, dass das Übel einfach seinen Lauf nimmt. Möglichst von mir weg. Ich nutze die gewonnene Schlenderzeit und schaue mir die Einkaufsstraße etwas genauer an. Von den Geschäften her sieht sie wohl aus, wie jede andere Fußgängerzone in Deutschland. Fressbude, Kleidung, Elektronik, Fressbude,... Immer das Gleiche. Doch dann muss ich kurzfristig stehen bleiben. Ein prüfender zweiter Blick bestätigt meine Hoffnung und verbessert meine Laune schlagartig. Da steht doch tatsächlich inmitten all der 08/15-Geschäfte ein Unternehmen, welches sich auf Lampen und Beleuchtungsartikel spezialisiert hat. Soweit, so langweilig. Aber der Claim des Unternehmens, der dick und fett am Eingang zu lesen ist, der hat was:

      „Watt ihr Volt!“

      Danke schön. Genau so etwas sollte das Ziel eines jeden Werbetreibenden sein. Ein simples und einprägsames Wortspiel passend zur Ausrichtung des Unternehmens. Kurz überlege ich, diese Idee mit dem Kauf einer Glühbirne zu unterstützen, aber dann fällt mir ein, dass ich eine Glühbirne momentan einfach mal so gar nicht gebrauchen kann. Kaum habe ich mich wieder auf den Weg zur Bahnhaltestelle gemacht, höre ich auch schon wieder lauter werdende auswechselbare Hip Hop Beats. Die Gruppe Handys mit Jugendlichen ist an einem Stand mit gefälschten Armbanduhren und sonstigem Bling-Bling stehen geblieben. Ich beschleunige kurz und ziehe gekonnt vorbei. Immerhin habe ich das schon einmal hinter mich gebracht. Der Blick auf die Anzeigetafel sorgt für eine weitere Beschleunigung. Die Bahn fährt anscheinend gerade ein. Gekonnt fliege ich die Treppenstufen geradezu herunter und renne in das Bahnabteil. Mit meiner Leistung zufrieden setze ich mich in einen der Viererplätze. Wenn man erst einmal auf der anderen Seite der Plastikscheibe ist, sind Menschen, die rennend versuchen eine Bahn zu erwischen schon wieder mit einem hohen Unterhaltungswert gesegnet. Gerade sonst eher unsportliche Menschen haben dann eine gewisse Komik an sich. Wenn allerdings eine Gruppe Kindergartenkinder anfängt, auf einen zu zu rennen, schlägt das Gefühl schnell in Angst rum. Meine Ohren erwarten sehnsüchtig das Schließsignal der Türen. Da, ein Piepen, wunderbar. Alle Türen schließen, perfekt. Aber warum hören die Kleinen nicht auf zu rennen und lassen sich weinend auf den Boden fallen um ihre Erzieherinnen in den Wahn zu nerven? Ganz einfach: Weil ein älterer Herr mit einem Schritt auf den Stufensensor eine Tür offen gehalten hat. Er meinte es sicherlich gut, aber im Alter anscheinend verlorene Weitblick und die missglückte Einschätzung der Situation werden ihn noch abstrafen.

      „Nils, Jasmin, Mareike, Tim, setzt euch bei dem jungen Mann in den Vierer“ höre ich eine der alten Kinderführerinnen auch schon raunzen.

      „Niklas, Judith, Kim und Tom, ihr setzt euch mit mir hier rüber.“

      Tom. Hätte ich nicht wenigstens den haben können? Der sieht auch viel ruhiger aus, als die acht Kinderaugen, die mich jetzt doof anglotzen. Das kommt davon, wenn man vor zwölf Uhr aufsteht, um mit der Bahn zu fahren. Klasse Idee. Nach fünf nervenaufreibenden Stationen und einer verkippten Capri-Sonne, bin ich froh, das Höllenabteil verlassen zu können und kann die Altersfalten der Erzieherinnen absolut nachvollziehen. Die sieht zwar aus wie 39 ist aber bestimmt erst Vierzehn. Mit solchen Kindern kann man einfach nicht gut aussehen. Auf dem Weg zu meiner Haustür fingere ich nach meinem Schlüssel. Ich fische ihn aus meiner Hosentasche und finde daran


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