Auf Bali geht um Vier die Sonne unter. Maik Zehrfeld
Die 4 Stockwerke nehme ich im Spurt und erleichtert trete ich auf aus dem Haus.
„Aaaaah, das tut gut. Genau das habe ich jetzt gebraucht.“
Und so mache ich mich auf den Fußweg zu meiner Wohnung, absolut selbstzufrieden und absolut laut trötend.
4. Tom
Heute schaffe ich es einfach nicht zu BWL. Es gibt viel zu viel zu tun. Ich muss noch Einkaufen, die Küche auf Vordermann bringen, Etwas essen und den üblichen Internetkrams erledigen. Und nebenbei auch noch den guten Vorsatz vorantreiben, Comedian zu werden. Da bleibt keine Zeit für meinen zweiten Bildungsweg per Studium. Und dann kommt einem mal wieder Mr.HelloKitty59 dazwischen. Schon wieder hat der Sack meinen Wikipedia-Eintrag gelöscht. Langsam bin ich es leid, meine kostbare Freizeit für die Allgemeinbildung und den Fortschritt der Gesellschaft zu opfern, wenn immer wieder alles, was ich mit den Händen aufgebaut habe, von dem Arsch wieder eingerissen wird. Heute habe ich einen kurzen Dokumentarfilm über die Kreation des perfekten Mettbrötchens eingestellt. Das sollte auch den letzten Gourmet-Banausen davon überzeugen, dass mein Beitrag von Wert ist. Ein schmackhafter Beitrag mit wertvollen Essenzen, gewürzt mit einer Prise Humor. Wie ein Mettbrötchen halt.
Aber jetzt ist Schluss mit dem Lotterleben. Nun heißt es in die Hände gespuckt und angepackt. Ich packe meinen Wäscheberg beherzt in beide Hände, stiefel durch die Wohnung und verliere auf dem Weg zur Waschmaschine die Hälfte. Waschmaschine vollgestopft, Waschmittel rein, Hahn aufgedreht und ab geht die Schleuder. Ich spüle schnell ein Messer, eine Gabel und einen Teller in weiser Voraussicht für heute Abend und schnüre die Müllsäcke zusammen, um sie nachher mit runter zu bringen. Danach geht es ins Badezimmer. Rasieren, beim Duschen die Zähne putzen, Fußnägel schneiden, Fingernägel schneiden, Haare stylen. Die Glühbirne fängt an zu flackern. Muss ich mal austauschen. Schnell flitze ich durch die Wohnung und sammle im Vorbeigehen die auf dem Boden liegenden Wäscheteile auf. Diese werfe ich schnell in den Schrank und suche vernünftige Klamotten für den Tag raus. Doch bevor ich mich ankleide, um in die Stadt zu gehen, beschließe ich, eine Pause einzulegen. Das war bislang auch durchaus aufreibend. Immerhin habe ich einiges geschafft. Ich schaue mir mehrere Wiederholungen von King of Queens im Fernsehen an und surfe etwas im Internet. Man hat ja sonst nichts vom Leben. Neben all meinen Pflichten muss ich dann auch noch die Abendplanung in Schwung bringen. Ich zücke mein Handy und schreibe eine SMS an Chris, Matze, Jonas und Linda. Letztere sind alte Schulkollegen von mir. Jonas studiert jetzt Medien Management und Linda ist endlich von ihrem Auslandsaufenthalt in New York wieder da. Das Problem daran ist, dass sie es jedem unter die Nase reiben muss.
„Hey Du! Wie schaut es heute Abend mit Pool spielen aus? Um 8 im Stars. Gruß, Sven“
Das sollte reichen. Bei den momentan aufsteigenden Temperaturen benötige ich unbedingt ein neues Sommerhemd und ein paar T-Shirts. Dieses Jahr ist es im März bereits unüblich warm, also fahre ich in die Innenstadt. Ich habe Glück und verlebe eine Handymusik-freie Bahnfahrt. In der Stadt angekommen mache ich mich auf den Weg zum Kaufhaus meines Vertrauens. Die Innenstadt ist mal wieder verdammt voll. Das wäre ja absolut nicht schlimm, wenn alle Leute einfach gezielt und in einheitlichem Tempo von A nach B laufen würden. Aber nein, da gibt es ja die unterschiedlichsten Typen von Einkaufspassagengängern:
1. Der zielstrebige Erlediger. Dieser ist in der Regel männlich und jung. Er ist auf sein (Einkaufs-)Ziel fokussiert, weiß, was er haben möchte und in etwa, wo er es bekommt. Da er auch noch Wichtigeres vorhat mit seiner Zeit, sieht er das Einkaufen in der Innenstadt als notwendiges Übel, welches möglichst rasant über die Bühne gebracht gehört.
2. Der unentschiedene Vergleicher. Dieser weiß – wenn überhaupt – grob, was er diesen Tag erwerben möchte und durchsucht aber auch wirklich jeden noch so kleinen Pimpfladen. Alle Sortimente werden verglichen und am Ende stets mehr gekauft, als zuvor eingeplant war. Es gibt ja soo viele schöne Sachen. Und diese gelangen in soo viele Tüten, die anderen beim Schlendern durch die Fußgängerzone schlichtweg den Weg versperren.
3. Der preisbewusste Entscheider. Ebenso, wie der unentschiedene Vergleicher ist der Entscheider den ganzen Tag unterwegs und in jedem Kaufhaus anzutreffen. Allerdings beläuft sich sein Kauf tatsächlich nur auf die angestrebten Teile. Zuerst werden alle Preise miteinander verglichen, um dann nach vier Stunden und etlichen Kaffees zurück zu Geschäft A zu gehen, bei dem es das begehrte Stück für vier Cents günstiger gibt, als in Geschäft Q.
4. Der schlendernde Neugierige. Hier scheiden sich die Geister der Logik. In der Regel sind hiermit Menschen gemeint, die schlicht den gesamten Tag „mal gucken wollen, was es so gibt“. Eindeutig erkennbar sind sie durch ihre langsame Fortbewegungsgeschwindigkeit, die im Einkaufsstress der anderen Leute um sie herum nahezu hypnotisch wirkt und ihnen den letzten Nerv stiehlt. Am Ende des stundenlangen Spaziergangs stehen dann entweder endlos viele unnütze Accecoires im Schrank des Schlenders oder aber, er hat den Großteil der Zeit damit gebracht, die Stadttauben zu füttern. Wir haben ja Zeit.
5. Die total Bekloppten. Der schlimmste Fall. Denn sie halten den ganzen Laden erst auf. Und mit Laden ist die Innenstadt an sich gemeint. Die Bekloppten zeichnen sich durch ihre Unberechenbarkeit aus. Das Schlimmste ist, wenn man sich gerade ungeahnt hinter einen Bekloppten gehängt hat, um anhand seiner gebildeten Schneise durch die Menschenmenge zu gelangen, und Unvorhergesehenes geschieht: Er bleibt stehen. Warum in aller Welt gibt es so viele Leute, die meinen, einfach mal stehen bleiben zu müssen? Oder sich gar noch auf der Stelle umzudrehen und in die andere Richtung zu laufen? Bedenken die nicht, dass so etwas in einem Menschenfluss nicht funktioniert? Ich meine, auf der Autobahn macht man doch auch keine Vollbremsung mit Powerslide, weil man sich gerade überlegt hat, vielleicht doch einen Apfel beim Obsthändler zu kaufen. Und das Schlimmste: Total Bekloppte gibt es in der Stadt, im Bahnhof, im Supermarkt - es gibt sie überall. Ständige Richtungs-, Geschwindigkeits- und Schrittlängen-wechsel machen sie zum wohl unverstandensten und nervigsten Individuum der Einkaufswelt. Mal ganz von Frauen abgesehen, aber das ist ein ganz anderes Thema.
Als zielstrebiger Entscheider, der ich nun einmal bin, mache ich mich möglichst gradlinig zum Geschäft meiner Wahl auf, bei dem ich mit großer Sicherheit fündig werden sollte. Schnell vorbei an gut riechendem Essen, schlecht riechenden Leuten und zu teuren Designerläden. Im Laden angekommen schallt mir sofort 90er-Party-Musik in die Ohren. Na ob das so verkaufsfördernd wirkt? Ich gehe in die Abteilung für junge Menschen und lasse mich vom aktuellen Angebot berieseln. Das, was gut aussieht ist zu teuer. Das, was in meiner Preislage ist und gut aussieht, ist natürlich nicht in meiner Größe da. Fängt ja gut an. Doch dann: Meine Augen erhaschen ein perfekt aussehendes Hemd. Stilvoll aber doch jugendlich sportlich. Und auch noch heruntergesetzt, perfekt. Wenn das jetzt auch noch in meiner Größe... M! Tatsächlich, ein reines `M‘ hängt mir freudig vor dem Gesicht. Vor lauter ausgeschütteten Einkaufsendorphinen hüpfe ich hektisch umher. Ich drehe mich um, um meinen Rucksack und meine Jacke zur Seite zu legen. Kurz noch den Pullover ausgezogen, um das Hemd auch in seiner natürlichen Umgebung, dem
T-Shirt, testen zu können. Eine erneute 180-Grad-Drehung in die Ursprungsstellung, und - es ist weg! Wo ist das Hemd hin? Wo ist MEIN Hemd hin? Größe L, Größe S, Größe XXL, Größe S... Verdammt, keines mehr in Größe M da. Verwirrt schaue ich umher. Irgendwo muss es ja sein. Alter Mann hat Korthut in der Hand, junge Frau hat Slips in der Hand, junger Mann hat eine Hose in der Hand, alte Frau hat alten Mann an der Hand, nochmal die sehr junge sehr gutaussehende Frau mit den Slips in der Hand… Da! Junge Frau hat Hemd in der Hand. Mein Hemd. Diese dreiste Diebin. Das hing doch quasi schon bei mir daheim und hat sich bei den neuen Nachbarn Anzug und Hawaiihemd vorgestellt.
„Ähm, Entschuldigung? Das ist mein Hemd, das Sie da haben.“
„Bitte was?“
„Ich habe mir das Hemd rausgesucht. Das haben Sie mir einfach weggenommen...“
„Einfach weggenommen? Sie spinnen doch! Das hing ganz normal an der Wand, oder gehört das etwa alles Ihnen?“
„Ähm, nein..“
„Und sowieso: Solange Sie es nicht bezahlt haben, kann es ja wohl Jeder nehmen. Da hängen doch bestimmt noch andere.“
„Aber