Auf Bali geht um Vier die Sonne unter. Maik Zehrfeld

Auf Bali geht um Vier die Sonne unter - Maik Zehrfeld


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Das müsste sie doch eigentlich aus den Fünfzigern kennen. Andere scheint es weniger zu stören und sitzen oder liegen sogar direkt daneben. Oh man, noch vier Minuten. Immer diese Warterei. Ich schreibe Chris eine SMS, dass es etwas später bei mir wird.

      „Junger Mann, lassen Sie mich mal durch…“

      Auch wenn sich auf dem Steigbereich vor mir drei alte Frauen mit ihren Wagen ein Rennen hätten liefern können, gehe ich noch einen Schritt zurück und die alte Frau rollt an mir vorbei. Noch zwei Minuten. Ich schreite wieder einen Schritt nach vorne und schalte meinen MP3-Player an, damit Metallica mir die Abendstimmung versüßen kann. Durch den fallenden Regen hindurch sind hetzende Menschen mit ihren Regenschirmen und Taschen in den dunklen Straßen zu erkennen. Manche rennen durch den Regen, manche würden gerne rennen, aber das ist ihnen zu peinlich, so dass sie lediglich „zügig laufen“, was weitaus peinlicher aussieht, und wieder andere schlendern genüsslich als ob es der erste Regen in einem vertrockneten Sommer wäre. Ist es aber nicht. Es ist verdammt nochmal scheiße kalt! Als hätte sie meine fluchenden Gedanken gehört, schlägt mir die alte Rollator-Dame mit ihrer Gehhilfe gegen mein Schienbein.

      „Ahh! Was soll das?“

      „Gehen Sie zur Seite, junger Mann!“

      Die alte Dame hat sich nun doch wieder für die andere Bahnsteigseite entschieden und will anscheinend rübermachen, was sie mir mittels ihrer Gehhilfe in einer Art Morsecode verdeutlichen will.

      „Aye, aye, alte Frau.“

      Sie schaut etwas grimmig und schiebt sich schimpfend an mir vorbei in Richtung Abfallhaufen. Was müssen die denn auch immer selbst betonen, dass andere so viel jünger sind als sie? Da kann ein 70-Jähriger auf dem Bahnsteig stehen und wird von 80-Jährigen Frauen als „junger Mann“ beschimpft. Aus was für Wörtern die überhaupt Schimpfwörter kreieren können.

      Noch eine Minute. Ich sehe die Bahn bereits an der vorherigen Station stehen. Im Hintergrund ein lautes Klimpern. Die alte Frau, die gerade noch über den Abfall gemeckert hat, meckert nun darüber, dass in einigen der Flaschen noch Reste liegen. Sie schüttet sie aus und packt die Flaschen in ihre Tasche. Pfandsammlerin, soso. Wohl der Job 2.0 des neuen Jahrtausends in Deutschland. Der Spaß für die ganze Familie.

      „Linie 6, Messe Ost“ ertönt es von der kleinen Bahnfrau, die im Lautsprecher versteckt ist. Meine Straßenbahn ist da. Endlich. Ich steige in den hinteren Wagen und setze mich wärmend in eine Ecke. Schon komisch, was für Gestalten man nachts in der Bahn so zu sehen bekommt. Ein Mann im Anzug schreibt etwas in seinen Laptop, während sich neben ihm eine kleine Gruppe halbstarker Jugendlicher Döner reinzieht, von denen einer stärker riecht als der nächste. Und damit meine ich sowohl die fleischbeladenen Fladenbrote, als auch die fleischbeladenen Vierzehnjährigen. Gegenüber sitzt um diese Zeit tatsächlich noch eine Frau mit ihrem Kinderwagen. Das Kind muss etwa zwei Jahre alt sein – wenn überhaupt – und ist noch wach. Einer der Halbstarken scheint der Meinung zu sein, dass die musikalische Untermalung der Stationsdurchsagen eine zu geringe kulturelle Grundlage für eine abendliche Bahnfahrt sei und schaltet seine Musikfunktion im Handy ein. So sehr der technische Fortschritt auch zu begrüßen ist, manche Entwicklungen dürfen einfach nicht in die falschen Hände geraten, sonst werden viele Menschen Schaden erfahren. So ist es bei Massenvernichtungswaffen, so ist es bei Giftstoffen und so ist es bei Musikhandys. Bässe von 50 Cent’s „Candy Shop“ schlagen dem ganzen Abteil entgegen und ich beschließe meinen Player um eine Stufe lauter zu schalten. Komischerweise tritt immer wieder der Effekt in Kraft, dass wenn eine Person anfängt, Musik zu spielen, andere an die Möglichkeit erinnert werden, ihre persönliche Musikkollektion mit der Welt teilen zu können. Und schon schaltet ein zweiter Halbstarker sein Handy ein und elektronische Töne ohne erkennbare Melodie erklingen. Man könnte nun sagen, dass durch experimentelle Musikmischung eine neue, interessante Mash up-Form des Elektro-Hip-Hops entstanden ist, und junge Menschen ihre Freiheit genießen müssen. Das sagt man aber nicht. Ich erhöhe derweil die Lautstärke meines Handys dezent um vier Stufen. Der nächste Halbstarke setzt ein mit den schlimmsten Worten, die wohl folgen können:

      „Ey, isch hab da noch voll das Witzige! Moment, warte… hier!“

      Und man kann eigentlich immer sicher sein, dass man sich auf alles nur erdenklich einstellen kann – witzig wird es nicht sein. Irgendein pseudo origineller Witz-Klingelton-Schrägstrich-Was-auch-immer-Sound spielt in gewollt schräger Stimmlage an. Ich bin froh, dass das Kleinkind gegenüber endlich anfängt zu schreien, sonst hätte ich diesen Part übernommen. Die Mutter wirft einen bösen Blick zu der jungen Bande, die sich glücklicherweise der nächsten Bahnhaltestelle widmet. Sie steigen aus. Ebenso die alte Flaschensammlerin, die bereits auf dem Bahnsteig anfängt, die jungen Leute zu beschimpfen. Endlich ein guter Einsatz ihrer bösartigen Supermacht. Das Kind quengelt rum und möchte anscheinend etwas essen. Die Mutter drückt ihm eine kleine Plastikdose in die Zwergenhände. Der Junge hat bereits Probleme diese zu öffnen, doch dann erscheint der Inhalt: Pistazien. Welch gemeine Frau. Hat man in dem Alter überhaupt schon Fingernägel? Geschweige denn die Kraft, zwei scheinbar unauseinanderbringbare Nusshälften auseinander zu bringen? Selbst ich kapituliere regelmäßig an kniffligen Einzelnüssen und besitze Mini-Blutergüsse am Fingernagel nach einer abendlichen Fressattacke. Der kleine Junge versucht sein Bestes. Sein Kopf fängt langsam an zu erröten. Im Endeffekt geht die Strategie der Mutter aber auf: Der Kleine ist beschäftigt, ruhig und frisst sich nicht unnötig voll.

      Der Name meiner Zielstation ertönt und ich mache mich auf zu einer der Türen. Auch die Mutter mit ihrem Kinderwagen schiebt sich gen Ausgang. Ich schaue in den Wagen und der kleine Knirps grinst mich verstohlen an. Ich grinse zurück, winke und steige zu befreienden Metalklängen aus der Bahn. Kaum stehe ich auf der Rolltreppe und fahre Richtung Obergrund piept mein Handy.

      „Kein Ding. Werd auch etwas später kommen. Treffen uns in der Bar! Chris“

      Genau da treffe ich Matze, wild umschlungen von einer jungen Blondine, die etwas aufgedreht wirkt.

      „Abend Matze. Na, haste die schon bezahlt?“ sage ich locker vor mich hin, grinsend zu der Kleinen nickend. Er hat den Witz etwas verbittert aufgenommen, wenn ich seinen Mittelfinger richtig deute. Das Mädel scheint zu betrunken zu sein, um überhaupt noch einen Finger heben zu können, wenn sie mich gehört hätte.

      „Wichser. Lass uns runter gehen!“ sagt Matze und geht Richtung Eingang vom Ripper’s, seine neue Bekanntschaft hinter sich her schleifend. Wir steigen die Stufen hinab in den alten britischen Pub und ich freue mich in erster Linie aus dem kalten Dreckswetter zu kommen. Hier ist es warm und alle sind gut drauf. Kein Wunder, zum einen hat England heute ausnahmsweise im Fußball gewonnen, zum anderen sind die Briten schlechtes Wetter ja gewohnt. Denen kann man das Leben doch gar nicht mehr versauen, oder? Schlechtes Wetter, schlechte Frauen, schlechtes Bier, schlechtes Essen, schlechte Elfmeterschützen. Als Brite hat man es nicht leicht. Wir setzen uns an einen Tisch und bestellen bei der britischen Kellnerin drei Pints. Sie sieht zumindest aus, als könnte sie Britin sein.

      „Und, willst du mich Deiner neuen Bekanntschaft nicht mal vorstellen, Matze?“

      „Och ja. Klar, wenne willst. Tina – Sven, Sven – Tina.“

      „Hallo Tina.“

      Tina scheint immer noch nicht wirklich daran interessiert zu sein, ihre Zunge aus Matzes Ohr zu nehmen.

      „Du sorry, die is glaube ich schon ein bissel zu betrunken...“

      „Das könnte sein.“

      „Na, immerhin hab‘ ich eine! Schau Dich an, mal wieder nichts am Start.“

      „Jaja, kommt ja noch. Wart‘ ma ab, wie der Abend sich entwickelt.“

      Kaum gesagt, sondiere ich auch schon die Barlandschaft. Zu alt, zu fett, zu britisch. Alles nicht das Wahre. Oh, die da vorne am Tisch, die ist doch... anscheinend nicht gerade dabei, ihrem Vater die Zunge in den Hals zu schieben?! Mein Blick erfasst eine Gruppe junger Mädels an der Theke. Bestimmt Studentinnen, so Anfang Zwanzig. Ich beschließe meinen unausweichlichen Humor einzusetzen und mache mich auf zu einem Versuch.

      „Hi, ist das hier eigentlich eine Bar oder kann man auch mit Karte


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