Auf Bali geht um Vier die Sonne unter. Maik Zehrfeld
er spätestens dann eintrudelt. Ich betätige den Surrer an der Tür und wende mich meinem Abschlusssatz zu:
„Diese Variationsmöglichkeiten und liebevoll arrangierten Gebilde zeugen von dem höchstanzunehmenden Involvement, welches Gourmetfreunde aus aller Welt der Thematik entgegen bringen“. Ich füge noch schnell die Bilddatei Mettigel2012_04.jpg ein und speichere den Artikel. Ein User hatte ihn doch tatsächlich letzte Woche gelöscht, aufgrund angeblich „nicht gegebener Relevanz“. Pah, nicht gegebene Relevanz. Ich geb dem gleich „nicht gegebene Relevanz“. Als ob er der Relevator ist, der bestimmt, was relevant ist, und was nicht. Und sowieso, mit so einem Nicknamen sollte man mal ganz leise sein. Tz, dieser dämliche „Mr.HelloKitty59“.
„Moinsen.“
„Tach. Na, wie läuft’s?“
Matze hatte die 76 Stufen in mein Studentenpenthouse im vierten Stock in persönlicher Bestzeit abgespult. Bestimmt, damit das Bier schnell in den Kühlschrank kommt. Mit im Schlepptau hat er Chris, der wesentlich mitgenommener von dem Stufenstieg aussieht. Eigentlich heißt Matze ja – welch Überraschung – mit richtigem Namen Matthias. Aber als er in der Anfangszeit des Studiums hat verlauten lassen, nicht „Matze“ genannt werden zu wollen, wie jeder andere Matthias XY auf dieser Welt, hat er sich ein schönes Eigentor geschossen, um beim Samstagmittäglichen Betrinkungs- und Geselligkeitsmotiv Fußball zu bleiben. A pro pos: Von meinem Anschauungsmaterial letztens habe ich mir eines merken können und zwar, dass man seine Umwelt beobachten soll. Da passiert schon genug Lustiges, welches andere für einen erarbeiten. Man muss es nur zusammenfassen und schon erntet man die Lacher. Und die wohl größte Fundgrube der Unterhaltungsästhetik ist das allwöchentlich mindestens einmal stattfindende gemeinsame private viewing von Fußballspielen. Je schlechter das Spiel, desto besser schmeckt das Bier und desto essenzieller werden die angebrachten Wortspielereien. Dazu kommt, dass die Kommentatoren anscheinend mehr und mehr den Drogen zusagen, um mit teils höchstphilosophischen Bemerkungen vom bezüglich des Spielgeschehens fehlenden Überblick abzulenken. Da ist bspw. eine Taube für einen Moment auf der grünen Spielfläche des kommenden Knallerspiels eingeblendet und prompt folgt die absolut treffende Schlussfolgerung:
„Die Punkte liegen für die Gäste so hoch, wie eine Taube...“
Dann ist man sich sicher, dass irgendwer wichtiges gestorben sein muss, aufgrund der vom Kommentator eingeworfenen schweigenden Minute. Doch dann folgt plötzlich:
„... die fliegt. Sehr hoch“.
Dass man nur mit einem abgeschlossenen Philosophie-Studium einen Kommentatoren-Job bekommen kann, zeigen dann wieder Sätze, wie „sie müssen den Eingang zum Sack finden, den es zuzumachen gilt”.
Und neben diesen hochkulturellen Ansätzen, wird dem ach so dummen Zuschauer auch noch ein wenig mathematisch-statistische Nachhilfe gegeben:
“Zwölf Tore. Somit ist das halbe Dutzend mehr als voll gemacht. Nämlich doppelt voll“.
Und vor solchen Unterhaltungsperlen möchte der gemeine eingebildete und besserwisserische Zuschauer natürlich nicht hinten anstehen. 79. Minute, 2:0 für Finnland gegen die deutsche Nationalmannschaft.
„Oh, da brauchen wir aber ein starkes Finish.“
Fehlt die Kreativität auf dem Platz, muss sie sich halt auf der Couch entfalten. Irgendwo muss sie ja sein. Am besten in meinem nagelneuen Collegeblock, der meine zweite Großinvestition zum Comedy-Ruhm darstellt und spontane Komikejakulationen auffangen soll. Denn mit dem Erinnern ist das bei mir immer so eine Sache, selbst wenn kein Alkohol im Spiel ist. Ich lebe quasi die Weisheiten der finnischen Punkgruppe Disco Ensemble, die einen ihrer Songs mit den Worten „I’d forget my name if it wasn’t printed on my passport“ beginnen. Oder besser „ohne facebook würde ich selbst meinen Geburtstag vergessen“. Aber das kennt doch sicherlich jeder, oder? Und für Comedians ist das doch eh nicht wichtig. Ich meine, Mario Barth wird doch sicherlich auch manchmal in Gegenwart seiner Freundin sein und sich denken „Mensch, Mario, dat glaubse net. Den muss ick mir merken“ und sich innerlich kaum einkriegen, weil er selbst das größte Opfer seiner Komik darstellt. Und vor lauter Selbstbelachung ist der Brüller auch schon wieder vergessen. Selbst Elefanten vergessen bestimmt. Und selbst ein Elefant, der in seiner Elefanten-Truppe den Comedian darstellt und sich witzige Wasserloch- und Löwen-Fangenspielgeschichten vom Vortag merken muss, wird sicherlich hin und wieder was vergessen.
„Och Sven, warum muss ich schon wieder auf diesem beschissenen Stuhl sitzen, der bereits halb auseinanderfällt?“ beschwert Chris sich, auf der Sitzfläche hin und her rutschend. Der Stuhl knatscht dabei in hohen metallenen Tönen.
„Es tut mir leid, dass ich deinen gesellschaftlichen Status nicht halten kann und nur eine Couch besitze...“
„Warum hast du nicht zwei... äh... ‚Couchen‘? Oder was ist die Mehrzahl von ‚Couch‘?“
„Hm... ‚Sofas‘! Ich habe keine zwei Sofas, weil halt die Klappe.“
„Wenn du weiter über Möbel sprichst, während Fußball läuft, kann die Periode ja nicht weit sein“ beendet Matze das aufkeimende Gespräch auch schon wieder.
Das heutige Fußballspiel bietet leider auf beiden Seiten der Mattscheibe nur wenig Kreatives. Mal den kunstvollen Stapel an Pizzaschachteln, Bierflaschen und Chipstüten ausgenommen, den Chris errichtet hat. Der Notizlock bleibt aber vorerst leer für heute. Das Spiel endet 8:6:7 und somit ist Chris heute der mit den meisten getrunkenen Bieren und darf den ersten Vorschlag für die weitere Abendplanung machen.
„Disco heute? In der Glocke soll gute Musik gespielt werden...“
„Gute Musik in deinen Ohren oder allgemein geltend gute Musik?“
„Haha, lustig Sven... Dann schlag du doch was vor!“
„Wie wäre es denn erst einmal mit einer Bar? Ein bisschen in ruhiger Runde Trinken und neue Leute kennen lernen.“
„Wenn du mit ‚neue Leute‘ Frauen meinst, bin ich dabei“ unterstützt mich Matze.
„Okay, okay... Dann lass uns ins Ripper’s gehen. So um Zehn? Ich geh dann erst mal noch ein bisschen Chillen und was futtern.“
Wir nicken uns gegenseitig an. So sei es. Matze und Chris suchen ihre Klamotten zusammen und machen sich auf den Weg. Ich checke kurz mein Portmonee zwecks Finanzlage für den Abend. Die Weltwirtschaftskrise hätte bereits vor Jahren erkannt werden können, wenn nur die Anzeichen auf meinem Konto von den Experten richtig gedeutet worden wären. Aber für heute sollte es noch reichen. Sonst alles dabei? Oh, meinen Ausweis muss ich mal verlängern...
Die Jungs verschwinden winkend im Treppenhaus und ich widme mich der Essensproblematik. Noch habe ich keinen Hunger, aber wie sieht es in 25 Minuten aus, wenn zum Beispiel meine Tiefkühl-Cordon-Bleus fertig wären? Denn das ist die eigentliche Kochkunst: So früh und getimed anfangen, dass man bei Vollendung hungrig ist. Fängt man erst an, wenn von den Nachbarn die erste Lärmbelästigung aufgrund unüberhörbaren Magengrummeln bei der Polizei eingeht, hat man etwas falsch gemacht. Ich beschließe in 25 Minuten noch keinen Hunger zu haben und räume oberflächlich das Wohnzimmer auf. Wer weiß, wer heute Nacht noch Einblick in dieses Junggesellenreich erhält?
3. Engländerinnen
Mitte des zweiten Stockwerks höre ich sie kommen. Ein kurzer verzweifelter Zwischensprint und ich höre auch schon, wie sie wieder wegfährt. Na wunderbar, Bahn verpasst. Die acht Minuten gewonnene Zeit beschließe ich in unserem Kiosk an der Ecke zu investieren.
„Ein Bier und eine Schachtel West, bitte.“
„Hier. Macht 5,90 Euro.“
„Stimmt so.“
Ich gebe es auf mit dem Kassiererinnen-Humor dieser Welt und drücke der jungen Kosovo-Albanerin sechs Euro in die Hand.
Das Bier ist laukalt und das Wetter beschissen. Ein guter Start für einen gelungenen Abend. Je weniger Lust man zu Beginn des Abends hat, aus dem Haus und durch die Nacht zu gehen, desto besser wird es doch in der Regel.