Die Schiffe der Waidami. Klara Chilla

Die Schiffe der Waidami - Klara Chilla


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Jess Morgan, Captain der Monsoon Treasure.”

      Conzellon traf jedes Wort wie ein Schlag in die Magengrube, und obwohl er bereits wusste, wer sein Schiff geentert hatte, war dies nun die ausgesprochene Bestätigung für das sichere Ende. Ihre Blicke trafen sich, und dem Spanier fröstelte es. Eisblaue Augen trafen auf die seinen und musterten ihn interessiert, während der Pirat vergeblich auf eine Antwort wartete. Als ihm klar wurde, dass er keine erhalten würde, verzog sich das ansprechende Gesicht zu einem höhnischen Lächeln.

      „Die Derroterro habt Ihr bereits herausgesucht, wie ich sehe. Das ist sehr zuvorkommend von Euch – Capitan Namenlos.“

      Besitzergreifend streckte der Pirat seine Hand nach der Ledermappe aus. Conzellon wich einen Schritt zurück, während er verzweifelt seine Möglichkeiten in der engen Kajüte abzuwägen versuchte. Sein Herz und sein Magen verklebten zu einem dicken Klumpen aus Angst. Trotzdem regte sich Widerstand in ihm. Er war nicht bereit, diesem Piratengesindel die kostbare Mappe einfach wie einen Willkommensgruß in die Hand zu drücken. Er presste die Mappe fest gegen seine Brust und tastete mit der freien Hand vorsichtig nach dem Stuhl, der neben ihm stand. Vielleicht, wenn er schnell genug war und mit dem Stuhl das Fenster einschlagen konnte und die Mappe hinterher warf …! Capitan Juan Ramirez y Conzellon versuchte krampfhaft an diesem Gedanken festzuhalten, während er sein Gegenüber wie ein hypnotisiertes Kaninchen anstarrte.

      Der Pirat lächelte ihn unverändert an, zog jedoch belustigt eine Augenbraue hoch, als sein Blick zu dem Stuhl wanderte. Er schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.

      „Ihr könnt uns beiden große Unannehmlichkeiten ersparen, wenn Ihr mir die Karten einfach gebt, Capitan.“

      Der Spanier schickte innerlich ein Gebet zur heiligen Mutter Gottes und nahm all seinen verbliebenen Mut zusammen: „Ihr verdammten Piraten! Plündert und mordet für ein paar gottlose Schätze. – Seht Euch Spanien an, die Kinder unseres Landes kämpfen noch um Ruhm und Ehre!“

      „Dann erscheint es mir offensichtlich, dass jeder von uns für Dinge kämpft, die er nicht besitzt!“

      Das selbstsichere Lächeln des Piraten wurde breiter und offenbarte seine strahlenden Zähne, die Conzellon erneut an ein Raubtier erinnerten.

      „Die Derroterro bitte, mein Herr. – Mit ihr werde ich in der Lage sein, Eurer heißgeliebten Silberflotte aufzulauern und das ein oder andere Schiff um seine Schätze zu erleichtern.“

      „Wisst Ihr nicht, dass jeder Kapitän der Silberflotte schwören muss, sein Schiff eher zu zerstören, als es in die Hände von Piraten fallen zu lassen?“

      „Natürlich weiß ich das, - aber es beeindruckt mich nicht sonderlich!“

      Hoffnungslosigkeit breitete sich in Capitan Juan Ramirez y Conzellon aus. Mit einem Gefühl der Leere streckte er die Hand mit der Ledermappe aus und reichte sie willenlos dem Piraten.

      „Ich bedanke mich für Euer Entgegenkommen, Capitan.“

      Captain Jess Morgan drehte sich um und wollte die Kajüte verlassen, als Conzellons Stimme ihn noch einmal zurückhielt.

      „Bitte tut meiner Mannschaft nichts, Capitan Morgan.“ Seine Stimme war mehr ein Flüstern, da er die Antwort bereits zu kennen glaubte und die Bestätigung in den mitleidlosen Worten des Piraten erhielt.

      Der Pirat stand für einen Moment bewegungslos mit dem Rücken zu ihm in der Tür, bis er seinen Kopf leicht zur Seite drehte und über die Schulter hinweg antwortete:

      “Ich versichere Euch, ich werde Euren Männern nichts tun, Capitan. – Das wird das Meer erledigen.“

      *

      Als Jess Morgan und Finnegan wenige Augenblicke später das Deck der Nuestra Senora di Hispaniola betraten, war der größte Teil der Männer damit beschäftigt, die Ladung des Schiffes auf die Treasure zu bringen. Jintel und zwei weitere Männer bewachten die Gefangenen, die sich voller Angst zusammendrängten und in dumpfes Brüten verfallen waren. Die Anzahl der Passagiere hatte sich vergrößert. Einige Frauen drängten sich in dem Bemühen, Schutz zu finden, an ihre Männer. Offensichtlich hatte Jintel alle aus ihren Verstecken getrieben.

      Jess verharrte für einen Augenblick und betrachtete nachdenklich die furchtsamen Leute, als das Aufpeitschen eines Schusses die Lethargie der Spanier zerriss, und sie sich erneut bekreuzigten und in Jammern verfielen. Ihr Kapitän hatte nicht den Mut gehabt, ihnen bis zu ihrem unausweichlichen Ende beizustehen. Jess lächelte verächtlich und wandte sich ab, um nach Cale zu suchen. Sein Freund stand neben der Laufplanke zur Monsoon Treasure und überwachte aufmerksam die Verladung ihrer Beute. Einer plötzlichen Eingebung folgend schritt er auf ihn zu.

      „Lass die komplette Ladung rüber schaffen, Cale.“

      „Die komplette Ladung?“ Cale sah überrascht auf seinen Captain. „Wir lassen keinen Anteil zurück?“

      „Wir lassen keinen Anteil zurück!“ Jess verschränkte die Arme vor der Brust und sah Cale gerade in die Augen. Die Verwirrung seines Freundes schlug ihm wie eine Welle entgegen, und er wusste, dass er mit seinen nächsten Worten diese noch steigern würde. „Und wir werden keine Position übermitteln.“ Seine Worte ließen keine Zweifel an seinen Absichten. Cale stand der Schock ins Gesicht geschrieben. Für einen Moment stand er sprachlos neben Jess und schien nicht in der Lage, einen klaren Gedanken fassen zu können. Seine Augen suchten in dem Gesicht von Jess, als könnte er dort einen Grund für diesen Befehl finden. Verwirrt richtete er dann seinen Blick auf die Mannschaft, bis er sich gefasst hatte.

      „Aye, Sir.“ Seine Stimme war fest, doch Jess spürte Cales Unsicherheit, als er sich abwandte und über die Laufplanke zurück auf die Monsoon Treasure ging. In seinem Rücken vernahm er die Befehle, die Cale erteilte und spürte die Strömungen seiner Männer, die kurz ins Stocken gerieten und dann ebenso verwirrt wie Cale zu ihm drangen. Seit mehr als einem Jahrzehnt segelte er mit ihnen, und niemals hatten sie die gesamte Beute aufs Schiff verladen; niemals hatten sie das Schiff versenkt, ohne die Position an Waidami zu übermitteln. Jess lächelte grimmig vor sich hin, das würde jetzt anders werden. Mit entschlossenen Schritten ging er über das Hauptdeck der Treasure und kapselte sich von den Strömungen seiner Männer ab, die ihn nur in seinen Gedankengängen störten. Schon seit geraumer Zeit beschäftige ihn die Idee, sich von den Waidami zu lösen. Er fühlte sich wie eine Marionette, die als Waffe fungierte, und das missfiel ihm. Seitdem er denken konnte, überfiel er für sie andere Schiffe, nahm einen kleinen Teil der Beute an sich, ließ den größten Teil zurück und versenkte die Schiffe, um sie für die Schiffsbauer der Waidami nutzbar zu machen. Jess betrat das Achterdeck und beobachtete beiläufig, wie die Crew den Rest der Ladung an Bord brachte und sich dann langsam von der spanischen Galeone zurückzog, ohne die Gefangenen aus den Augen zu lassen. Das Entsetzen malte sich in ihren Gesichtern ab, als sie begriffen, dass die Piraten ihr Schiff verließen. Jeder Einzelne von ihnen musste wissen, was mit den Schiffen geschehen war, die von der Mannschaft der Monsoon Treasure überfallen worden waren. Das Krachen einer kleinen Explosion aus dem Schiffsinneren verriet ihnen ihr Schicksal. Zwei Frauen klammerten sich verzweifelt aufschluchzend an ihre Männer, die die Arme schützend um sie legten und ihnen etwas zuraunten. Einige der Gefangenen sanken ergeben auf die Knie. Als die Treasure mit langen Bootshaken von der Nuestra Senora di Hispaniola abgestoßen wurde, kam Leben in die spanische Mannschaft. Einige rannten unter Deck, um sich den Schaden zu besehen, andere versuchten eilig, die Beiboote zu Wasser zu lassen. Doch McPherson, der Schiffszimmermann der Treasure, hatte mit seiner Explosion dafür gesorgt, dass das Schiff sich schnell auf die Seite legte und somit das Abfieren der Beiboote unmöglich wurde. Es gab kein Entkommen.

      Jess lenkte seinen Blick unbeteiligt von der Szene weg und richtete ihn auf seine Männer. Langsam ließ er ihre Strömungen wieder zu sich vordringen. Verwundert bemerkte er die Beklommenheit unter ihnen, als die sinkende Nuestra Senora di Hispaniola langsam und unaufhaltsam vom Nebel verschluckt wurde, bevor das Meer sie gänzlich in seine nasse Umarmung zog. Ein plötzliches Räuspern an seiner Seite ließ ihn aufblicken. Cale stand neben ihm und sah in fragend an: „Welchen Kurs, Sir?“

      „Wir gehen wieder auf unseren alten Kurs. Unser Ziel ist der Hafen von Changuinola. Wir benötigen einen neuen Navigator.“

      „Aye, Sir!“ Cale wandte sich ab und gab den


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