Die Schiffe der Waidami. Klara Chilla

Die Schiffe der Waidami - Klara Chilla


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sie ihn mit einem gekonnten Augenaufschlag verschmitzt anlächelte. Seit sie ein kleines Mädchen war, konnte sie mit diesem Blick fast alles bei ihm erreichen, doch heute nicht. Heute konnte er ihr nicht mehr zugestehen, als dass er über die Haare kein Wort verlieren würde.

      „Lanea, es gibt ein Schiff, das einen neuen Schiffshalter benötigt. Der Oberste Seher hat dich heute dazu bestimmt, dass du an Bord der Monsoon Treasure gehen wirst und dort unter Captain Jess Morgan als Schiffshalterin dienst.“ Seine Worte klangen schroffer, als er es beabsichtigt hatte. Aus den Augenwinkeln sah er, wie auf Tahunas glatter Stirn eine steile Falte entstand. Lanea hingegen sah ihn fassungslos an, als hätte sie kein Wort von dem verstanden, was er gerade zu ihr gesagt hatte.

      *

      Nahila hatte sich schon so lange vor diesem Augenblick gefürchtet, dass sie nicht mehr mit Bestimmtheit sagen konnte, wann sie jemals ohne Furcht gewesen war. Die Furcht war wie ein blutrünstiger Moskito, der sie zeit ihres Lebens umschwirrte, um sich dann gnadenlos auf sie zu stürzen, in dem Moment als sie endlich zur Ruhe kam. Der Kloß in ihrer Kehle schwoll immer mehr an und verhinderte, dass sie ruhig atmete. Gleichzeitig quälten sich die lang zurückgehaltenen Tränen aus ihren Augen. Sie fluchte verhalten und ließ ihren Tränen freien Lauf, während sie weiter auf den Rand des Dorfes zustrebte. Bevor sie den Weg in den Dschungel einschlug, um zu ihrer abseits gelegenen Hütte zu gelangen, sah sie eine große Gestalt vom Strand heraufkommen. Nahila verhielt ihre Schritte und hatte das entsetzliche Gefühl, dass ein Alptraum wahr geworden war.

      Ein Schauer nach dem anderen lief über ihren Rücken. Captain Stephen Stout ging mit schweren Schritten in das Dorf. Nahila blinzelte mit den Augen und wischte sich dann mit dem Handrücken darüber, als würde das Bild des brutalen Piraten dadurch verschwinden wie ein Gespinst. Doch das Bild blieb, und Nahila drängte sich gegen die staubige Wand einer Hütte. Wenn er sie jetzt wahrnahm … Er wurde nicht umsonst das Messer Bairanis genannt!

      Tamaka hatte also Recht gehabt. Den Piraten war es nur erlaubt, das Dorf zu betreten, wenn Bairani ihnen es befohlen hatte. Wenn Stout sich also in das Dorf begab, konnte das nichts Gutes bedeuten, und sie mussten so schnell wie möglich Waidami verlassen. Nahila stöhnte auf. Es ging jetzt alles so schnell. Als sie sich vorsichtig von der Hütte abstieß und weiterging, hatte sie kaum mehr die Kraft, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

      Heute würde sich ihr ganzes bisheriges Leben in Nichts auflösen. Nur der Gedanke, dass es wichtig für Lanea war, ließ sie weiter gehen. Heute würde sie sich von ihrer Tochter verabschieden und bald auch schon von Tamaka – und sie würde nicht wissen, ob sie die beiden jemals wiedersehen würde.

      Sie zitterte unkontrolliert und richtete ihren Blick in den klaren Himmel, der sich scheinbar ungetrübt über ihr ausbreitete. Nahila hoffte inständig, dass ihre Ahnen die Wege ihrer Familie richtig lenkten.

      *

      Tahuna ging ein Stück von Lanea und ihrem Vater zurück, um sie in Ruhe miteinander sprechen zu lassen und ließ ihren Blick über die anwesenden Dorfbewohner gleiten. Sie vermisste ihren Vater Ronam. Inzwischen hatten sich alle anderen Seher der Runde angeschlossen, und nur er fehlte. Besorgt runzelte sie die Stirn. Er war in den letzten Tagen sehr verschlossen gewesen und hatte einen kranken Eindruck auf sie gemacht. Wahrscheinlich hatte er sich in seine Hütte zurückgezogen, um Ruhe zu suchen. Immer öfter war er sehr erschöpft, wenn er von Begegnungen mit dem Obersten Seher zurückkehrte, doch er sprach nie darüber, was ihn so sehr anstrengte. Tahuna wandte sich mit dem plötzlichen Gefühl, sofort nach ihm sehen zu müssen, an Lanea, die ihre Haare schnell wieder zu einem Zopf geflochten hatte, um ihren Vater nicht zu verärgern. Einen Moment verharrte sie in dem Anblick ihrer Freundin; überdachte die Neuigkeit von Tamaka, dass Lanea an Bord eines Piratenschiffes gehen würde. Dies war ihr letzter Moment. Es war so aufregend, Lanea würde Captain Jess Morgan treffen … Tahuna war ihm ein einziges Mal zusammen mit Shamila, der Tochter von Bairani, begegnet. Sie hatten sich damals im Gebüsch versteckt, um heimlich die Piratenkapitäne zu beobachten, die zu einem Treffen den Vulkan hochsteigen sollten. Es war strengstens verboten, sich in die Nähe der Piraten zu begeben, da sie von den Dorfbewohnern als tollwütige Hunde bezeichnet wurden. Jess Morgan war der Erste gewesen, der den Weg hochkam. Tahuna konnte sich noch genau daran erinnern, wie er den steilen Berg hochgeschlendert war, ohne auch nur das kleinste Zeichen von Anstrengung zu zeigen. Shamila und sie hatten den Atem angehalten, als er immer nähergekommen war. Dann war er genau vor ihrem Gebüsch stehengeblieben und hatte gezielt in ihre Richtung geblickt. Seine Blicke aus den eisblauen Augen waren mühelos durch die Blätter gedrungen, als wären sie nicht da gewesen, und er hatte gelächelt.

      „Macht, dass ihr fortkommt“, hatte er gesagt. Dann hatte er den Weg zurückgeblickt und sie beide mit schnellem Griff aus dem Gebüsch gezogen. Er hatte sie von oben bis unten angesehen und war plötzlich ernst geworden. „Die anderen lassen zwei Mädchen wie euch nicht einfach wieder gehen. Seht also zu, dass ihr ihnen aus dem Weg geht.“ Sie hatten beide dagestanden, ihn angestarrt, unfähig zu sprechen und waren langsam wieder rückwärts im Gebüsch verschwunden. Ihre Blicke hatten sie kaum von ihm wenden können, denn er blieb dort stehen, bis sie den Berg ins Dorf hinunterliefen. Tahuna seufzte, er war damals so gefährlich und doch so … anziehend erschienen. Hoffentlich würde ihre Freundin ihr eines Tages von ihm erzählen.

      Sie berührte Lanea sacht am Arm.

      „Lanea, ich werde nach meinem Vater sehen. Ich glaube, es geht ihm nicht gut. Er erschien mir die letzten Tage schon nicht wohlauf.“

      „Soll ich dich begleiten?“ Lanea sah ihre Freundin besorgt an.

      „Nein, genieße deine letzten Augenblicke hier, bevor du leibhaftigen Piraten gegenüberstehst.“ Tahuna kicherte und schloss ihre Freundin fest und voller Zuneigung in die Arme. „Ich wünsche dir alles Gute, und dass du so ein Glück findest, wie ich es auch gefunden habe.“

      „Ja, das wünsche ich mir auch – und dir wünsche ich ein ganzes Dorf voller Kinder mit Kamun.“ Diesmal war es Lanea, die kicherte, und ihre Freundin ebenfalls von ganzem Herzen drückte.

      Tahuna grinste, und beide Frauen ließen ihre Arme sinken, als wüssten sie nicht, wie sie sonst ein Ende finden sollten. Dann drehte sich Tahuna um und eilte davon.

      *

      Tamaka sah der jungen Frau nach, die mit eiligen Schritten nach Hause ging. Ein bitterer Geschmack breitete sich in seinem Mund aus, und er presste fest die Lippen aufeinander. Dann wandte er sich wieder seiner Tochter zu, die einen glücklichen, wenn auch wehmütigen Ausdruck im Gesicht hatte. Sie blickte der Freundin hinterher und richtete dann ihre grünen Augen auf ihn.

      „Sie ist so glücklich. Ich wünschte, ich könnte hierbleiben und …“

      Tamaka schüttelte entschieden den Kopf.

      „Nein, dein Schiff wird morgen früh bereits Waidami verlassen!“, antwortete er eine Spur zu scharf, wie er selbst missbilligend bemerkte. Lanea sah ihn auch verwundert über den ungewohnten Ton an, sagte aber nichts.

      „Wenn du nicht rechtzeitig an deinem Ziel ankommst, könnte es sein, dass du Jess Morgan verpasst.“ Tamaka sprach nun sanfter und griff nach ihrer Hand. „Es ist wichtig – sehr wichtig, dass du auf die Monsoon Treasure gehst. Aber das bereden wir zu Hause, nicht hier.“ Er sah sich um, und sein Blick blieb noch einmal auf der alten Merka hängen. Ihre Augen, in denen so viel beunruhigendes Wissen lag, trafen die seinen. Unwillkürlich beschleunigte sich sein Herzschlag für einen Moment, als hätte sie ihn bei etwas Unrechtem ertappt.

      „Verabschiede dich von den Leuten, Lanea. Danach gehen wir nach Hause, und ich erkläre dir deinen Auftrag, während du deine Sachen packst. Du wirst noch heute Abend an Bord der Tsunami gehen. Captain Makani wird dich bereits erwarten.“

      „Wieso die Eile, Vater?“ Lanea hatte das Gesicht unwillig verzogen.

      Tamaka kannte sie gut genug und wusste, dass sie voller Unsicherheit war. Sie wollte nie wirklich eine Schiffshalterin werden. Aber bei den Waidami wurden jedem von Geburt an eine Aufgabe zugeteilt. Die Seher befanden gemeinsam darüber, wofür ein Kind wohl zukünftig in der Gemeinschaft am geeignetsten erschien. Bei Lanea hatte es nie einen Zweifel gegeben, und so war sie in diese Rolle gedrängt worden, die sie jedoch immer am liebsten


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