Homunkulus Rex. S. G. Felix
setzte er sich auf eine Bank und schaute auf seine Uhr. Noch zehn Minuten. Keine Spur von Robert2 und Nicole. Er kam sich wie ein irrer Stalker vor. Er schaute sich nach Kameras oder Sensoren um, die hier sein könnten. Mit Sicherheit gab es welche. Doch sie waren zu gut versteckt.
Ruhig. Wenn in zehn Minuten keiner kommt, gehe ich sofort wieder nach Hause.
Erste Schuldgefühle ob seines irrationalen Verhaltens kamen in ihm auf.
Während er unruhig auf seinem Platz hin und her rutschte, zog ein riesiger Schatten an ihn heran. Langsam bewegte sich der Schatten voran und verdunkelte die ganze Promenade. Kaum war die Sonne weg, wurde es gleich merklich kühler. Mehr genervt als überrascht blickte Robert hoch zum Verursacher der Verdunkelung. Es war ein gigantisches schwebendes Kreuzfahrtschiff, das vollkommen lautlos durch die Lüfte streifte. Jene schwebenden Luxusliner waren der letzte Schrei beim betuchten Zielpublikum. Fuhr man früher mit einem nach Dieselabgasen stinkenden Seekreuzer über die Weltmeere, tat man das heute mit ultramodernen Hightech-Luftschiffen, die ihre einstigen brennstoffbetriebenen Vorgänger in Sachen Größe, Luxus und Entertainment bei Weitem übertrafen. Für Leute wie Robert war eine solche Kreuzfahrt auf einem dieser Luftschiffe unbezahlbar. Daher hatte er auch nie den Wunsch gehabt, einmal eine solche Reise zu unternehmen.
Und dennoch: Wenn eines dieser Riesenschiffe über einem in niedriger Höhe vorbeiflog, konnte man nur schwer seinen Blick abwenden. Partymusik von einem der zahlreichen Oberdecks drang in seine Ohren. Ein paar Jugendliche, die an ihm - auf dem Bodensatz der Gesellschaft - vorbeigingen, streckten wie auf ein unsichtbares Kommando dem Schiff den Mittelfinger entgegen und grölten irgendwas mit »Wichser« - nicht jeder hatte Bewunderung für die Luxuskreuzer der Lüfte und deren Passagiere übrig.
Robert hatte sich so lange ablenken lassen, dass er gar nicht merkte, wie auf dem See das kleine Ausflugsschiff die Anlegestelle verließ und zu seiner kurzen Rundfahrt aufbrach. Als er sein Versäumnis endlich bemerkte, war das Schiff schon fast zu weit weg, um die Gesichter der Fahrgäste erkennen zu können. Er sprang auf und lief eilig zum Wasser. Er machte ein Pärchen auf dem Sonnendeck aus, das sich küsste.
Das sind sie!, schrie es in seinem Kopf.
Sicher, wen er dort gesehen hatte, war er jedoch nicht. Aber sein Gefühl sagte ihm, dass es Nicole und sein Klon waren.
Wutentbrannt ging er zurück in seine Wohnung. Hendrik war immer noch nicht dort. Niemand, mit dem Robert reden konnte. Dieser Klon trieb ihn noch in den Wahnsinn.
»Ich bringe diesen verdammten Scheißkerl um«, murmelte Robert mehrfach, während er ziellos durch seine kleine Wohnung stiefelte.
Um zehn Uhr abends war immer noch niemand gekommen. Wo blieb Hendrik?
Schließlich war Robert2 der Erste, der die Wohnungstür aufschloss. Robert lauerte ihm hinter der Tür auf, samt seiner angestauten Wut.
»Was hast du mit ihr gemacht?«, zischte er ihn an, als Robert2 ihm verdutzt in die Augen sah, kaum dass er einen Fuß in die Wohnung gesetzt hatte.
»Was denn jetzt?«
»Ich habe euch beide gesehen. Auf dem Schiff!«
»Unfassbar! Du hast uns nachspioniert? Wie armselig ist das denn?«
Robert packte seinen Klon an den Schultern und drückte ihn unsanft gegen die Wand. »Ich habe gesehen, wie du sie geküsst hast!«
»Jetzt leidest du aber unter Halluzinationen. Nichts dergleichen habe ich getan. Und selbst wenn, dann geht es dich nichts an.«
»Und ob es mich etwas angeht! Du nimmst mir meine Freundin nicht weg, hast du verstanden, du Scheißklon!«
Robert2 lachte verächtlich. »Die Leier schon wieder. Das wird langsam langweilig. Du hattest deine Chance, mein Lieber. Deine Minderwertigkeitskomplexe sind dein Problem, nicht meins.«
»Ich sollte dich erledigen. Ich sollte...«
Robert2 befreite sich blitzschnell aus Roberts Griff, packte ihn an seiner Kehle und drückte zu. Robert erschrak so sehr, dass er unfähig war, sich aus dem Würgegriff seines Klons zu befreien. Er bekam noch Luft, aber die Stärke und die eiskalte Entschlossenheit, mit der sein Klon ihn würgte, hatten ihn völlig überrascht.
»Ich ertrage dein armseliges Gewinsel nicht mehr«, sprach Robert2 leise und voller Hass. Mit seiner Hand am Hals von Robert ging er langsam ein paar Schritte vor und zwang Robert dabei, rückwärts vor ihm herzugehen. »Du bist doch viel zu feige, um mich zu töten, weil du ein jämmerlicher Versager bist. Ich möchte am liebsten vor Scham vergehen bei dem Gedanken daran, dass ich dein genetisches Abbild bin. Ich sollte dich umbringen, oder besser noch: Wir bringen uns beide um. Was hältst du davon? Du hasst mich. Ich hasse dich. Da wir beide identisch sein sollen, hassen wir uns also nur selbst.
Wie wäre es? Du sprichst die drei magischen Worte und wiederholst sie einmal. Dann bekomme ich einen Hirnschlag, bei dem ich einen höllischen Todeskrampf kriegen werde, der meine Hand an deinem Hals in einen Schraubstock verwandelt. So könnten wir uns gegenseitig auslöschen. Das wäre doch gerecht, oder nicht?
Na los: Sprich die Worte: Erinnerst du dich? Verstand über Materie. Nur deine Stimme kann mich töten.«
Robert glaubte in die Augen eines Wahnsinnigen zu blicken, während er zunehmend nach Luft rang. Und es waren seine Augen, in die er sah, was ihn nur umso mehr schockierte. Unter dem eisernen Griff seines Klons lief er rot an. Adern traten ihm an Stirn und Hals hervor.
»Meine Stimme, deine Stimme. Spielt doch keine Rolle. Sie sind identisch. Also spreche ich die Worte: Mens agitat molem. Mens... agitat...«
Ein Klickgeräusch unterbrach den Klon. Das Türschloss der Wohnungstür wurde geöffnet. Es war Hendrik. Er hatte jederzeit Zugang zur Wohnung.
Robert2 lockerte für einen kurzen Moment seinen Griff. Robert nutzte das aus und drehte sich aus der würgenden Hand heraus.
»Was ist hier los?« Entsetzen lag in Hendriks Gesicht.
Robert rang nach Luft und taumelte zurück. Robert2 stand regungslos da und sah Hendrik fragend an.
»Was zum Teufel geht hier vor?«
Robert2 schwieg.
»Dieses Monster wollte mich umbringen! Er ist vollkommen wahnsinnig«, keuchte Robert mit dünner Stimme.
»Was?«
Robert2 sagte immer noch nichts. Er hielt es nicht für nötig, sich zu verteidigen.
»Was haben Sie gemacht?«, ging Hendrik den Klon an. Der verweigerte eine Antwort. Hendrik zückte eines seiner merkwürdigen medizinischen Geräte aus der Jackentasche und machte einen Scan bei Robert2.
»Ich messe ein starkes chemisches Ungleichgewicht. Kein Wunder, dass er durchgedreht ist. Keine Sorge, Herr Mester, dagegen kann ich etwas tun.« Er holte eine Spritze hervor und verabreichte sie dem Klon. Robert2 leistete keinen Widerstand. Dann gab er ihm noch zwei Tabletten. »Setzen Sie sich jetzt auf die Couch und warten Sie ab, bis die Wirkung eintritt. Das dauert nur ein paar Minuten. Und nehmen Sie die beiden Tabletten. Die sollen unterstützend wirken.«
Robert2 gehorchte anstandslos, schluckte die Tabletten und Robert traute seinen Augen nicht.
»Das ist alles? Ein chemisches Ungleichgewicht? Wollen Sie mich verarschen?«
»Ich versichere Ihnen, danach wäre mir jetzt als Letztes zu Mute.«
»Und wieso tauchen Sie hier mit einer schon fertigen Spritze auf? Haben Sie etwa gewusst, dass er durchdrehen würde?«
»Das nicht, aber ich hatte so eine Ahnung.«
»Eine Ahnung? Warum?«
Hendrik strich sich nervös durchs Haar, ging zum Wohnzimmerfenster und sah sich besorgt draußen um, ehe er antwortete. »Weil wir in verdammten Schwierigkeiten sind.«
»Was soll das heißen? Reden Sie!«
»Ich bin mir nicht sicher. Kann