Schmunzelmord. Rudolf Widmann Georg
sie das letzte Mal gesehen, als … ja, wann eigentlich? Und auf seine Freundin war sie gespannt. Würden die beiden bei ihr übernachten wollen? Sie hatte nicht gefragt, und jetzt war es zu spät, sie hatte nicht nach seiner Telefonnummer gefragt, und wenn …, besser gesagt falls ihr Telefon sie gespeichert hätte, wüsste sie immer noch nicht, wie sie sie aufrufen könnte.
Natürlich wollte sie ihrem Enkel helfen. Aber so viel Geld bei sich zu haben, war ihr wirklich unangenehm, außerdem hatte die Bank schon zu. Der Geldautomat fiel ihr wieder ein, ihre Bankkarte hatte sie im Portemonnaie. Wie sie den Automaten zu bedienen hatte, wusste sie nicht, aber Andreas´ Freundin war wohl schon auf dem Weg, die würde ihr helfen. Frau Bertram war beruhigt.
Es klingelte am Hauseingang am Unterschleißheimer Margaretenanger, einem Wohngebäude mit, so hatte Frau Bertram früher einmal geschätzt, mindestens 100 Wohnparteien. Ein Betonbau, in dem sie sie seit ihrem Einzug vor Ewigkeiten wohlfühlte. Der Tod ihres Mannes hatte daran nichts geändert, die Wohnung war voller Erinnerungen. Die Wohnungen auf ihrer Seite waren über der darunterliegenden zwei Schritt weit zurückgesetzt, so dass ihr Balkon jetzt im Sommer halbtags in der Sonne lag. Das Gemeinschaftschwimmbad im Keller hatte sie so gut wie nie benutzt, aber aufgehört, sich über die deswegen so hohen Nebenkosten sich zu ärgern. Sie ärgerte sich nur noch über die Zusammensetzung der Hausgemeinschaft, immer mehr Mieter wohnten hier. Die ursprünglichen Eigentümer waren verstorben, die Erben wohnten weit weg, und so zogen Leute ein, die die Anlage weniger schonten. Außerdem hatten einige Geschäfte im Erdgeschoss geschlossen, immer mehr Ladenlokale standen leer. Wenigstens das kleine Chinarestaurant war geblieben, ab und zu traf sie sich dort mit ihren Bekannten, älteren Damen wie sie selbst, sonntags zum Mittagessen. Es gab das Phantasiebuffet, bei dem der Gast aus einer bebilderten Karte seine Gänge aussuchte, und er so oft bestellen konnte, wie er wollte und wonach ihm gerade der Sinn stand. Serviert wurde am Tisch.
Erst das dritte Klingeln riss sie aus ihren Gedanken.
Sie stand auf und betätigte im Flur den elektrischen Türöffner, ohne sich vergewissert zu haben, wer geklingelt hatte. Die Gegensprechanlage war seit einem Vierteljahr defekt.
»Ich bin Stefanie. Guten Tag, Frau Bertram«, stellte sich die junge Frau vor, streckte der alten Dame die Hand entgegen, »ich bin die Freundin von …«
Frau Bertram war von der Endzwanzigerin angetan. Sie war schlank, hübsch und ordentlich angezogen. Das jugendlich leichte Sommerkleid war chic, fand sie, obwohl sie selbst in ihrem Alter so etwas nicht mehr tragen konnte.
»… Andreas«, ergänzte Frau Bertram, »Kommen Sie doch bitte herein. Wie war ihre Fahrt?“«
»Ganz bequem, Von der Werkstatt aus zur S-Bahn sind´s nur ein paar Minuten, und von dort fährt ja die S1 direkt bis Unterschleißheim und noch weiter. Hier waren´s noch mal 15 Minuten Fußweg.«
Sie waren in die Küche getreten, Frau Bertram schob ihrer Besucherin gerade einen Stuhl am Küchentisch zurück, als sie den Blick hob und über Stefanie hinwegsah.
Stefanie hörte ein Scharren hinter sich, sie drehte sich nach dem Geräusch um und erstarrte. Ein uniformierter Polizist und eine Polizistin hatten sich aus dem Dreieck zwischen Küchentür, Wand und Küchenzeile gelöst, der Polizist drückte gerade die Tür ins Schloss.
Sie bekam Gelegenheit, die beiden Dienstausweise zu betrachten, war aber zu verblüfft, um genau hinzuschauen. Sie nickte nur.
»Würden Sie sich bitte ausweisen.«
Stefanie fingerte auf ihrer kleinen Handtasche ihre Geldbörse und zog ihren Personalausweis heraus. Fast ungeduldig, zumindest kam ihr das so vor, nahm die Polizistin ihr die Plastikkarte ab. Ihr Kollege hatte sich breitbeinig vor der Küchentür aufgebaut, hielt die Arme vor der Brust verschränkt. Stefanie schluckte, sie fand die Situation bedrohlich. Sie fühlte die Küche immer kleiner werden, Platzangst ergriff sie. Sie war eingesperrt!
»So, Frau Hasselbach, nun erklären Sie Frau Bertram doch bitte mal Ihre Rolle bei dem Enkeltrick, sie hatte da noch ein paar Unklarheiten.«
»Enkel was? Das ist alles ganz anders. Es gibt keinen Enkeltrick!«
»Das sagen alle. Nur sind die Täter schwer zu fassen, weil die Anzeigen regelmäßig erst nach dem Betrug bei der Polizei eingehen. Frau Bertram war so clever, uns rechtzeitig zu informieren.«
»Sie irren sich!«
»Dann beschreiben Sie uns doch bitte, was Sie von Frau Bertram wollen.«
»Gut, ich bin mit Andreas, äh, mit meinem Freund – wir arbeiten in derselben Koblenzer Firma – auf dem Weg zu einem Seminar in Rosenheim. Bei Freising ist sein Auto kaputtgegangen, und die Werkstatt will Bares sehen, sonst rückt sie das Auto nicht ´raus. Und da hatte Andreas die Idee, seine Oma anzurufen, denn schließlich wollten wir sie auf dem Rückweg ohnehin besuchen.«
»Aha, und ec-Karten gibt es Koblenz nicht?«
»Doch, aber sein Konto ist fast leer, das reicht nicht mehr für die Reparatur.«
»Gut, aber bevor er seine Oma anpumpen muss, hätten Sie ihm doch unter die Arme greifen können.«
»Auf meinem Konto ist genauso viel, besser gesagt genauso wenig drauf. Wir haben eine Anzahlung für eine gemeinsame Wohnung geleistet.«
»Warum ist dann Ihr Freund nicht gekommen, wenn er wirklich der Enkel ist? Seine Großmutter hätte ihn doch wohl erkannt.«
»Er ist …, er wollte in der Werkstatt bleiben und aufpassen, dass ihm keine überflüssigen Reparaturen aufgeschwatzt werden.«
»Dann nennen Sie uns doch bitte den Namen und die Anschrift der Werkstatt in Freising. In ein paar Minuten sind dann die Kollegen vor Ort und können Ihre Angaben überprüfen. Dann ist alles geregelt, und Sie können wieder gehen.«
»Ich kenne aber die Werkstatt nicht, und in Freising war ich auch noch nie. Ein Mechaniker war so nett gewesen, mich zur S-Bahnstation zu fahren.«
Die Polizeibeamten lachten sich an. Die Vernehmung begann, Spaß zu machen. Es war eine Abwechslung im Einerlei der Anzeigen und Unfallaufnahmen in und um ihre Polizeiinspektion 48 im rund vier Kilometer entfernten Oberschleißheim. Mal sehen, wann der Trickbetrügerin die Antworten ausgehen!
»Eine Markenwerkstatt?«
Stefanie rieb die Hände aneinander. »Ich sagte doch, ich habe nicht darauf geachtet, und mit Autos kenne ich mich nicht aus.«
»Was fährt denn Ihr Freund Andreas? Dann hat er wohl eine Fachwerkstatt seiner Marke aufgesucht.«
»Ich habe kein Schild einer Automarke entdeckt. Auf dem blauen Firmenschild war ein weißes Auto von vorn, darunter ein Schraubenschlüssel.« Stefanie fühlte sich immer unbehaglicher. Sie hatte sich gesetzt und rutschte nervös auf dem Küchenstuhl hin und her. Nun tuschelten die Beamten auch noch miteinander!
Die Polizistin wandte sich Stefanie zu, baute sich vor ihr auf, eine kräftige Frau. Mitte vierzig, schätzte Stefanie. Wenn sie aufstehen wollte, hätte sie sicher keine Chance gegen die Stärkere.
»Dann rufen Sie Ihren Komplizen doch einfach einmal an. Aber wehe, Sie sagen etwas Falsches! Behaupten Sie, das Geld bekommen zu haben, und Sie bräuchten die Werkstattadresse für Ihren Rückweg. Noch mal: Wehe, Sie verplappern sich!«
»Aber ich …«
»Anrufen! Sie haben doch wohl ein Handy?«
Stefanie nickte stumm, hatte keine Kraft mehr zu widersprechen. Elend fühlte sie sich und eingeschüchtert. Mit fahrigen Bewegungen fischte Sie ihr Smartphone aus der Handtasche, entsperrte es mit ihrer Geheimnummer und tippte auf das Profilfoto ihres Freundes.
Die Polizisten schauten mit ihr auf das Display, Frau Bertram hatte die Vernehmung wortlos beobachtet, sah die drei Personen gespannt an. Sie freute sich, der Polizei bei der Festnahme von Trickbetrügern geholfen zu haben. Nun war sie neugierig mitzuerleben, wie eine Vernehmung vor sich ging. Selbst erlebt war das besser als Aktenzeichen XY! Und gab genügend Gesprächsstoff für das nächste Damenkränzchen beim