Schmunzelmord. Rudolf Widmann Georg

Schmunzelmord - Rudolf Widmann Georg


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die heißeste Spur ist sein teures Handy.«

      »Na, das ist doch schon was!« Silvia zeigte sich optimistisch. »Wenn der Mörder es behält und nicht ausschaltet – denn dann nützt es ihm nichts, weil er ja die PIN nicht kennt –, kann die Polizei es über GPS orten.«

      Chantal schluckte, ihr Gesicht verlor alle Farbe. Sie hatte Dieter schützen wollen, und jetzt? Mit einer Ausrede verabschiedete sie sich überstürzt. Sie raste nach Hause, ignorierte bis zur Waldemar-Bonsels-Villa, in der der geistige Vater der Biene Maja vor langer Zeit gewohnt hatte, alle Geschwindigkeitsbeschränkungen. Kurz hinter dem Ortsschild von Oberschleißheim trat sie die Bremse durch, bis sie das erlaubte Tempo einhielt. Sie musste Dieter warnen!

      Gegenüber der rückwärtigen Einfahrt zur Schlossanlage bog sie in die Mittenheimer Straße ab und von dort an der zweiten Abzweigung nach links in die Blumenstraße, die ihr kleines Wohnviertel umschloss. Unterwegs hatte sie wieder Zuversicht geschöpft, aber als sie jetzt den Parkplatz vor dem Haus befuhr, beobachtete sie gerade noch, wie ihr Dieter in Handschellen abgeführt und von einem Uniformierten auf den Rücksitz eines zivilen Fahrzeugs gedrückt wurde.

      Sie kam zu spät! Tränen verschmierten ihr Makeup, sie hatte Dieter helfen wollen und ihn dennoch verraten. Sie stieg nicht aus. Das Weinen nahm ihr die klare Sicht, aber soviel konnte sie erkennen: Die Polizisten waren fündig geworden. Einer trug durchsichtige Plastikbeutel mit Zippverschluss. Chantal erkannte die schlanke Netbooktasche, den Umschlag und im letzten das teure Smartphone.

      Autohandel

      Schorsch Siebensohn trat den glimmenden Zigarettenstummel aus. Nervös drehte er die Fußspitze kräftig und lang darauf herum, bis die Fasern des Filters unter seiner Sohle hervorquollen. Wird alles laufen wie geplant? Was kann schiefgehen? Sein Freund war nicht so aufgeregt, er lehnte lässig am Kotflügel des schwarzen, auf Hochglanz polierten Audi A6, der zumindest optisch das Potenzial zum Dienstfahrzeug einer Konzernleitung hatte.

      Sie warteten auf dem Parkplatz des Möbeldiscounters im Echinger Industriegebiet im Norden Münchens, ein gutes Stück hinter dem schwedischen Möbelgiganten an der Liebigstraße und seiner Konkurrenz auf der anderen Straßenseite. Von dort musste man links in den letzten Abschnitt der Dieselstraße abbiegen und an dessen Ende rechts die Hälfte der Ohmstraße entlangfahren, sonst landete man auf dem Ring der Heisenbergstraße, die um den ausladenden Flachbau des Bekleidungsgeschäfts führte. Für die bekannte Kette von Modemärkten hatte Birgit Schrowange jahrelang Werbung betrieben. Der Wind trug den Verkehrslärm von der westlich vorbeiführenden A9 bis zu ihnen herüber. Freitagnachmittag. Die Pendler verließen die Landeshauptstadt und schoben sich im Stau nordwärts.

      Den Gebrauchtwagenmarkt auf dem Gelände des Aschheimer Autokinos wollten sie nicht für den Verkauf nutzen. Erstens fand der nur samstags statt, und das auch nicht an jedem Wochenende, und zweitens war ihnen das Publikum dort nicht geheuer. Zu viele dunkle Gestalten, die Fahrzeuge sonstwohin verschieben wollen, zu viele Nörgler, die auch am besten Auto trotz Topzustands noch etwas auszusetzen hatten. Auch wurde dort zu aggressiv nach unten verhandelt. Zu viele billige Autos. Der Ort hier versprach eine ungestörte Abwicklung. Sie waren auch nicht der Gefahr ausgesetzt, sich einer plötzlich zusammengerotteten Gruppe erwehren zu müssen, die ihre Sympathie für den potenziellen Käufer, einen der Ihren, vehement ausdrückte – und manchmal auch nicht nur verbal. Sie hatten ihre Erfahrung.

       A6, 3-Liter Diesel, Quattro, 130.000km, unfallfrei, sieben Jahre alt, scheckheftgepflegt. Beim Händler gut und gerne seine 24.000 Euro wert.

      Auf diesen Text hatten sie sich geeinigt, danach wollten sie, damit das Verkaufsgespräch lebendiger würde, mit verteilten Rollen noch die Extras und die weiteren Vorzüge aufzählen. Schorsch schlenderte um den Audi herum, es war seine vierte Runde nacheinander. In immer kürzeren Abständen drehte er das Handgelenk, schaute auf seine Armbanduhr. Er hatte sich entschieden, die Breitling-Replika zu tragen, sie passte am besten zu dem Fahrzeug. Sie sollte beeindrucken. Sein Freund nahm das nicht so genau, sein Outfit war Schorsch zu leger, aber Bastian hatte nur die Schultern gezuckt.

      Dass der Käufer schon zwanzig Minuten überfällig war, zerrte an den Nerven. Wollte er sie weichkochen, mürbe machen?

      Jedes Fahrzeug, das auf den Parkplatz fuhr, beäugte Schorsch intensiv. Meistens waren es kleinere oder ältere Autos, aus denen Leute stiegen, die ihrer Kleidung oder ihrem Auftreten nach durchaus die angemessene Klientel des preiswerten Möbelgeschäfts darstellten, in dem sie dann auch konsequenterweise verschwanden. Er kam sich in dieser Umgebung overdressed vor, wenn man diesen Begriff auch auf ein Fahrzeug der Oberklasse anwenden durfte. Das steigerte seine Nervosität, er fühlte sich auf dem Präsentierteller für alle Neugierigen, obwohl kaum einer Notiz von ihm nahm. Schließlich hätte er ja auch ein Kunde des riesigen Baumarkts oder des Dekorationsgeschäfts auf dem Nachbargrundstück sein können, der diesen Parkplatz hier nur nutzte, weil drüben die Parkbuchten für sein Schlachtschiff zu eng waren.

      Den mattroten Mercedes Kombi, ein wirklich älteres Baujahr, beachtete Schorsch kaum. Der hielt, kaum, dass er die Zufahrt zum Parkplatz hinter sich gelassen hatte, etwas abseits der übrigen Fahrzeuge. »Wieder ein Familienvater, der einen billigen Schrankbausatz oder ein Jugendzimmer kaufen will.« Er schaute auf die Uhr. 25 Minuten. Hatte der Kunde sie versetzt? Dann wäre es immerhin ein Gebot der Höflichkeit gewesen, sich telefonisch zu melden, schließlich hatten sie die Handynummern ausgetauscht.

      Bastian stemmte die Fahrertür auf, drehte sich zu Schorsch um, winkte ihn zu sich.

      »Sie kommen. Haben eben angerufen, von der Zufahrt zum Industriegebiet aus. Waren an der Kreuzung beim Schotten.«

      Schorsch seufzte. Wann konnte Bastian endlich mit dem Blödsinn aufhören, den Schnellimbiss amerikanischer Provenienz als schottisches Restaurant zu bezeichnen?

      Der rote Mercedes hatte wieder Fahrt aufgenommen, langsam kam er dem Audi näher. Mit zwei Wagenlängen Abstand hielt er an, drei Personen stiegen aus.

      Der flotte Mittdreißiger in beiger Hose und im Sommerhemd, dessen Qualität und Preis Schorsch sofort auffielen, kam auf ihn zu, ein kurzes Taxieren, dann gab er ihm die Hand.

      »Hallo. Herr Siebensohn?«

      Schorsch nickte.

      »Herr Döbler? Grüß Gott.«

      »Genau der. Die Verspätung tut mir leid, aber Sie kennen ja die A9. Die Abgase aus dem Stau riecht man bis hierher.«

      Jetzt fielen sie Schorsch auch auf.

      Die beiden anderen aus dem Benz kamen auf ihn zu. In einem ungünstigen Augenblick, denn er schnupperte gerade geräuschvoll mit nach oben gereckter Nase und hatte keinen Blick für die Neuankömmlinge.

      Ein kurzer gegenseitiger Händedruck, keine weitere Begrüßung. Das Ritual wiederholte sich bei Bastian, der hinter dem Lenkrad hervorgeklettert kam.

      Der Beifahrer von Döbler gab sich wortkarg, Schorsch und Bastian hatten bei seinem Anblick geschluckt. Seine Zurückhaltung war ihnen recht, sie hatten seinen starken Akzent nicht einordnen können, und verstanden hatten sie ihn auch kaum. Außerdem wollten sie mit dem stiernackigen Mann, aus dessen Muscleshirt voluminöse Schulterkugeln und mächtige Bizeps herauswuchsen, nicht allzu viel zu tun bekommen. Er musste reichlich Zeit für Bodybuilding aufgewandt haben.

      Die brünette Begleiterin Döblers schien desinteressiert, sie schenkte ihren lila lackierten Fingernägeln mehr Aufmerksamkeit als den beiden Männern, denen Döbler das Auto abkaufen wollte. Ihre High Heels, die knappe Kleidung und ihr Gang passten zu diesem Verhalten.

      Schorsch drehte sich höflich um, damit keiner sein Grinsen bemerkte. Ihm hatte sich beim Anblick der Brünetten der Bilderwitz mit dem betenden Jungen aufgedrängt: »Bitte, lieber Gott, gib den armen Frauen auf Papas Computer was Warmes zum Anziehen!«

      Das Verkaufsgespräch entwickelte sich zu Schorschs und Bastians voller Zufriedenheit. Sie hatten ihre eingeübten Sprüche aufgesagt, Döbler mehrfach darauf hingewiesen, wie gut ihm dieses Nobelfahrzeug stünde, und seine Fragen


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