Schmunzelmord. Rudolf Widmann Georg

Schmunzelmord - Rudolf Widmann Georg


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wurde, wer das Wort führte. Dieter war überraschend kleinlaut.

      Hören konnte Chantal nichts, bis sie sich eilig bis auf wenige Schritte genähert hatte. »Automaten … Dienstag und Mittwoch Nacht … Fotos …« waren die Gesprächsfetzen, die sich ihr nun aufdrängten. Der Kapuzenpulli klopfte beim letzten Wort mit zwei Fingern vielsagend auf die kleine, flache Tasche. Sein keckerndes Lachen empfand Chantal abstoßend. Sie zuckte zusammen, war sie sich doch nun sicher, einen gelegentlichen Freier wiedererkannt zu haben!

      Die Tasche! Ihr Blick klebte förmlich daran. Sie musste sie haben, und alles war gut! Zwischen ihr und Dieter. Und auch sonst, denn er hatte die 5.000 ja schon abgeschrieben. So hatte Chantal Oberwasser, konnte sich bei ihrer Arbeit eine gewisse Zurückhaltung leisten und den fehlenden Liebeslohn aufrechnen. Dieter würde dafür Verständnis haben.

      Sie passierte die Bank so nah, dass sie mit dem Widerling gerade nicht auf Tuchfühlung kam. Ihr rechter Arm hing locker herab, streifte ihn fast. Über dem linken Handgelenk hing ihr Einkaufsbeutel auf beiden Seiten herab. Flugs verschwand die flache Neoprentasche unter dem Stoffbeutel. Chantal schaute sich um, sicherte aus den Augenwinkeln und bemühte sich, dabei den Kopf nicht zu weit zu drehen. Hatte jemand den schnellen Wechsel in die linke Hand gesehen, hatte der Typ gespürt, dass das geringe Gewicht nicht mehr an seiner Seite lehnte? Sie konnte keine Anzeichen dafür feststellen. Hastig suchte sie das Weite, brauchte sich nun um das Knirschen des Kiesbodens keine Gedanken mehr zu machen. Auch Dieter sah sie nur noch von hinten, als er aufschaute und ihr, ohne sie zu erkennen, kurz nachblickte. Sein Pfeifen hörte sie nur noch gedämpft. Sie ballte die Rechte zur Faust, welchen Frauen pfiff der Kerl sonst noch nach?

      Chantal umrundete den Biergarten auf der Zufahrtstraße zum Parkplatz am anderen Ende der Max-Emanuel-Straße und dem mit Fahrrädern gesäumten Kiesweg, der nach links davon abzweigte. Die Tasche war in dem Jutebeutel verschwunden, der schlenkerte an ihrem Handgelenk. Mit mehreren Tüchern aus ihrer Jackentasche hatte sie ihn ausgepolstert, die Konturen der Neoprentasche waren nicht einmal mehr zu erahnen. Neugierig kehrte sie an den Rand des Biergartens zurück und hielt sich in sicherer Entfernung. Sie lehnte sich an die Blockhütte, tat, als stöbere sie in ihrem Beutel, und beobachtete.

      Zwischen den beiden Männern wurde das Gespräch schlagartig heftiger. Und schlug in einen aggressiven Disput um, als der Erpresser den Verlust seiner Tasche feststellte. Mit beiden Händen stemmte er sich an der Tischkante hoch und fuchtelte Dieter mit der Faust vor der Nase herum. Dieter sprang auf. Am liebsten hätten sie sich wohl angebrüllt, wollten jedoch nicht auffallen. Beide schoben sich aus der Bank und entfernten sich erregt in Richtung des kleinen Parkplatzes. Autofahrer fanden hier, durch eine Hecke von der Durchfahrt abgeschirmt, in zwei Doppelreihen reichlich Stellfläche. Der Parkplatz war den Gästen der Schlosswirtschaft vorbehalten, obwohl sich selten jemand daran hielt. Dieter hatte seinen halbvollen Krug auf der Tischplatte stehengelassen, obwohl er dafür 2 Euro Pfand hatte abdrücken müssen, wie Chantal von früheren Besuchen wusste.

      In ihrer Deckung blieb Chantal nicht länger stehen, erhöhte nach einigen Schritten ihr Tempo und eilte ihrem Volvo zu.

      Bis zum Parkplatz neben der Ingolstädter Straße fuhr sie nicht sofort, sondern hielt in der Zufahrt am Straßenrand. In ihrer Euphorie über den gelungenen Diebstahl entging ihr, dass der Motor noch lief, und dass auch der Blinker noch eingeschaltet war. Bei ihrer Abfahrt hatte sie spontan die dünnen Handschuhe angezogen, die noch vom Winter her auf der Mittelkonsole lagen. Im Schatten des Biergartens war ihr doch kalt geworden. Nun saß sie hinter dem Steuer und fingerte aus ihrem Beutel die Netbooktasche. Sie kramte darin und fördert zuerst ein Smartphone zutage. Sie drückte den winzigen Schalter an der Seite und schob auf dem Display das kleine, weiße Schloss in dem Kreis nach oben, das Mobiltelefon zeigte sich betriebsbereit, weiterzutippen getraute sie sich trotzdem nicht. Sie klappte das Etui wieder zu. Es folgte ein DIN-A-5-Umschlag ans Licht, dem sie einen Stapel Farbfotos entnahm.

      Sie blätterte die Aufnahmen durch und atmete erleichtert auf. Auf keinem Foto war sie selbst zu sehen. Etwas unterbelichtet, aber dennoch deutlich zeigte das erste Dieter, wie er im abendlichen Halbdunkel ein Brecheisen am Gehäuse eines Zigarettenautomaten ansetzte. Auf dem zweiten hatte er die Vorderfront aufgestemmt und zog den Behälter mit Münzen und Banknoten heraus. Andere Fotos belegten weitere Automatenaufbrüche, nicht nur von Zigarettenautomaten. Der Erpresser hatte ihn über eine längere Zeit beschattet.

      Sie versenkte alles wieder in der Tasche. Wenn sie Dieter ihre Beute präsentierte, würde er sie wieder richtig mögen, der Erpresser hatte ja keine Beweise mehr. Sie hatte sich für längere Zeit die Schläge erspart. „»Und ihm die 5.000«, wie sie zufrieden in Gedanken hinzusetzte.

      Chantal nahm die Tasche mit in die Wohnung. Dieter saß am Küchentisch. Als er sie sah, riss er sie ihr fast aus der Hand, zog den Reißverschluss auf und fingerte in der Tasche herum. Einen Kugelschreiber und den Umschlag zog er heraus, zum Schluss das Smartphone. Sein anerkennender Pfiff wurde begleitet von einem zufriedenen Nicken. »Gute Beute.« Heute würde Chantal keine Schläge beziehen.

      »Wo hast du die Tasche her? Einem Kunden geklaut? Prima! Das Handy allein bringt bestimmt 200 Euro.« Er strahlte sie an. Ihre Antworten wartete er gar nicht ab.

      Unvermittelt verschwand seine Euphorie. Er schaute nachdenklich zu Chantal, die Tasche war ihm gleichgültig geworden. Er ließ das Mobiltelefon wieder hineingleiten und stopfte die anderen Sachen hinterher. In den Umschlag hatte er zwar hineingegriffen, die Fotos aber nicht herausgezogen.

      Chantal blickte ratlos. Dieser Stimmungsumschwung war für Dieter nicht typisch. Fragend sah sie ihm direkt in die Augen.

      »Also …« Dieter klang auf einmal kleinlaut. »Ich habe mich mit dem Erpresser getroffen. Natürlich wollte er mir die Fotos nicht übergeben, behauptete, sie seien ihm gestohlen worden. Aber auf den 5.000 hat er bestanden. Es hat Streit gegeben.« Nervös blickte er zu seiner Lebensgefährtin, scheinbar Hilfe suchend.

      Es strengte sie an, sich zu beherrschen, ihn nicht merken zu lassen, dass sie das alles schon wusste. Immer noch war sie versucht, ihm zu erklären, dass er die Tasche des Erpressers auf seinen Schoß gedrückt hielt, den Beweis für seine Straftaten in Händen hielt, und dass sie, seine Chantal, ihm das alles ermöglicht hatte.

      Er kam ihr zuvor. »Ich hab´ ihn umgebracht. Wehe, du sagst auch nur ein Sterbenswörtchen!«

      Chantal wurde kreidebleich. Sie hetzte ins Bad, übergab sich in die Toilettenschüssel.

      Dieter schob den Stuhl zurück, stand auf und legte die Tasche oben auf den Küchenschrank. Mit unsicheren Schritten kehrte er auf einem Umweg zum Kühlschrank zurück zum Küchentisch und schenkte sich einen weiteren Schnaps ein.

      In der Nordrundschau, einer Gemeindezeitung, die im nördlichen Umland Münchens von Werbung und Kleinanzeigen lebte, las Chantal den Artikel über den Leichenfund nahe der Schlosswirtschaft. Neugierig geworden, aktivierte sie den Internetbrowser in Dieters Notebook und surfte durch die Polizeiberichte Münchens und der Polizeiinspektion 48 in der Oberschleißheimer Hofkurat-Diehl-Straße, nur wenige Gehminuten vom Biergarten am Schloss und von ihrer Wohnung entfernt.

      Ein paar Mausklicks belohnten ihre Neugier. Ein ausführlicher Bericht schilderte anonymisiert den Fund einer männlichen Leiche im Gebüsch des Parkplatzes. Hautfarbe weiß, Alter etwa 30, Tod durch Erdrosseln. Es folgten ein Foto, eine Beschreibung der Kleidung des Toten und die Aufforderung, sachdienliche Hinweise zu geben. Eine Belohnung von 1.000 Euro war ausgelobt. Chantal vergaß die 5.000, die ihr ein harmonisches Zusammensein mit Dieter versprochen hatten und war versucht, spontan zum Telefon zu greifen. 1.000 Euro wären ein erster Schritt in die Unabhängigkeit von ihm. Sie fasste sich und las weiter. Besonders waren die Ermittler am Verbleib des Mobiltelefons interessiert, das genauer beschrieben wurde. Es sei der Hinweis auf den Täter, der am ehesten Erfolg versprach.

      Sie fuhr den Laptop herunter, schminkte sich fertig und ging mit dem wippenden Gang, den sie ihren High Heels verdankte, die Treppe hinunter zu ihrem Volvo. Auf dem Straßenstrich sprudelte es aus Chantal heraus. Sie musste es loswerden, musste wissen, wie andere darüber dachten. Und aufpassen, dass sie Dieter nicht verriet. Das hätte sie sich nie verziehen! Also erzählte sie Silvia von dem Polizeibericht,


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