Im Strudel des Schicksals. Dietmar Schenk

Im Strudel des Schicksals - Dietmar Schenk


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nie groß anstrengen müssen. Warum auch, wenn ich doch mein Hobby zum Beruf hatte und nur das tat, was ich richtig gut kann und das mir riesigen Spaß macht. Ich habe bereits mit vier Jahren angefangen, Klavier zu spielen. Die Verwandtschaft hatte mich schon als Wiedergeburt von Mozart bezeichnet. Nun, diesen Vergleich möchte ich gar nicht zur Diskussion stellen, weil ich ihm nicht standhalten könnte. Aber dass ich am Klavier besser bin als viele andere, die damit ihr Geld verdienen, das ist, so glaube ich, Fakt. Wie gesagt, ich hatte das Vergnügen, mein Geld leicht und mit Spaß zu verdienen, und diesen Vorzug möchte ich nun auch dir zur Verfügung stellen.“

      „Mir? Was könnte das denn sein, was ich für Sie – für dich – tun könnte und das dir so viel Wert ist, dass du Geld dafür bezahlst?“

      „Du könntest mir etwas geben, das ich nicht habe: Gesellschaft.“

      „Du möchtest dir die Gesellschaft einer kranken Frau erkaufen, die hin und wieder, oft mehrmals am Tag und auch nachts zur Toilette läuft, weil der Körper am Ende ist?“

      „Damit keine falschen Gedanken aufkommen, mein Kind: Es geht nicht um Nächte. Nur um die Tage. Fangen wir klein an, zum Beispiel mit zwei Tagen die Woche?“

      Sandra hebt die Schultern. „Das hört sich wirklich gut an, aber was soll ich dann bei dir machen?“

      „Ich kann wirklich gut Klavier spielen, und meine Kompositionen haben noch immer die Audience begeistert“, antwortet Malcolm. „Aber Töne zu einer Melodie zusammen zu fügen und Worte zu einem Text, das sind zwei ganz verschiedene Paar Schuhe, zumindest für mich. Es gelingt mir nicht, was Vernünftiges auf Tasten zu gestalten, auf denen Buchstaben abgebildet sind. Dabei würde ich so gerne meine Memoiren niederschreiben. Es geht gar nicht mal darum, dass du den Text dafür verfasst. Das kann ein professioneller Schreiber, der sich auf Biografien spezialisiert hat, sicher besser. Es geht um die Substanz an sich. Wenn ich jemandem gegenüber sitzen und ihm mein Selbsterlebtes chronologisch erzählen müsste, dann würde diese Person schnell das Handtuch werfen, weil ich mich ruckzuck in eine Sackgasse manövrieren würde. Aber wenn wir beide uns zusammensetzen, hier auf der Sitzgruppe, oder auf meinem Zimmer, bei schönem Wetter auf dem Caddy, beim Spaziergang durchs Dorf oder im Wald, dann könnten wir daraus einen Dialog machen, und der Stoff würde fließen. So in der Art eines Frage- und Antwortspiels, verstehst du?“

      „Ja, schon, aber würdest du das nicht wieder vergessen, wenn wir es nicht aufschreiben?“

      „Wir haben ein Diktiergerät dabei und nehmen es auf. Am Abend höre ich es mir an und mache mir Notizen darüber. Damit hat ein Autor dann später genug Stoff, um eine Biografie zu verfassen. Es sind recht lustige Episoden dabei, aber auch traurige. Na? Machst du mit?“

      Sandra lächelt, nickt und streckt Malcolm die Hand entgegen. „Ja, ich mache mit. Auf gute Zusammenarbeit.“

      „Möchtest du nicht deinen Preis nennen, mein Kind?“

      Daran hat Sandra gar nicht gedacht. Sie ist noch total geflasht von den 500 Pfund, die ihr Brian am Tag zuvor gegeben hat. 500 Pfund! Wann hatte sie zuletzt so eine Summe besessen, ohne, dass sie gleich wieder für etwas draufging. Sie kann sich nicht erinnern. Mit dem Geld fühlt sie sich so reich wie schon lange nicht mehr. Als Kind hatte es ihr an nichts gefehlt. Da hatten Oma und Opa immer dafür gesorgt, dass alles da war, was sie brauchte. Aber diese Zeiten sind nun lange vorbei. Und nun sitzt sie einem reichen, erfolgreichen Mann zur Seite und hat die Chance, ihr kleines Vermögen auszubauen. Sie wendet sich ihm zu und sagt: „Ich habe eine solche Art von Arbeit noch nie geleistet, Malcolm. Daher weiß ich nicht, was sie wert ist.“

      „Ich bin kein Arbeitgeber, der einen festen Lohn bezahlt“, sagt Malcolm. „Also müssen wir uns schon auf eine Summe einigen. Bist du mit 50 Pfund pro Tag zufrieden? Bei – sagen wir mal – vier Stunden?“

      50 Pfund. Dann hätte Sandra in nur 10 Tagen noch einmal 500 Pfund zusammen. Freudestrahlend stimmt sie zu.

      „Das habe ich mir gedacht. Für Zwölffünfig die Stunde würde ich mir nicht mal die Schuhe anziehen.

      Unwillkürlich schaut Sandra auf Malcolms Füße. Unter seiner weißen Hose schauen schwarze Sportschuhe mit weißen Streifen hervor. Sie sehen richtig teuer aus und haben sicher einen Preis, den Sandra dafür niemals ausgeben würde. In diesem Moment gesellt sich der Gedanke zu ihr, dass Malcolm sich wohl jeden Stundenlohn, den sie für sich für realistisch hält, leisten kann. Seine ordentliche, bis ins Detail gepflegte Erscheinung lässt diese Vermutung zu. Doch was ist für ihre Arbeit ein realistischer Stundenlohn? Für wie viel Geld in der Stunde würde Malcolm sich wenigstens seine Schuhe anziehen? Sie muss lächeln, als sie sich dazu entschließt, es herauszufinden. Unter den staunenden Blicken Malcolms, der wohl im ersten Moment vermutet, Sandra würde sich verabschieden wollen, verlässt sie ihren Sessel. Sein Erstaunen wächst, als sie sich vor ihm niederkniet, einen Fuß nimmt und den Schnürsenkel löst. Sanft streift sie ihm den Schuh vom Fuß, und dann die weiße Socke. Sie knetet seine Zehen mit beiden Händen und reibt über die Fußsohle und den Fußrücken.

      Malcolm lacht laut.

      Sie massiert ihn noch ein wenig mehr, nimmt den Schuh und weitet ihn. Sie zieht ihm die Socke an und stülpt ihm den Schuh genauso sanft über den Fuß, wie sie ihn abgenommen hat. Langsam und zart zieht sie den Schnürsenkel zu und bindet Knoten und Schlaufe. Sie setzt sich wieder in den Sessel und sagt: „Für welchen Stundenlohn würdest du dir so deine Schuhe anziehen?“

      Malcolm holt tief Luft und antwortet mit seligem Grinsen: „Und du sagst, du hast keine Talente. Puh! Wären 50 Pfund die Stunde für dich in Ordnung?“

      Bevor dieser Gedanke sie überwältigen kann, willigt sie ein. „Wollen wir unsere Handynummern tauschen? Dann kläre ich alles mit meinen Mitbewohnern ab, und wir machen einen Starttermin klar.“

      „Eine gute Idee“, sagt Malcolm und zückt sein Handy. Während Sandra ihm ihre Nummer nennt, tippt er sie ein und speichert sie ab. Dann ruft er diese Nummer an. Als Sandras Handy klingelt, sagt er: „So, jetzt hast du auch meine Nummer. Ich warte also auf deinen Anruf.“

      „Klar.“ So beschwingt wie nie, macht Sandra sich auf den Heimweg.

      10. Kapitel – Post für Sandra

      Vom Treffen mit Malcolm aus hat Sandra zuallererst ihre Großeltern aufgesucht. Sie musste ihnen einfach diese Neuigkeit überbringen, wusste sie doch, dass sie sich mit ihr freuen würden. Obwohl sie beim Auszug versprochen hatte, sie oft zu besuchen, war sie nun schon ein paar Tage nicht mehr da gewesen. Das hatte Brian nicht davon abgehalten, ihr 500 Pfund zu überbringen, ohne sie für ihre Unzuverlässigkeit zu tadeln. Wie sehr sie sich doch in ihnen getäuscht hatte, und wie weh das nun tat. Heute war sie endlich wieder einmal bei ihnen gewesen. Es war eine sehr schöne Unterhaltung. Am meisten hat Sandra begeistert, dass es Karen sichtbar besser ging. Ihr kam es so vor, als dass sie sicherer auf den Beinen war. Vielleicht würde sie bald keinen Stock mehr brauchen.

      Nun sitzt Sandra wieder bei Gwynn und erzählt ihr von dem erfolgreichen Treffen mit Malcolm. „Er ist ein total lieber und interessanter Mann“, beendet sie den Vortrag.

      „Er scheint dir gut zu tun“, flaxt Gwynn. „Du schwärmst ja richtig von ihm.“

      „Nicht von ihm als Mann, sondern als Mensch, als Person, verstehst du?“

      Gwynn grinst breit. „Na klar, als Person.“

      „Jetzt hör auf damit“, schimpft Sandra. „Zwischen uns liegen mehr als 40 Jahre.“

      „Ist das ein Hindernis? Er sieht doch locker 20 Jahre jünger aus, oder meinst du nicht?“

      „Du bist unmöglich, Gwynn. Wir wollen keine Männer mehr, oder täusche ich mich?“

      Sie hebt beide Hände und schüttelt den Kopf. „No way. Mir reicht’s.“

      Vielsagendes Schweigen.

      Nach einigen Minuten, die sie sich dem Blick auf den Bach hingeben, fragt Sandra: „Wo sind eigentlich die Kinder?“


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