Im Strudel des Schicksals. Dietmar Schenk

Im Strudel des Schicksals - Dietmar Schenk


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und Karen hatten es nie serviert. Nun aber erleben sie es mit allen Sinnen. Nachdem Gwynn und Boy gebratenen Speck, Rührei, rote Bohnen und Würstchen auf die Teller, und Tee in die Tassen verteilt haben, greifen alle vier zu knusprig frittierten Toastscheiben und lassen es sich schmecken. Gwynn weiß noch nichts vom Ausgang des Bewerbungsgesprächs. Noch hat Sandra kein Handy, mit dem sie es ihr hätte mitteilen können.

      Als der Tisch wieder abgeräumt ist und die Kinder in Boys Zimmer verschwunden sind, fragt Gwynn: „Und, wie ist es gelaufen?“

      Sandra nippt an ihrem Tee und winkt ab. „Es war total lieb von dir, mir diesen Termin zu verschaffen, aber da wird nichts draus.“

      „Warum nicht?“

      „Zuerst war ich ziemlich beleidigt, als Duncan mir einen Putzjob im Spa-Bereich nicht zutraute, aber dann hab ich es am eigenen Leib zu spüren bekommen. Gwynn, ich hatte wieder einen Anfall. Mein Gott, war das peinlich. Dabei erkannte ich, dass ich dieser Aufgabe nicht gewachsen wäre.“

      „Oh, dieser McKell“, schimpft Gwynn. „Der soll sich nicht so anstellen. Du wirst dich erholen, und dann kannst du deine 100% geben. Das wird schon, ich rede mit ihm.“

      Sandra schüttelt den Kopf, noch während sie am Tee nippt. „Nein du, lass mal. Es hat keinen Zweck. Es liegt nicht an Duncan, wirklich. Schade ist nur, dass ich nicht wie geplant in eine neue Bleibe umsiedeln kann. Bei meinen Großeltern fühle ich mich überhaupt nicht wohl.“

      „Dann kommt ihr halt zu mir“, sagt Gwynn spontan.

      „Du hast doch gar keinen Platz für uns“, gibt Sandra zu bedenken.

      „Platz ist in der kleinsten Hütte. Wir rücken ein wenig zusammen, ihr zieht zu mir und fertig.“

      Sandra kennt Gwynn gut genug, um zu wissen, dass sie von ihren Ideen so leicht nicht abzubringen ist. Trotzdem stichelt sie weiter, vielleicht auch nur, um immer wieder überstimmt zu werden. „Und selbst, wenn wir zusammenrücken: Ich verdiene kein Geld, habe gerade noch 50 Pfund, und du kannst nicht für vier Leute arbeiten gehen. Nein, das will ich nicht. Da bleibe ich lieber bei Oma und Opa. Die können es sich leisten, mich und Jessi durchzufüttern.“

      „Mein Gott, wie kann man nur so stur sein. Würden die dich ohne Murren noch ein paar Monate, oder vielleicht sogar ein ganzes Jahr lang ertragen? Oder besser: Willst du deine Großeltern noch so lang ertragen müssen? Das geht in die Hose, Sandra. Ihr kriegt euch in die Wolle, weil ihr so verschieden seid. Aber wir verstehen uns, haben uns noch nie gestritten, und wir werden die Einschränkungen aushalten, bis sich was Neues ergibt.“

      Sandra gönnt sich einen tiefen Atemzug. Wie gut das tut, mit der besten Freundin auf gleicher Ebene zu sprechen. Wie gut das tut, nicht vergessen worden zu sein in 13 Jahren ohne Kontakt. Das ist echte Freundschaft. Es würde sie mehr auf die Probe stellen, ihr Angebot nicht anzunehmen, als es anzunehmen. Sandra haut leicht auf den Tisch und sagt: „Abgemacht. Unter einer Bedingung!“

      „Abgemacht, unter keiner Bedingung. Geh zu deinen Großeltern und hol deine Sachen.“

      „Mach ich gleich. Sag mal, ist Duncan eigentlich verheiratet?“

      Gwynn schüttelt den Zeigefinger. „Du stellst Fragen.“

      Sandra winkt ab. „Nicht, was du denkst“, sagt sie. „Ich habe aber den Eindruck, dass er ein zärtlicher Mann ist. Als ich mit dem Anfall vor der Toilette kniete, da hatte er mir den unteren Rücken gerieben, und das war richtig gut. Irgendwie ist er ein besonderer Mensch.“

      „Und verheiratet“, antwortet Gwynn. „Und jetzt geh eure Sachen holen.“

      Als Sandra zum Unicorn Lodge zurückgeht, regnet es. Jessica hat sie bewusst bei Boy gelassen. Sollte es zu einem unschönen Gespräch kommen, dann lieber ohne sie. Der Weg von Gwynns Haus zum Lodge ist nicht sehr weit. Sandra wird vom Regen nur leicht besprenkelt. Als sie an die Haustür klopft, sieht sie wieder die Gardine wackeln, so, wie sie schon bei ihrer Ankunft verriet, dass Brian sich einen Überblick darüber zu schaffen pflegt, wer bei ihm Einlass begehrt, oder was sich gerade auf der Straße tut. Kurz darauf sitzen sie zu dritt im Wohnzimmer, Brian mit der Zeitung auf dem Sofa, und Karen mit dem Stock im Sessel. Sandra, die davon ausgeht, ihre Großeltern mit einer freudigen Nachricht zu beglücken, bricht mit der Neuigkeit förmlich heraus. „Stellt euch vor, ich habe eine neue Bleibe. Ich hole meine Sachen ab, und dann seid ihr mich los.“

      Karen starrt Sandra an, als sei dieser gerade ein Geweih gewachsen. „So plötzlich? Wie damals, als du einfach so nach Berlin abgehauen bist?“

      „Oma, ihr habt gesagt, ich kann nur eine Woche hierbleiben. Was soll das jetzt? Ich werde zu Gwynn ziehen, und alle sind zufrieden.“

      „Die Woche ist noch nicht rum“, erklärt Brian. „Es kommt halt einfach sehr plötzlich für deine Oma. Sie hat es noch nicht verkraftet, was damals geschah.“

      „Ich kann für mich allein reden“, flickt Karen ein. „Aber dein Opa hat recht.“ Karen ringt mit den Tränen.

      „Da siehst du, was du angerichtet hast“, schimpft Brian. „Musstest du auch wieder hier auftauchen? Konntest du nicht bleiben, wo der Pfeffer wächst, nachdem du dich über zehn Jahre lang nicht gemeldet hast?“

      Sandra ist wie vor den Kopf gestoßen. „Ihr wisst nichts, gar nichts“, sagt sie leise, um sich unter Kontrolle zu haben. „Ja, ich bin nach Berlin gegangen, und ja, ich habe nichts von mir hören lassen. Das tut mir sehr leid. Aber hört mir bitte zu, ich möchte es erklären, damit diese Sache ein für alle Mal aus der Welt geschafft wird. Darf ich anfangen?“

      Brian zuckt mit den Schultern, und Karen sagt: „Von mir aus. Vielleicht bringt es ja wirklich Ruhe ins Haus. Also?“

      „Ich hatte den Eindruck, dass ich euch zur Last falle.“

      „Also das ist doch…“

      „Oma, bitte. Du kannst nicht leugnen, dass ich euch nie etwas recht machen konnte. Immer habt ihr mich gemaßregelt. Ich kam mir vor wie ein kleines Kind, auch nach der Lehre noch. Das tat weh. Leider hatte ich keine Anstellung gefunden und musste hier wohnen bleiben. Ich hatte Angst, dass es zwischen uns eskalieren könnte, wenn wir noch länger unter einem Dach lebten. Deshalb bin ich nach Berlin gegangen. Immerhin konnte ich ja schon ganz gut deutsch.“

      „Ja, weil deine Mutter, dieses Flittchen, einfach diesem deutschen Versager nachgelaufen war“, wirft Karen ein.

      „Es ist, wie es ist, Oma. Jedenfalls sah ich in Berlin eine Chance. Es hat mich einfach dorthin gezogen. Ich kann es nicht näher beschreiben.“

      „Ist ja auch egal“, meint Brian. „Erzähl weiter.“

      „Als ich in Berlin ankam, da lag ich erst ein paar Tage unter Obdachlosen, Straßenhuren und Fixern in einem Bahnhof. Ich hatte kein Handy, um mich zu melden, und keine Münzen, um zu telefonieren. Ich brauchte dringend Geld und suchte mir einen Job. Wenn ich spontan bei einer Kneipe oder in einem Schnellrestaurant vorsprechen wollte, ging ich frühmorgens, wenn es noch einigermaßen still war in der Stadt, an einen Brunnen, wusch mich und zog mir ein paar Sachen an, die ich nur für diesen Zweck im Rucksack hatte. Ich hatte geglaubt, Berlin sei die Stadt aller Möglichkeiten, aber: Weit gefehlt. Es dauerte ein paar Wochen, bis ich endlich eine Stelle in einer Sexbar fand.“

      Karen saugt hörbar die Luft ein. „Kind, du hast doch nicht etwa…“

      „Nein, hab ich nicht, Oma. Ich war nur hinter der Theke beschäftigt, manchmal bis morgens um Sechs. Sie gaben mir ein bisschen Geld als Vorschuss, damit ich mir was zu essen kaufen konnte, und eine Kollegin nahm mich mit zu sich, damit ich ein Dach über dem Kopf hatte. Nach zwei Wochen gab sie mir bereits einen Schlüssel, weil wir unterschiedliche Schichten fuhren. Und dann…“ Sandras Gesicht wird bleich, die Lippen zittern. Nervös spielt sie mit den Fingern.

      „Und dann wolltest du uns wohl anrufen“, flaxt Brian. Seine Ironie trifft Sandra, als sie mit fester Stimme die bittere Wahrheit verkünden möchte. Stattdessen ist sie nun weinerlich geprägt.

      „Nein, Opa. Ich wurde von drei


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