Im Strudel des Schicksals. Dietmar Schenk

Im Strudel des Schicksals - Dietmar Schenk


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sie noch einige Yards davon entfernt sind, kann Sandra schon die wohltuende Wirkung auf die Sinne spüren. Dieser Bereich hier unten hat Atmosphäre. Hat sie jemals eine Sauna besucht? Hat sie jemals in solch einem Bad geschwommen oder Anwendungen für Körper, Geist und Seele empfangen? Nein, noch nie. Bisher kannte sie Spa-Bereiche nur von Bildern.

      Während Sandra gerade die Zeit vergisst, öffnet Duncan eine Glastür. Sie betreten ein Schwimmbad, das durch blau scheinendes Wasser, viel Sonnenlicht und Düfte besticht.

      „Lassen Sie sich nicht von den Leuten stören, die da gerade schwimmen“, sagt Duncan. „Für einen ersten Eindruck reicht der kleine Einblick sicher aus. Gefällt es Ihnen?“

      Sandra nickt heftig, während sie mit den Tränen kämpft. Sie ist überwältigt von einem Gefühlgemisch aus Freude, Wellness, Gesundheit und Fitness.

      Duncan scheint es nicht zu bemerken. „Gehen wir weiter“, sagt er. Durch die Glastür finden sie zurück in den Gang, lassen den Lift rechts liegen und betreten den Saunabereich. „Ich kann Ihnen heute nicht so viel zeigen“, gesteht er. „Das Spa ist gerade gut besucht, wie Sie sehen. Aber Sie sollten wissen, dass es hier unter anderem fünf verschiedene Saunen gibt: Eine finnische Trockensauna mit Temperaturen von 85°, eine Biosauna mit 65°, eine Rotlichtkabine, ein Dampfbad und eine Salzgrotte. Dazu haben wir großzügig ausgestattete Ruheflächen.“ Weiße Tücher auf Liegen und zahlreiche Badelatschen bestätigen die Betriebsamkeit des Wellnesstempels.

      „Und da wäre auch noch die Massageabteilung. Darf ich bitten?“

      Sie gehen zurück in den Flur, der auf der Seite, die den Lifts gegenüberliegt, mehrere Türen aufweist. Duncan weist mit der Hand darauf und sagt: „Das sind die Räume für die Anwendungen. Nicht nur Massagen. Wir haben zum Beispiel auch Hot Stones, Lymphdrainage, und sogar Schröpfen im Programm.“ Er klopft an eine der Türen, die gerade nicht als ‚besetzt‘ markiert ist. Als niemand sich rührt, öffnet er. „Das ist ein solcher Behandlungsraum.“

      Etwas Derartiges hat Sandra noch nie gesehen. Würde die Ausstattung fehlen, dann könnte man ihn für einen Schuppen auf einem alten Bauernhof halten. Die Wände sind unverputzt, es lachen ihr nackte gelbe Steine entgegen. Ein kleiner Kamin umrahmt eine altertümlich anmutende elektrische Kreation, die ein echtes Feuer simuliert und ein wenig Wärme spendet. Der Rest der angenehmen Temperatur in diesem Raum kommt vom hell gefliesten Fußboden. Auf einem Sims über dem Kamin stehen Church Candles, und an den Wänden hängen Geräte wie Spaten, Harken, Heugabeln. Das kleine Fenster wird von zwei Fackeln spaliert, und daneben ragt ein schmales Regal aus Bambus in die Höhe, das kleinen bunten Tüchern, Seifen und Ölen ein Zuhause bietet. Mitten in diesem Raum steht eine komfortable graue Massageliege, die offenbar hydraulisch in der Höhe verstellt werden kann und so bequem aussieht, dass Sandra sich am liebsten gleich drauflegen würde.

      „In der Reinigung für den Spa-Bereich herrscht gerade Unterbesetzung“, sagt Duncan. „Mit einer Stelle, die zu Ihrer Profession passt, kann ich leider nicht dienen. Aber wenn Sie sich mit einer Putzstelle in diesem Bereich nicht erniedrigt fühlen…“

      „Ganz und gar nicht!“ Sandra schnieft, und Duncan reicht ihr ein Taschentuch.

      „Lassen Sie uns zurück in mein Büro gehen.“

      Das Feuer im Kamin prasselt immer noch, als sie sich in ihre Sessel setzen. Diesmal beugt Duncan sich vor und legt die Fingerspitzen aneinander. „Nun?“

      „Gerne“, sagt Sandra, während sie sich die Augen trocknet. „Aber da ist noch was, das Sie wissen sollten.“

      „Ich höre!“

      „Es wäre nur vorübergehend.“

      „Ein Jahr?“

      „Eher weniger.“ Sandra bricht in Tränen aus.

      Duncan scheint nicht zu wissen, wie er darauf reagieren soll. „Was ist mit Ihnen? Kann ich etwas für sie tun?“, fragt er nach einer endlos scheinenden Zeit.

      Sie hebt die Schultern. „Ich weiß nicht, wie lange ich für Sie arbeiten kann“, bringt sie mühsam hervor.

      „Ich verstehe nicht.“

      „Nur solange eben, bis ich – bis ich – sterbe.“

      Duncan atmet tief ein, antwortet aber nicht. Er legt die Zeigefinger aneinander und hält sie ans Kinn.

      „Ich habe Krebs und vielleicht nur noch ein paar Monate zu leben.“ So langsam erholt sie sich wieder. „Ich habe hier kein Zuhause, keine Einkünfte, stattdessen eine achtjährige Tochter, die ihre Mutter nicht mehr lange sehen wird, aber fest daran glaubt, dass alles gut wird. Wenn ich bei Ihnen arbeiten würde, könnte ich sie in diesem Glauben bestärken. Es geht mir gar nicht ums Geldverdienen, Mr. McKell. Mir ist wichtig, dass Jessica sich so wohlfühlt wie irgend möglich, bevor es zu Ende ist mit uns beiden. Vielleicht wäre es möglich, dass sie mir Kost und Logis und ein kleines Taschengeld zur Verfügung stellen – für Jessica und mich – anstatt eines Gehalts? Was meinen Sie, wäre das möglich?“

      „Dass Sie Krebs haben, tut mir leid, Frau Pearson. Bitte entschuldigen Sie meine Direktheit, wenn ich frage, um welche Art von Krebs es sich handelt. Sie müssen darauf nicht antworten.“

      „Ich weiß. Es ist die Bauchspeicheldrüse.“

      Duncan legt sich unwillkürlich eine Hand auf den Oberbauch. „Wie wollen Sie denn mit dieser Krankheit diesen Job erledigen? Das ist kein Zuckerschlecken und verlangt einem so einiges ab. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie den Anforderungen gerecht werden können, seien wir mal ehrlich. Sie wissen das auch. Wir sind ein First-Class-Hotel, und kein Wohlfahrtsinstitut, Frau Pearson. Tut mir leid.“

      Sandra schaut auf den Tisch zwischen ihnen, auf dem ein dickes Buch in rotem Ledereinband liegt. Ohne zu fragen, nimmt sie es auf und schaut hinein. Es ist ein Gästebuch, bis zur letzten Seite voll mit besten Grüßen, Glückwünschen für den Golfclub, mit tadellosen Feedbacks zur vorbildlichen Betreuung der Gäste. „Hier stimmt alles“, liest sie nach einigem Blättern laut vor. „Dieses Haus ist sehr zu empfehlen. Jeder Wunsch wird einem erfüllt, und für jedes Problem scheint es hier eine Lösung zu geben.“ Sie legt das Buch wieder auf den Tisch und schaut Duncan an. „Interessant, dass ich genau auf dieses Feedback gestoßen bin, nicht wahr? Wieso schreiben die Leute das? Mir kommt es wie eine Lüge vor, wie Beweihräucherung von guten Bekannten und Freunden, fernab der Realität. Oder leistet Ihr Haus das wirklich, wenn auch nur an zahlende Gäste? An Leute, die 200 Pfund pro Nacht für ein Zimmer hergeben? Sind Exklusivität und Menschlichkeit nicht miteinander vereinbar?“

      Duncan drückt sich vom Sessel hoch. „Es tut mir wirklich leid, Frau Pearson, aber ich kann nichts für sie tun. Sie entschuldigen mich, ich habe noch andere Termine. Dem Personal Räume zur Verfügung zu stellen, ist bei uns sowieso nicht drin. Darauf sind wir nicht eingestellt. Ich bin sicher, sie finden die für Sie richtige Stelle.“

      ‚Ich kann richtig froh sein, diese unmenschliche Welt bald zu verlassen‘, schießt es Sandra durch den Kopf, denkt aber im gleichen Moment schon wieder an Jessica, die sie dann ja alleine zurücklassen muss. Sofort tut ihr der Gedanke leid. Im gleichen Moment meldet sich der Schmerz zurück, und sie fasst sich an den Oberbauch. Mit bleicher werdendem Gesicht erhebt sie sich schwerfällig und sagt: „Sie haben recht, Mr. McKell, ich bin wertlos für Sie.“ In gebeugter, vor Schmerz verzerrter Haltung, steht sie ihm gegenüber. Sie möchte ihm noch so viel sagen, aber sie hat nur noch die Kraft für drei Worte: „Eine Toilette bitte.“ Sie presst sich ein Taschentuch vor den Mund und läuft zur Tür.

      Duncan eilt ihr voraus, öffnet, packt Sandra unter dem Arm und führt sie quer durch die Hotelhalle zu einem schmalen Gang, der neben der Rezeption nach hinten ins Gebäude verläuft. Als sie in den Beinen schwächer wird, packt er sie fester, und als ihnen in dem engen Gang zwei Pagen entgegenkommen, ruft er: „Aus dem Weg!“

      Sie schaffen es zu den Toiletten. Duncan stößt die Tür auf, und Sandra stürzt in den Raum hinein. In einer freien Zelle kann sie sich ihren Nöten hingeben. Währenddessen springt Duncan mit zwei Sätzen zu den Waschbecken und zupft mehrere Papierhandtücher


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