Im Strudel des Schicksals. Dietmar Schenk

Im Strudel des Schicksals - Dietmar Schenk


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hast aber so recht, Gwynn. Es ist mir todernst.“

      „Gut, dann hole ich mal den PC. So viel Zeit habe ich sicher noch.“

      Nachdem sie zusammen eine Zeitlang an den wenigen Sätzen gefeilt haben, ist die Anzeige fertig. Sandra ist sehr dankbar dafür, dass Jessica und Boy sich nicht haben blicken lassen. Nun ist das Schriftwerk im Kasten und wird sofort landesweit online gestellt, sobald Gwynn den Bestätigungsbutton klickt. Am Wochenende wird es zudem in den regionalen Printausgaben erscheinen. Gwynn hat sich bereiterklärt, die Kosten dafür zu übernehmen, was Sandra dankbar angenommen hat.

      „Ich lese dann noch mal vor, also: Aufgeweckte Achtjährige sucht liebevolle Pflegeeltern ab sofort. Spätere Adoption in Aussicht gestellt. Bitte nur ernstgemeinte Anfragen unter blablabla. – Und? Gut so? Oder fehlt noch was?“

      Sandra schaut überlegend zur Decke. „Meinst du, wir sollten noch etwas mehr über Jessi sagen?“

      Schon sind Schritte zweier Kinder auf der Treppe zu hören.

      „Das ist wohl ein Zeichen“, flüstert Sandra. „Schick’s ab.“

      Im gleichen Augenblick, da Gwynn den Button drückt, spritzen die beiden ins Zimmer und bleiben vor dem Tisch stehen. Jessica strahlt übers ganze Gesicht. „Mom, du bist wieder da!“ Sie wurstelt sich an Tisch und Stuhl vorbei zu Sandra hin und umarmt sie, während Boy grinsend am Kopf des Tisches stehenbleibt. „Weißt du was?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, fügt sie hinzu. „Boy ist jetzt mein Freund. Ist das nicht toll? Wir wollen uns jeden Tag sehen.“ Was Jessica gefällt, das möchte sie jeden Tag haben. Dabei macht sie keinen Unterschied, ob es sich um Fish and Chips, oder um einen Freund handelt.

      Sandra schießen tausend Gedanken gleichzeitig durch den Kopf. So, wie sie dreinschaut, ist sie verlegen, oder betrübt. Oder beides. Sie biegt ein Lächeln zurecht und streicht Jessica übers Haar. ‚Hoffentlich sind deine Pflegeeltern aus der Nähe‘, denkt sie. „Es ist schön, dass ihr euch so gut vertragt“, sagt sie zu Jessica. Und mit einem Blick auf ihre ebenso bedrückt schauende Freundin: „Nicht wahr, Gwynn?“

      Diese nickt. „Ja, das ist wunderbar. Aber jetzt muss ich mich fertigmachen und zur Arbeit gehen.“ Sie blickt Jessica an und fügt hinzu: „Deine Mom geht mit mir. Vielleicht kann sie auch dort arbeiten, so wie ich. Möchtest du noch eine Stunde bei Boy bleiben?“

      Jessicas Strahlen sagt mehr als tausend Worte.

      6. Kapitel – Putzfrau gesucht

      ‚Golfclub‘ ist definitiv eine unglaubliche Untertreibung für ein Anwesen, das in jeder Beziehung seine Exklusivität präsentiert. Das Hotel ist ein verwunschenes, mit Efeu bewachsenes Herrenhaus aus dem 14. Jahrhundert, das sich vor einem Terrassengarten mit mystischen Figuren aus Stein und in allen erdenklichen Formen geschnittenen Hecken präsentiert. Das Gelände, auf dem es sich mitsamt ausladendem Golfplatz befindet, ist riesig. Sandra kann nicht abschätzen, wie groß es sein mag.

      Trotz seiner Größe sind Rasen und Garten von vorbildlicher Eleganz. Es kann gar nicht anders sein, als dass sich eine Hundertschaft von Gärtnern darum kümmert und eine bis ins Detail geplante Natur herbeizaubert, in der sich zahlreiche Vögel und Eichhörnchen pudelwohl fühlen. Noch immer ist das Wetter herrlich, wenn auch nicht warm, und lässt Sandra ihre schwere Krankheit zeitweise vergessen.

      Als sie mit Gwynn die Hotelhalle betritt, kommt ihnen gerade der Hotelmanager entgegen, der für Sandras Dafürhalten auf den ersten Blick sehr viel Charme versprüht. Sein schlanker vierzigjähriger Körper steckt in einem dunkelblauen Anzug. Der moderne, gepflegte Kurzhaarschnitt und der dunkle Dreitagebart sprechen sie sofort an, obwohl der Bart ihr einen kurzen, heftigen Schreck verpasst. Für einen Moment taucht wieder das Gesicht des Messerstechers vor ihr auf. Da dieser jedoch nichts mit dem gepflegten Aussehen des Managers gemein hat, verfliegt der Schreck schnell und macht einem wohligen Gefühl Platz. Irgendwie hat dieser Mann was von einer Rasierwasserwerbung – trotz Bart. Er ist in Begleitung eines älteren Herrn in blauer Hose und weißen Turnschuhen. Dazu trägt er ein weißes Poloshirt, und über seinen Schultern hängt eine blauweiße Weste, deren Ärmel er vor dem Hals leicht verknotet hat. Entweder ist er ein Freund des Chefs, oder ein sehr guter Gast. Auf jeden Fall ist er Golfer, auch, wenn er in seiner maritimen Kleidung eher an den Kapitän einer Segeljolle erinnert. Sie bleiben stehen, tauschen noch ein paar Worte, und dann verpasst der Golfer dem Manager einen freundschaftlichen Klapps auf die Schulter. Er hebt die Hand zum Gruß und schlendert zur Hotelbar, während der Manager mit zügigen Schritten auf die beiden Frauen zugeht. Weil Gwynn ihn angerufen hat und um einen Termin bat, werden sie von ihm erwartet. Als er Sandra die Hand entgegenstreckt, legt sie die ihre hinein, als wolle sie ihm die Gelegenheit zu einem Handkuss geben.

      Gwynn macht die beiden miteinander bekannt. „Das ist Duncan McKell“, sagt sie, und auf ihre Freundin zeigend: „Darf ich vorstellen, Duncan? Sandra Pearson.“

      Duncan lächelt höflich, verjüngt die Begrüßung jedoch auf ein kurzes Händeschütteln, weist mit der Linken zu einer Tür neben der Rezeption und sagt: „Folgen Sie mir.“

      „Viel Glück“, sagt Gwynn und entfernt sich in eine andere Richtung.

      Über einen hellen Marmorboden gehen Sandra und Duncan auf die dunkle Holztür zu. Duncan dreht am Messingknopf, und schon befinden sie sich in einem getäfelten Kaminzimmer, in dem es herrlich warm ist. Im Kamin prasselt ein Feuer, und Sandra und Duncan nehmen in den Sesseln davor Platz.

      „Sie suchen einen Job“, sagt Duncan, als könne er Gedanken lesen.

      „Das ist richtig“, erwidert Sandra. „Ich habe in Bristol Restaurantfachfrau gelernt. Gwynneth sagte, Sie könnten vielleicht jemanden gebrauchen?“

      „Haben Sie Zeugnisse dabei?“

      „Leider nein. Ich war lange Zeit in Berlin und bin gerade erst wieder zurückgekommen.“

      Duncan runzelt die Stirn.

      Sandra nimmt einen tiefen Atemzug. Die anfänglich positive Einschätzung seiner Person bröckelt.

      „Was haben Sie in Berlin gemacht?“, fragt er, während er sich zurücklehnt und die Beine lässig übereinanderlegt.

      Sandra meint zu erkennen, dass er eine Abwehrhaltung einnimmt und sinniert, wie sie die Situation retten könnte. Um den heißen Brei reden? Das hat sie bei Jessica nun lange genug getan. Davon hat sie die Nase so was von voll. Klaren Wein einschenken? Ihm sagen: ‚Dies und jenes und alles und nichts und gleichzeitig ein Kind großgezogen?‘ Doch bevor sie sich weitere Optionen ausdenken kann, gerät sie in Zugzwang.

      „Und?“ Duncan sitzt da, hat die Hände ums hochgelegte Knie gefaltet und lässt seine Daumen umeinanderkreisen.

      Sandras Sympathie für ihn löst sich gerade in Wohlgefallen auf. Sie beugt sich ein wenig vor. „Gwynn sagt, dass sie dringend jemanden brauchen. Ich bin auf der Suche nach einem Job. Was ist Ihnen wichtiger: Die freie Stelle zu besetzen, damit die Arbeit erledigt wird, oder irgendwelche Zeugnisse zu lesen, die sowieso niemals objektiv sind. Und dann auch noch in Deutsch! Wie gesagt, ich habe eine entsprechende Ausbildung und reiche Ihnen dieses Zeugnis gerne nach. Mehr habe ich nicht. Was ist das denn für eine Stelle, die sie besetzen müssen?“

      Duncan erhebt sich und geht auf Sandra zu. Er reicht ihr die Hand und hilft ihr aus dem Sessel. Gemächlich geht er auf die Tür zu.

      Sandra folgt ihm. ‚Das war’s‘, denkt sie. ‚Dieses wortkarge Arschloch hat meine Schwäche erkannt. Wieso auch nicht, so, wie ich aussehe. Abgemagert, blass, die Haare zerzaust und glanzlos. Wer soll mir schon etwas zutrauen?‘

      Er öffnet die Tür, lässt Sandra in die Halle treten und geht dann neben ihr her. Doch anstatt sie zum Ausgang zu dirigieren, führt er sie zum Aufzug. Sie betreten ihn, Duncan drückt auf -1, und dann geht es lautlos nach unten. Der Korb aus Mahagoniholz und Spiegeln hält mit einem kaum spürbaren Ruck und verkündet seine Ankunft mit einem leisen ‚Bing‘. Sanft öffnet sich die Lifttür und gibt den Blick auf einen


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