Im Strudel des Schicksals. Dietmar Schenk
„Ja, natürlich“, erwidert sie. „Wie schön, dass du gekommen bist. Wie geht’s Oma?“
„Irgendwas ist mit ihr passiert“, sagt Brian. „Unsere Aussprache hat ihr gutgetan. Das war dringend notwendig. Sie sagt, sie habe die letzten Nächte seit langer Zeit wieder durchschlafen können. Sie sieht richtig erholt aus. Und mir geht es auch gut damit.“
Sandra lächelt. „Was für eine tolle Nachricht. Ich freu mich so.“
„Nun wohnst du ja nicht mehr bei uns“, beginnt Brian. „Und einen Job hast du auch nicht.“ Er beugt sich ein wenig vor, um Gwynn sehen zu können. „Wir sind dir unendlich dankbar dafür, dass du dich um sie kümmerst.“
„Dafür sind beste Freundinnen da“, erklärt Gwynn.
„Das stimmt“, bestätigt Brian. „Wenn die beiden nicht bei dir wohnen würden, sondern bei uns, dann würden wir dafür auch die Kosten übernehmen. Ich sehe es als unsere großelterliche Pflicht an, das zu tun. Beste Freundinnen sind dafür da, sich gegenseitig zu helfen und zu unterstützen. Sie sind aber nicht dafür da, für die andere den Lebensunterhalt zu bestreiten.“
Gwynn winkt ab. „Ach was, das ist…“
Brian schneidet ihr das Wort ab. „Ich erwarte, dass das, was jetzt kommt, nicht kommentiert wird. Weder von dir, noch von dir.“ Dabei zeigt er jeweils auf Gwynn und auf Sandra. „Haben wir uns verstanden?“
Sie nicken.
„Gut, das vereinfacht die Angelegenheit immens.“ Er greift in die Brusttasche und zieht zwei Briefumschläge heraus. Einer davon ist mit „Für Gwynneth“ beschriftet. Er reicht ihn ihr. Den anderen, auf dem „Für unsere liebe Sandra“ steht, gibt er seiner Enkelin. Als sie beide nur dort sitzen und die Umschläge in den Händen wiegen, sagt er ungeduldig: „Na los, macht schon auf.“
Sie reißen ihre Umschläge auf und fördern einige Pfundnoten zutage. Sandra fächert sie ein wenig auseinander und schaut ungläubig auf das Geschenk in ihren Händen.
Auch Gwynn ist überwältigt. Sie fasst sich als erste. „Brian, das ist sehr lieb von dir, aber – das sind ja mindestens 300 Pfund. Ich kann das nicht annehmen.“
„Es sind 500 Pfund für jede von euch, und es reicht, wenn ihr einfach danke sagt. Deine 500, Gwynn, sind für die Kosten, die dir entstehen.“ Er legt Sandra eine Hand aufs Knie. „Und deine 500 betrachte bitte als Taschengeld.“ Er erhebt sich. „Ich muss wieder gehen, wir essen gleich. Schönen Tag noch.“ Damit entfernt er sich.
„Danke Opa, danke“, ruft Sandra ihm nach.
Brian hebt die Hand, ohne sich noch einmal umzudrehen. Während er am Bach entlang zur Dorfstraße stapft, kommen ihm Jessica und Boy entgegengelaufen. „Opa“, ruft das Mädchen schon von weitem, und als es ihn erreicht, schlingt es seine Arme um ihn. Brian streichelt ihr den Kopf und wiederholt die Zeremonie auch bei Boy.
„Man möchte gar nicht glauben, dass ihr diesen Stress miteinander hattet“, sagt Gwynn. „So ein lieber Mensch.“
Sandra nickt. „Ja, sie sind sehr lieb. Das ist mir erst in den letzten Tagen bewusst geworden.“
Als die Kinder bei ihnen eintreffen, steht Gwynn auf. „Was haltet ihr von einem kleinen Ausflug nach Bath?“, fragt sie.
Die Kinder jubeln sofort.
Sandra reagiert zurückhaltend.
„Nun komm schon“, muntert Gwynn sie auf. „Jetzt hast du keinen Grund mehr für ein Nein. Du kannst deine Ausgaben selbst bestreiten. Außerdem brauchst du ein Handy, damit du erreichbar bist, wenn mal was sein sollte. Ich habe mir vor ein paar Monaten ein neues Smartphone gekauft. Mein altes liegt noch in der Schublade, wo ich meinen Krimskrams aufbewahre. Das kannst du haben.“
„Ja, komm, Mama, lass uns nach Bath fahren. Bitte!“
Sandra erhebt sich schwerfällig. „Was soll ich denn noch mit einem Handy?“
Gwynn dreht die beiden Kinder um in Richtung Haus und schiebt sie ein wenig an. „Geht schon mal vor, wir kommen gleich“, fügt sie hinzu. Dann wendet sie sich wieder an ihre Freundin. „Was soll das denn nun schon wieder? Du erinnerst dich noch, worüber wir die Tage gesprochen haben? Dass die Aussage eines Arztes nicht die endgültige Wahrheit sein muss?“
„Erinnerst du dich denn noch daran, dass meine Anfälle nicht abreißen?“
„Wenn du so pessimistisch bist, meine Liebe, dann besorge dir halt eine Prepaid-Karte. Es muss ja nicht gleich ein Vertrag mit Laufzeit sein.“ Sie legt ihr die Hand auf die Schulter. „Was ist jetzt, fahren wir? Na, komm schon, hm?“ Und als Sandra nicht antwortet: „Na siehst du. Auf geht‘s, machen wir uns fertig.“
9. Kapitel - Malcolm
Nach anfänglichen Vorbehalten seitens von Sandra gegen eine Fahrt nach Bath, sitzen die Vier nun nach einer Sightseeingtour und einem Besuch im Handyshop in einem der zahlreichen Restaurants am Fenster und genießen wortlos den Blick auf den Fluss Avon. Sandra hatte schon als Jugendliche immer mal den Drang verspürt, es sich in den römischen Bädern, gespeist von warmen Quellen, gutgehen zu lassen, aber dazu war es nie gekommen. Sie glaubt nicht daran, es in diesem Leben noch einmal nachholen zu können. Immerhin geht es ihr nun besser als am Vormittag, als sie sich in einer sehr düsteren Verfassung befunden hatte. Grund dafür war das bärtige, geifernde Gesicht dieses besoffenen Tiers, das vor zehn Jahren wie von Sinnen auf sie eingestochen hatte, bis die anderen beiden den Kerl von ihr runter rissen und mit ihm flüchteten. Genau dieses Gesicht war auch im Flug nach Bristol aufgetaucht, nicht wie sonst als Halluzination, sondern live. Der Mann war in der Maschine an ihr vorbeigegangen und hatte sie angeschaut. Der Albtraum hatte sich damit ein Höchstmaß an Lebendigkeit verschafft.
In ihre geistige Abwesenheit hinein schallt die Stimme der Bedienung wie aus einer anderen Welt. „War alles in Ordnung? Kann ich abräumen?“
Gwynn nickt. „Ja, super.“
„Darf es sonst noch etwas sein?“
Gwynn schaut in die Runde. Alle schütteln den Kopf. „Ich glaube, das war’s“, antwortet sie. „Wenn Sie uns die Rechnung bringen würden?“
„Selbstverständlich.“
Bevor Gwynn noch etwas sagen kann, klingelt ihr Handy. Sie kramt es aus der Tasche, die über der Rückenlehne des Stuhls hängt, und meldet sich mit einem knappen „Ja.“ Sandra geht davon aus, dass sie den Anrufer kennt. Schon schaut Gwynn sie an und sagt: „Ja, die ist bei mir. Soll ich sie dir geben? – Moment.“ Sie streckt Sandra das Handy entgegen mit den Worten: „Hier, für dich.“
Sandra nimmt es umständlich mit beiden Händen entgegen und fragt erstaunt: „Für mich? Wer ist es denn?“
„Nun geh halt ran, dann weißt du es“, drängt Gwynn.
Sandra führt das Handy ans Ohr. „Mr. McKell“, entfährt es ihr. „Was kann ich für Sie tun? – Nein, heute eher nicht mehr. Wir sind gerade unterwegs. Reicht es auch morgen noch? – Das ist super. Morgen um Neun passt gut. Ich bin pünktlich.“ Sie reicht Gwynn das Handy zurück. Diese vergewissert sich, dass Duncan aufgelegt hat und steckt es weg. „Was wollte er denn von dir?“, fragt sie mit aus den Augen strahlender Neugier.
„Er möchte mich einem Mr. Malcolm House vorstellen. Sagt dir der Name was?“
„Ja, natürlich“, gibt Gwynn zurück. „Du hast ihn auch schon gesehen. Als du den Termin mit Duncan hattest, verabschiedete er ihn gerade in der Hotelhalle. Erinnerst du dich? Ich glaube, da bahnt sich was für dich an.“
Die Bedienung tritt heran und legt einen Kassenbon auf den Tisch, den Sandra sich sofort schnappt und den Geldbeutel zückt. „Ich übernehme das“, sagt sie. Als Gwynn protestieren will, legt sie den Zeigefinger auf den Mund und schüttelt den Kopf. Dann zaubert sie einen Schein hervor, drückt