Die Hungrige Hexe. Cecille Ravencraft

Die Hungrige Hexe - Cecille Ravencraft


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kann man nur in dieser Einöde wohnen? Hier ist doch rundum nur Wald!“, schimpfte sie. Jim verdrehte die Augen. Immer nur am Meckern. Er erwog ernstlich, sie bei ihren komischen Verwandten zu lassen. Einfach Gas geben und weg.

      Er musste sich etwas runterbeugen, um das Gartentörchen zu öffnen. Quietschend gab es den Weg frei. Jessica konnte sich kaum sattsehen an den Blumen und Rosensträuchern. Ihr Duft wurde nur von dem aus dem Kräuterbeet übertroffen.

      „Was riecht ’n hier so intensiv?“, fragte Jim abschätzig.

      „Ich glaube, das ist Thymian“, gab Jessica nachdenklich zurück. Zum ersten Mal seit ihrer Abfahrt redete sie in normaler Lautstärke und ohne ihn wegen irgendetwas fertigzumachen. Der Vorgarten haut wohl sogar auch sie aus den nuttigen Stiefeln.

      Jim stieg die paar Stufen zur Haustür hoch und klopfte. Er kam sich in seinen zerrissenen Jeans und dem nach abgestandenem Bier müffelnden Tank Top etwas fehl am Platz vor. Auch seine dreckigen Turnschuhe machten bestimmt keinen guten Eindruck auf die Hausbewohner. Jessica sah beinahe noch schlimmer aus. Sie hatte einen extrem kurzen, engen Rock an, Schaftstiefel, abgeschnittenes Shirt, das ihren Nabel freiließ, der gepierct war, genau wie ihre Nase. Die Haare hatte sie sich vor Monaten schwarz und rot gefärbt, genau am Scheitel. Nur war das schmuddelige Blond inzwischen wieder zum Vorschein gekommen. Und geschminkt war sie, als wäre sie dreimal hintereinander in den Farbtopf gefallen. Selbst Jim musste zugeben, dass er es den Hausbewohnern nicht verdenken konnte, wenn sie die Tür gleich wieder zuschlugen oder gar nicht erst aufmachten.

      Die Tür ging jedoch auf, und Jim schnappte nach Luft: Eine schlanke, hübsche Frau um die dreißig in einem weißen Sommerkleid stand freundlich lächelnd vor ihnen. Ihr dunkles Haar hing ihr bis auf den Rücken.

      „Ähm, äh, hallo“, stammelte er verlegen, „wir haben uns verfahren und kein Benzin mehr. Könnten wir wohl Ihr Telefon benutzen?“

      Jessica verdrehte die Augen. Kaum war eine attraktive Frau im Spiel, kramte er seine Sonntagsmanieren hervor.

      Der Ausdruck der Frau hatte sich trotz der abgerissenen Erscheinung vor ihr nicht verändert. Ihr Lächeln vertiefte sich sogar.

      „Oh! Na, da habt ihr ja Pech gehabt, was? Klar, kommt ruhig rein!“ Sie öffnete die Tür noch weiter und gab den Blick in einen hellen Flur frei. Neugierig betraten die beiden das Haus. Hinter ihnen knallte die Tür ins Schloss. Erschrocken fuhren sie herum. Jessica jagte ein Schauder über den Rücken: Für einen Bruchteil einer Sekunde glaubte sie in den Augen der Frau etwas Gieriges, Verschlagenes und widerlich Gemeines gesehen zu haben. Aber schon lächelte sie wieder. „Tut mir leid, das muss der Wind gewesen sein! Ich habe eine kleine Party, und deswegen ist die Verandatür offen. Kommt, das Telefon ist gleich da drüben!“ Sie wies ins Wohnzimmer, wo ein schnurloses Telefon auf dem gläsernen Couchtisch lag. Jim und Jessica traten schüchtern näher. Dieses helle, freundliche Haus gehörte für sie normalerweise in die Kategorie „Spießer“, aber die Eleganz und Sauberkeit schüchterten sie irgendwie ein und die Bewohnerin hatte nichts Spießbürgerliches an sich. Sie war auf ihr Heim sichtlich stolz. Nichts lag herum, alles war perfekt aufgeräumt. An der Wand hing nur ein Foto: Das lächelnde Gesicht der Frau, darüber lag schemenhaft noch ein anderes. Das andere lächelte nicht, sondern sah ernst auf sie herab. Ein faszinierendes Bild von dunkler Schönheit. Es ließ Jessica gar nicht los.

      „Zwei Fotos von mir übereinandergelegt, das eine davon beinahe durchsichtig. Fotomanipulation. Ein kleines Hobby von mir.“ Die Frau nahm auf der Couch Platz. „Toll“, stotterte Jessica. Die einladende Geste schlug sie mit einem Kopfschütteln aus. Sie hatte den Eindruck, die Reinheit um sich herum zu beschmutzen. Sie kam sich vor wie Pig Pen von den Peanuts. Jim sah sogar noch schlimmer aus, fand sie. Jessica hätte nicht mal sagen können, wann er sich das letzte Mal geduscht hatte, der Sack.

      Der Sack hatte in der Zwischenzeit das Telefon genommen und eine Nummer gewählt. Verwirrt nahm er den Hörer vom Ohr und starrte darauf.

      „Da ist so ein Störsignal.“

      Die Frau nahm es ihm aus der Hand, lauschte, runzelte die Stirn, und schaltete es ab.

      „Bestimmt hat der Sturm vor ein paar Tagen eine Leitung beschädigt. Wie schade.“

      „Haben Sie kein Handy?“

      „Nein, leider nicht. Habt ihr denn keins?“

      Die beiden schüttelten den Kopf. Sie hatten zwar eins, aber ohne Guthaben. Nutzlos.

      „Tja, dann seid ihr hier erst mal gestrandet. Aber das macht ja nichts, kommt mit raus, ich stelle euch meinen Gästen vor. Apropos, tut mir leid, ich hatte ganz vergessen, mich vorzustellen. Ich bin Samira.“ Sie streckte die Hand mit den silbernen Armbändern und Ringen aus. Jessica und Jim schüttelten sie und sahen sich an.

      „Also, eigentlich wollten wir weiter nach Meddington …“

      „Ach! Sieh an!“

      „Äh, ja … Jessicas Cousine heiratet …“

      „Wie schön!“

      „Ja … und wir wollten eigentlich … also, wir möchten eigentlich weiterfahren …“

      „Wie denn, so ohne Benzin?“, strahlte Samira. Jessica und Jim sahen sich unbehaglich an.

      „Nun ja, haben Sie vielleicht etwas Benzin?“

      „Nein. Leider nicht.“

      „Oder könnten Sie uns nach Meddington fahren?“

      „Mein Wagen ist leider kaputt. Ihr werdet wohl die Nacht hier verbringen müssen.“

      „Und …“ Jim schluckte, denn das Lächeln auf dem hübschen Gesicht war mit jeder seiner Fragen etwas geschwunden, „… und könnte vielleicht einer von Ihren Gästen uns hinfahren …?“

      „Ach, die kommen nicht von da, keiner von denen. Aber wir werden mal sehen, vielleicht nach der Party. Jetzt kann ich niemanden um so etwas bitten, Meddington ist ja auch über eine Stunde entfernt! Kommt, ich stelle euch vor!“

      Zögernd folgten die beiden Samira durch die geöffnete Schiebetür nach draußen. Sie sperrten bei diesem riesigen, prächtigen Garten die Münder auf. Ihn zu durchqueren dauerte eine ganze Weile. Der Duft von bratendem Fleisch lag in der Luft und wurde immer intensiver. Jessica und Jim spürten erst jetzt, wie hungrig sie waren. Auch für Verpflegung war kein Geld da gewesen.

      Weiter hinten im Garten gab es einen kleinen Badeteich. Davor standen mehrere Stühle und Gartenliegen und eine Bierzeltgarnitur. Auf den langen Tischen reihten sich Schüsseln mit Nudel- Kartoffel- Bohnen- und anderen Salaten aneinander. Flaschen mit Cola und Bier standen bereit, ebenso wie Teller und Besteck. Sie störten wohl gerade ein Barbecue.

      Der Grill befand sich noch ein Stück weiter hinten, damit der Rauch die Gäste nicht belästigte. Er war gemauert und verputzt und sehr groß. Der Rost reichte bestimmt für einen ganzen Ochsen. Die Gäste wandten sich fragend um, als Samira mit den beiden jungen Leuten wiederkam.

      „Ich war gerade in der Küche, da klopft es an der Tür! Was für ein Glück, dass ich nicht hier hinten war, sonst hätte ich diese beiden netten Leute in Not verpasst!“

      Alle brachen in lautes Gelächter aus. Jim fand es etwas übertrieben für diesen Sparwitz.

      Jessica betrachtete derweil abschätzig die Aufmachung der Gäste. Ein alter, gebeugter Mann mit Glatze und grauem Rauschebart in einem schwarzen Blazer, schwarzer Bundfaltenhose und weißem Hemd, eine junge Frau in einem schwarzen Trägerkleid mit weißer Bluse und straff hochgestecktem Haar, ein junger Mann in einer grauen Jeans und einem weißen Jeanshemd. Sie standen mit Gläsern in den Händen herum und warteten auf ihr Essen, das vor sich hin briet. Jessica fragte sich, warum Samira ihre Gäste hier in der Sonne schmoren ließ, obwohl sie in der Mitte des Gartens einen weißen Pavillon hatte.

      Samira stellte die Gäste als William Hart und seine Enkelin Sandra vor, sowie einem weiteren William, der von Sandra immerzu angehimmelt wurde. Alle lächelten freundlich, hatten aber etwas Kaltes und Lauerndes in ihren Blicken, das Jessica


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