Die Hungrige Hexe. Cecille Ravencraft

Die Hungrige Hexe - Cecille Ravencraft


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sein.“

      Luke stöhnte. Tränen liefen ihm über das Gesicht. Samira spritzte ihn von oben bis unten mit dem Gartenschlauch ab, um die Härchen zu entfernen, zog sich die Latexhandschuhe aus, die sie vorher angezogen hatte, damit sie den, mit dem sie einst das Bett geteilt hatte, nicht zu berühren brauchte, nahm den Eimer und ging einfach weg. Wieder begann das Warten.

      Es war schon dunkel geworden, als Samira zurückkehrte. Luke war nur halb bei Bewusstsein gewesen, aber nun war er sofort hellwach, als sie ihn in die Seite trat. Er bedauerte, den Mund geöffnet und gierig Wasser gesoffen zu haben, als sie ihn abspülte, denn hätte er das unterlassen, wäre er jetzt vielleicht wegen Dehydrierung völlig weggetreten gewesen und hätte nichts mehr mitbekommen.

      Er staunte. Sie hatte unzählige schwarze Kerzen rundum verteilt. Der ganze Pavillon leuchtete in einem düsteren Licht. Samira stand neben ihm am Fußende. Sie sah so schön aus, dass ihn wieder Begehren durchfuhr, wenn auch mit einem sauren Beigeschmack. Sie hatte sich gebadet und geschminkt. Das Haar floss ihr lang und glänzend den Rücken herunter. Sie trug die lange, weite schwarze Robe aus dem Kleiderschrank. Die roten Stickereien leuchteten, als würden sie von verborgenen Scheinwerfern angestrahlt.

      Sie hob den Kopf und sah an die Decke. Luke folgte ihrem Blick und erschrak so sehr, dass er einen kleinen Schrei ausstieß: Dort an der Decke prangte ein Teufelsgesicht, der Kopf eines Ziegenbocks mit bösen Augen, die direkt in seine starrten. Das Gesicht leuchtete bläulich, wie Leuchtfarbe. Zwischen den hasserfüllten Augen war die Öffnung in der Decke, durch die der Vollmond auf Luke herunter schien.

      „Hübsch, nicht wahr? Man braucht nur ein paar Chemikalien und Schwarzlicht dazu. Und Blut. Die Leuchtröhren sind in den Fußleisten verborgen … ach, sieh mich an, da stehe ich hier herum und schwatze, dabei ist es höchste Zeit.“

      „Was … was wirst du mit mir machen?“

      „Leider kann ich dir das nicht in allen Details sagen, aber wenn du dir meinen Werkzeugkasten mit den Zangen, Scheren, Nadeln und die Kettensäge ansiehst, und ich dir noch einen Tipp gebe, kommst du bestimmt darauf.“

      „Tipp …?“

      „Nun ja …“ Samira beugte sich zu Luke herunter und flüsterte ihm gutgelaunt ins Ohr: „Du hast den Grill doch selbst verputzt! Und das hast du gemacht, damit ich dich verputzen kann.“ Sie stellte sich wieder gerade hin und brach in ein schrilles Lachen aus. Luke schrie. Er konnte nicht mehr anders.

      Nach einer Weile war er heiser und verstummte mit einem Wimmern. Er sah, wie Samira etwas in seinen Sichtkreis zerrte: den Spiegel aus dem schwarzen Zimmer.

      Das Spiegelbild lachte hämisch los. Aber unbändige Wut lag in ihrem Blick

      „So, das hattest du dir so gedacht, was? Einfach abhauen? Blöder Idiot! Uns geht keiner durch die Lappen! Allein für den Versuch wirst du noch mehr unerträgliche Qualen leiden! Penner! Wichser!“, keifte die andere Samira.

      „Scheiße“, stöhnte Luke und ließ den Kopf wieder sinken. Jetzt waren auch noch zwei von der Sorte da. Sogar eine schwarze Robe trug das Spiegelbild, und hinter ihr flackerten Kerzen, die sie in oder auf einige ihrer Totenschädel gesteckt hatte. Bald, befürchtete Luke, würde ihre Sammlung um ein Prachtstück reicher sein.

      So langsam beschlich ihn das Gefühl, dass es den VWKG gar nicht gab.

      „Still“, befahl Samira ihrem Spiegelbild mild. Ihre Hilfe bei der Verfolgung wurde nun dadurch belohnt, dass sie bei der Opferung zusehen durfte. Samira öffnete den Werkzeugkasten. Luke begann zu schwitzen.

      Es dauerte lange und war entsetzlich. Selbst ein hartgesottener Horrorfilm Fanatiker hätte sich im Strahl übergeben. Sogar die Bäume schienen unter den qualvollen Schreien zu erzittern. Die Samira im Spiegel amüsierte sich prächtig.

      „Nochmal! Nochmal das mit der Schere! Ja! Und jetzt die Zange! Nein, nicht die, die Rotglühende! Nicht da! Da, wo’s richtig wehtut! Ja, genau da! Stech noch `ne Nadel da rein! Prima!“

      Erst im Morgengrauen hatte Samira alles Fleisch abgepackt und in ihre Tiefkühltruhe verfrachtet. Das Blut war ins Erdreich geflossen, der Schädel bekam einen Ehrenplatz im schwarzen Zimmer, die anderen Knochen wurden in den Beeten vergraben. Der Spiegel kam wieder an seinen Platz, aber so gedreht, dass die Spiegel-Samira den Schädel sehen konnte. Sie wirkte sehr zufrieden. Wie ihr echtes Ebenbild war ihre Robe über und über mit Blut bespritzt.

      Müde räumte Samira auf und steckte ihre Robe in die Waschmaschine. Sie wollte nur noch schlafen, während Lukes Fleisch in den Plastikbeuteln langsam gefror, aber sie hatte ihm ein Versprechen gegeben. Und das würde sie auch halten. Denn er hatte sich auch prächtig gehalten. Und tiefgefroren würde er sich sogar noch länger halten.

      Jim und Jessie

       1

      „Du bist bestimmt der einzige Typ in der freien Welt ohne Navi“, nörgelte Jessica. Sie saß mit verschränkten Armen auf dem Beifahrersitz. Jim, oder auch Jimbo, wie er sich gern nennen ließ, knurrte Unverständliches. Okay, er hatte sich verfahren, okay, er hatte eben kein Navigationsgerät. Dafür besaß er eine Landkarte. Und wer konnte die nicht lesen? Wusste nicht mal, wie rum man sie halten musste? Und meckerte jetzt nur noch?

      „Halt die Klappe“, zischte er, als das Gekeife neben ihm kein Ende nehmen wollte. „Es sind deine bescheuerten Verwandten, die hier irgendwo in dieser Einöde heiraten wollen. Nicht meine!“

      Jessica schwieg. Sie hasste Meddington, die Kleinstadt, aus der ihre Eltern bei Nacht und Nebel abgehauen waren. Jessica war damals erst zehn gewesen, aber sie wusste noch sehr gut, wie die neue Heimatstadt sie zuerst erschreckt hatte: Die Menschen redeten und lachten, waren freundlich und so lebhaft. Meddington erinnerte irgendwie an eine Geisterstadt. Die Bewohner schlichen kraft- und farblos umher. Meddington, hatte ihr Vater zu ihr gesagt, sei ausgeblutet. „Wenn du nur einen Funken Verstand besitzen würdest, dann hättest du diese Einladung abgelehnt! Was haben wir mit denen noch zu schaffen? Nichts! Die Leute dort haben sich aufgegeben. Fahr bloß nicht da hin!“

      Aber Jessica war total blank und hoffte, aus ihrer Tante Annie ein paar Kröten rauszuholen. Denn von ihren Eltern bekam sie keinen Cent mehr. Und ihre Cousine irgendeines Grades, die heiratete, nahm bei ihrer Hochzeit bestimmt auch Tausende von Dollar ein. Jessica war vorbereitet: Sie hatte einen leeren Briefumschlag, den sie der Braut in den Beutel stecken würde, und sie hatte einen langen, weiten Ärmel, in den sie die Umschläge, die sie dabei unauffällig mit herauszuziehen gedachte, schieben konnte. Jimbo lenkte derweil die Braut mit einem Witz oder dergleichen ab. Ein Kinderspiel.

      Leider hatte Jimbo sich verkalkuliert und die zwanzig Dollar für das Benzin reichten doch nicht „dicke bis nach Meddington“. Der Motor stotterte schon und drohte, bald stehenzubleiben. Vielleicht hatte er auch bloß wieder vergessen, irgendetwas nachzusehen oder nachzufüllen, der Schussel. Und jetzt wussten sie nicht einmal, wo sie waren. Schon ewig hatte Jim kein Schild mehr gesehen, nur vor längerer Zeit hatte irgendwo an irgendeiner Kreuzung eines in Richtung einer Stadt namens „Ryan’s Field“ gewiesen.

      „Wir fahren doch nur im Kreis!“, meckerte Jessica weiter, „wir werden zu spät kommen! Verdammt!“

      Jim öffnete den Mund, um ihr zu sagen, dass sie den ihren schließen solle, oder er würde sie aus dem Wagen werfen und allein weiterfahren, da tauchte auf einmal auf der rechten Seite ein wunderschönes Haus auf. Ein niedriger weißer Zaun trennte den Vorgarten von der staubigen Straße ab, dahinter blühten farbenprächtige Blumen. In einem liebevoll angelegten Kräutergärtchen mit von weißen Steinen abgegrenzten Beeten wuchsen viele verschiedene Kräuter.

      Auch die Blumenkästen an den Fenstern blühten üppig und verschönerten die weiße Fassade.

      Jim trat auf die Bremse. Jessica, die darauf nicht vorbereitet war, hing beinahe auf dem Armaturenbrett.

      „Bist du völlig bekloppt?“, brüllte sie, „jetzt muss ich den Mascara neu auftragen!“

      Jim war


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