Die Hungrige Hexe. Cecille Ravencraft

Die Hungrige Hexe - Cecille Ravencraft


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du es drauf ankommen lassen?“

      Sie schwieg und warf einen nachdenklichen Blick auf die am Boden liegende Samira.

      „Die wird so schnell nicht mehr munter. Du kannst dich ruhig mit mir unterhalten.“ Luke griff, um sie noch mehr zu reizen, nach einem der alten Bücher.

      „Stell das sofort weg!“

      „Was is’n das?“

      „Eine Grimoire, du Idiot. Das sagt dir sowieso nichts, du dummes Stück Affenscheiße!“

      „Ein so hübscher Mund … und dann kommen da solche Seemannsflüche raus. Zum Glück weiß ich, dass du auch andere Sachen damit machen kannst, und die gefallen mir sehr viel besser! Also, beantwortest du jetzt alle meine Fragen, oder soll ich schon mal ein Kehrblech holen?“

      Die falsche Samira holte tief Luft und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihre grünen Augen bohrten sich voller Hass in Lukes, aber der wandte sich ab und blätterte in dem Buch. Die Seiten waren alt und bräunlich, die Tinte dunkelbraun. Aber Luke hatte in seinem Leben schon genug getrocknetes Blut gesehen, um es auch in einem alten Buch zu erkennen. Wieder schauderte es ihn.

      „Was willst du wissen?“, knurrte Samira indes und warf einen schnellen Blick auf das Original, das noch immer bewusstlos am Boden lag.

      „Was steht hier drinnen?“

      „Beschwörungsformeln, Flüche, die Namen der Dämonen und ihre Rangordnung in der höllischen Hierarchie, die wahre Entstehung der Welt und alles über die menschlichen Schwächen und Sündhaftigkeiten. Jetzt bist du trotzdem nicht viel schlauer, was, du Hornochse?“ Sie warf den Kopf zurück und lachte verächtlich. Das Lachen brach aber sofort ab, als Luke nach einem der Schädel griff und ihn drohend hob.

      „Schon gut“, rief sie hastig, „also, was willst du wissen?“

      „Was kann man damit anfangen?“

      „’Man’ kann damit gar nix anfangen“, ätzte sie ironisch, „nur Hexen können eine Grimoire richtig benutzen. Und du bist keine. Also vergiss es.“

      „Wenn ich so eine Beschwörungsformel aufsage, passiert also überhaupt nichts?“

      „Kommt drauf an“, entgegnete sie von oben herab. Aber Luke sah plötzliche Angst in den grellen grünen Augen aufflackern.

      „Auf was?“, setzte er nach und hob wieder den Schädel. Sie wich im Spiegel zurück und wirkte wie ein in die Ecke gedrängtes Tier.

      „Ein paar von den Sprüchen funktionieren auch für Nicht-Eingeweihte“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

      „Welche?“ Lukes Mund schien plötzlich trocken zu werden. Berge von Blei, von ihm in Gold verwandelt oder die Lottozahlen für die nächsten zehn Jahre tanzten Walzer in seinem Kopf.

      „Nun ja … einer ist auf Seite vierunddreißig, aber ich will nicht, dass du … hör auf! Lass das!“ Sie tobte hilflos im Spiegel herum, als Luke achtlos die kostbaren Blätter mit seinen großen Pranken heftig umblätterte. Auf der Seite sah Luke ein kompliziert aussehendes Diagramm mit ineinander verschlungenen Dreiecken, Pfeilen und einem Viereck, das dreidimensional gezeichnet worden war. Einer der Pfeile wies in das Viereck hinein, ein anderer wieder heraus.

      „Was ist das für ein Zauber?“, fragte Luke und holte mit dem Schädel aus, als wolle er den Spiegel zerschmettern.

      „Nicht! Nein! Na gut … es ist ein Anziehungszauber für Geld!“ sprudelte Samira hervor und schützte instinktiv ihren Kopf mit beiden Armen.

      „Lüg mich nicht an, du Fotze!“, brüllte Luke und schlug den Schädel mit Wucht auf den Rahmen. Samira schrie erschrocken auf und duckte sich. Die Spiegelfläche hielt, aber das ganze Ding zitterte bedrohlich.

      „Nein! Bitte! Es stimmt!“

      „Ich traue dir kein Stück“, knurrte Luke und griff sich einen zierlichen, antiken Stuhl, der vor einem Mahagonitischchen stand. Darauf lagen Stapel von Tarotkarten, eine Kristallkugel schimmerte im düsteren Licht des Dachfensters und ein Becher aus Ton mit bräunlichen Flecken darin stand in einer Ecke. Ein beidseitig geschliffenes Messer lag davor.

      „Nein! Warte! Sie hat ihn selbst benutzt!“, schrie Samira hastig, als Luke den Stuhl hob, um den Spiegel endgültig zu zerstören.

      Luke senkte ihn, aber nur ein wenig.

      „Sie hat ihn benutzt? Beweise es!“

      „Sie hat jeden Zauber, den sie einmal ausprobiert hat, in dem schwarzen kleinen Notizbuch vermerkt“, plapperte Samira hastig. Luke sah die Panik in ihrem Gesicht. Er stellte den Stuhl weg und fand nach Samiras Angaben das Büchlein in der Schublade des Schreibtischs. Er blätterte darin herum. Da, da war tatsächlich eine Aufstellung: Grimoire, Seite vierunddreißig, Diagramm nachgezeichnet und Spruch gesagt. Funktioniert einwandfrei.

      „Hm … muss ich auch was zeichnen?“, brummte Luke, der ungern malte.

      „Nein … man muss es nur ein einziges Mal zeichnen. Mit Blut.“

      Luke beschloss, das Wagnis einzugehen. Samira hatte es ja auch getan und lebte noch. Auch wenn sie jetzt nicht unbedingt danach aussah.

      Er straffte sich und sagte die Worte laut und feierlich: „Teg attuo eht ydoolb rorrim, ouy tuls!“

      Ein Donnerschlag ließ ihn zusammenzucken. Ein schrilles Kichern erklang aus dem Spiegel, und Samira stieg einfach aus ihm heraus, als wäre es ein Aufzug, der in der Unterwäscheabteilung angehalten hatte. Luke starrte sie sprachlos an. Seine Knie drohten zu versagen. Das alte Buch entfiel seinen Händen, und das ermöglichte ihm die Flucht, denn Samira Schrei des Triumphes verwandelte sich in einen des Schreckens, und sie rannte zu dem geschundenen Buch herüber und hob es so zärtlich auf, als wäre es ein fallengelassener Säugling. Luke witterte seine Chance und wankte so schnell er konnte zur Tür hinaus, wobei er der bewusstlosen Samira auswich. Er fiel mehr die Treppen herunter, als dass er ging. Hinter ihm fuhr Samira zischend herum und legte das Buch vorsichtig auf den Tisch, dann rannte sie hinter Luke her. In ihrem Eifer und wegen der Dämmerung im Zimmer übersah sie jedoch die echte Samira und stolperte über ihren schlaffen Körper. Sie fiel ungeschickt der Länge nach hin, stand fluchend wieder auf und versetzte ihrem Original einen wütenden Fußtritt. Dann setzte sie Luke nach, der schon zur Haustür hinaus war und schnaufend und mit wabbelnden Fettwülsten zur Straße lief.

      Auf der Flucht

       8

      Luke verfluchte sich. Wie konnte man nur auf so was hereinfallen! Jetzt hatte er schon wieder eine Hexe am Hals! Aber wer konnte auch ahnen, dass sie so einfach aus dem Spiegel steigen würde? Samira musste sie dorthinein verbannt haben oder so etwas in der Art. Luke wusste nichts über Magie, sonst hätte Samira ihm sagen können, dass sie einfach ihr normales Spiegelbild zum Leben erweckt hatte, ihr Anti-Ich, das körperlich und geistig wie sie selbst war, aber keine Seele besaß. Allerdings konnte sie in der Anti-Dimension, der Welt hinter dem Spiegel, sehr nützliche Dinge tun und unter anderem die Zukunft vorhersagen. Es war einfacher, einen magischen Spiegel dieser Art zu haben, als einen niederen Dämonen zu beschwören, der die Dreckarbeit verrichten, aber auch immer unter Kontrolle gehalten werden musste. Denn jeder Dämon war darauf aus, seine Fesseln zu lösen und den zu töten, der ihn beschworen hatte. Das Spiegelbild war loyal. Denn ohne sein Original hörte es sofort auf, zu existieren. Samiras Hatz nach Luke war reiner Selbsterhaltungstrieb.

      Das Spiegelbild riss den Autoschlüssel vom Bord an der Haustür und rannte zu dem kleinen Sportwagen. Sie holte noch schnell etwas aus dem Kofferraum, sprang ins Auto, ließ es an, und raste davon. Wo war der Kerl hin? Weit konnte er mit seiner Wampe noch nicht gekommen sein. Samiras Kopf ruckte wild nach rechts und nach links, das lange Haar flog. Da! Da keuchte er die Straße entlang. Das Spiegelbild lachte: Den hätte sie auch zu Fuß einholen können!

      Luke quiekte unglücklich wie ein Schwein, das den Metzger


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