Die Hungrige Hexe. Cecille Ravencraft

Die Hungrige Hexe - Cecille Ravencraft


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die frisch lackierten Nägel. Bestimmt fragte sie jetzt ihren Dr. Roberts, was sie tun sollte. Geschah ihr ganz recht!

      Er sprintete geräuschlos über den Holzboden, als er Schritte auf der Treppe hörte, und warf sich ins Bett. Er stöhnte und hielt sich den Magen, als Samira zu ihm hereinkam.

      „Geht es dir so schlecht?“

      „Mein Magen tut weh“, flüsterte er. Samira sah ihn prüfend an. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Das sah ziemlich ernst aus.

      „Soll ich dir einen Tee kochen?“

      „Nein, bitte, hast du nicht so ein Magenmittel? Pepto-Bismol?“

      „Nein. Leider nicht.“

      „Schade … aber wenn ich drei Tage nichts esse, wird es schon wieder besser werden.“

      „Drei ...?? Nein, das geht nicht … Pass auf, du bleibst hier liegen und ich hole dir das Pepto aus der Apotheke, okay?“

      „Macht dir das nicht zu viele Umstände?“, hauchte er.

      „Hm … nein, ist schon okay …“

      „Danke.“ Er zog die Decke bis zum Kinn und seufzte.

      Samira verzog das Gesicht, ging wieder runter, hantierte mit ihrem Autoschlüssel, und verließ Türen schlagend das Haus.

      Luke grinste, als das Auto angelassen wurde und mit quietschenden Reifen davonfuhr. Sofort sprang er auf.

      Unten suchte er in Schubladen und Schränken, fand aber nichts Besonderes. Er schloss die Augen und dachte an Hugo zurück, den Einbrecher. Der hatte bei seinem letzten Einbruch den Hausbewohner umgebracht, als der mit einer Pistole herumwedelte. Er hatte Luke eine Menge Tipps gegeben. Wo würde eine Frau den Schlüssel zu diesem verschlossenen Zimmer aufbewahren?

      Er hoffte, dass sie ihn nicht immer bei sich trug. Aber sie war ja oft genug nackt, und wenn sie nachts neben ihm schlief, könnte er ja ihre Kleidung durchsuchen und den Schlüssel leicht finden. Nein, sie hatte ihn irgendwo versteckt, wahrscheinlich oben, damit sie nicht erst runterzugehen brauchte. Bestimmt im Schlafzimmer. Er ging wieder rauf. Er befühlte die Schubladen, falls sie den Schlüssel mit Tesa unten festgeklebt hatte, die Taschen ihrer Hosen und Röcke. Nichts. Er wurde langsam nervös. Eine halbe Stunde war schon um, und vierzig Minuten brauchte sie hin und wieder zurück, fünf Minuten im Drugstore. Und sie fuhr wie eine besengte Sau. Außerdem ließ sie ihn bestimmt nicht gern allein.

      Das Badezimmer … es war seine letzte Hoffnung. Luke sah sich das Medizinschränkchen genauer an, fand aber nichts. Als letzten Strohhalm nahm er die Dosen mit den Gesichtscremes hoch. Da! Die Tagescreme auf Olivenölbasis war verdächtig leicht. Als er sie schüttelte, klapperte etwas. Er schraubte den Deckel ab, sah in die leere Dose, und da war er endlich, der Schlüssel!

      Luke raste zu der verschlossenen Tür. Der Schlüssel passte. Er steckte ihn ins Schloss und öffnete die Tür.

      Das Hexenzimmer

       6

      Schwärze sprang ihn an. Ein schwarzer Fußboden, Fliesen mit einem blutroten Pentagramm darauf. Schwarze Vorhänge. Schwarze Kerzen standen in schwarzen Regalen. Totenschädel reihten sich auf wie eine Trophäensammlung. Weiter hinten, rechts, verhüllte ein Stück schwarzer Seide einen Spiegel, wie er aus der Form erkannte. Luke ging langsam zu ihm und zog den Stoff beiseite. Er erschrak beinahe zu Tode, als Samira ihn ansah, und er fuhr zurück. Samira fuhr ebenfalls zurück. Luke fuhr sich mit der Hand an die Kehle; Samira fuhr sich gleichzeitig mit der Hand an die Kehle. Er sperrte vor Staunen den Mund auf. Auch ihr klappte der Unterkiefer herunter. Seine panisch aufgerissenen Augen sahen in ihre. Sogar die Mimik stimmte genau. Es war nur ein Spiegel, aber er sah nicht sich selbst darin, sondern sie. Wie konnte das sein??

      Ein Motorengeräusch von der Straße ließ ihn zusammenfahren. Sein Spiegelbild, das nicht seins war, fuhr ebenfalls zusammen. Luke rannte zurück, zog die Tür zu, drehte den Schlüssel im Schloss, raste ins Bad, warf den Schlüssel in die Cremedose, schraubte sie wieder zu, stellte sie an ihren Platz, und verkroch sich gerade wieder unter der Decke, als er Samiras Schritte auf der Treppe hörte.

      „Oh Schatz! Du siehst ja sehr krank aus. Hier, nimm gleich einen Löffelvoll.“ Sie flößte es ihm eigenhändig ein. Luke schluckte es gierig, denn jetzt fühlte sich sein Magen tatsächlich sehr flau an.

      „Danke dir“, ächzte er und sah sie an. Die Hexe. Luke war überzeugter Atheist, schon immer gewesen. Wenn man etwas Falsches tat, kam man nicht in die Hölle. Man wurde geboren, lebte und starb. Es lag an jedem selbst, aus seinem Leben möglichst viel Spaß herauszuholen. Jetzt dachte er anders darüber. Seine irische Großmutter hatte ihn mit gruseligen Mythen aus der alten Heimat in Angst und Schrecken versetzt, als er noch klein gewesen war, und jetzt glaubte er jedes Wort davon. Dieser Spiegel … seine Bewegungen, seine Mimik, aber alles ihre Gestalt! Das konnte nur Hexerei sein! Die vielen Schädel … und alte in Leder eingebundene Bücher hatte er auch gesehen. Was mochte in ihnen stehen?

      Wenn sie das nächste Mal einkaufen fuhr, musste er noch einmal da rein und nachsehen. Und ihren Laptop, auch den würde er sich vornehmen!

      „Ich mache dir noch einen Tee.“ Sie drehte sich grade um und sah daher nicht die Grimasse, die er zog. Tee? Nein, danke. Im Moment wollte er ehrlich gesagt nichts, was sie mit ihren Fingern zubereitet hatte. Ihn schauderte es heftig, wenn er an die schönen, schlanken Hände mit den langen Nägeln dachte, die sich eifrig über den Töpfen bewegten wie Spinnen, die ihr Netz woben, wie sie Gewürze und Kräuter in sein Essen warf und umrührte, das Mündchen spitzte, um abzuschmecken … und vielleicht noch ein Mäuseherz in den Eintopf warf.

      Luke übergab sich um ein Haar. Mäuseherz?? Wie kam man denn auf so was? Das war ja pervers!

      Was hat die eigentlich mit mir vor, dachte er. Sie bekochte ihn, stellte ihn mit Drogen ruhig und drängte ihn ständig, zu essen. Sieben Kilo, ein Bierbauch, erschlaffende Muskeln … Nein, es konnte doch nicht … oder etwa … er war doch nicht in einer Art Knusperhaus gelandet?

      Er lachte nervös in sich hinein. Was für ein Blödsinn. Morgen musste sie einkaufen, die Speisekammer und der monströse Kühlschrank, den sie besaß, waren fast leer. Gewiss würde sie ihm vorher wieder Drogen verabreichen wollen, und es galt, das zu verhindern. Er würde der kleinen Hexe schon zeigen, wo der Bock den Honig hatte!

       7

      Lustlos saß Luke am Frühstückstisch und schaufelte die Haferflocken mit Kakaopulver und warmer Milch in sich hinein. Samira war gnadenlos; auch wenn sein Magen nicht in Ordnung war, essen musste er trotzdem. Schonkost mit viel Zucker.

      Luke hatte kaum ein Auge zugemacht. Im Nebenraum stand ein Spiegel, in dem man nicht sich selbst, sondern Samira sah. Das Ding war nur durch eine Wand von ihm getrennt. Und um zwei Uhr, während Samira selig neben ihm schnarchte, war er entsetzt hochgefahren: Er hatte vergessen, den schwarzen Stoff wieder darüber zu drapieren! Verdammt! Wenn sie das sah! Bisher war sie nie in den Raum gegangen, aber meistens war er ja auch ohne Bewusstsein gewesen. Wer wusste schon, was sie tat, wenn er schlief?

      Jetzt war er hundemüde und wartete darauf, dass sie einkaufen fuhr.

      Der Vormittag verging. Samira bestand darauf, dass er sich im Wohnzimmer auf die Couch legte und seinen Magen schonte. Luke legte sich zwar hin, schaltete aber den Fernseher ein. Er befürchtete, sonst sofort einzuschlafen. Aber selbst der Fernseher half nicht. Wie auch, wenn er sich im Gefängnis daran gewöhnt hatte, auch bei der andauernden Geräuschkulisse zu schlafen? Langsam gingen seine Äuglein zu.

      Er zuckte zusammen, als ein heller, klarer Gong durchs Haus dröhnte. Samira, die im Garten Unkraut jätete, kam herein und ging zur Haustür. Dort begrüßte sie freundlich irgendwen und dann hörte man Geschnaufe und Rascheln in der Küche.

      Neugierig erhob Luke sich und schlurfte seinerseits in die Küche. Jetzt war er schon fast drei Monate hier, hatte aber noch keinen Menschen gesehen außer Samira. Nicht einmal


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