Die Hungrige Hexe. Cecille Ravencraft

Die Hungrige Hexe - Cecille Ravencraft


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am Geländer fest, mit der anderen stützte sie sich an der Wand ab. Sie war sehr bleich und hatte dunkle Ringe unter den trüben, halb geschlossenen Augen. Sie stöhnte. Als sie Luke sah, funkelten Wut, Erleichterung und Triumph in ihrem Blick.

      „Ah! Da ist er ja!“ Mühsam beschleunigte sie, und als sie endlich unten angekommen war, versetzte sie dem aus winzigen Dornenwunden blutenden Luke eine schallende Ohrfeige. Die Männer lachten.

      „Er lief uns direkt in die Arme. Ich hoffe, dass du uns deine Unterstützung zukommen lassen wirst bei der Suche nach Chris …?“

      Wütend sah Samira William an, aber der hatte unerbittlich die Arme verschränkt. „Wenn wir ihn dir nicht wiedergebracht hätten, wären jetzt die Cops hier. Er war schon fast auf dem Weg nach Meddington. Das wäre dein Ende gewesen.“

      „Wenn ich meine Schwestern verrate, ist das erst recht mein Ende“, keifte sie zurück, aber mit wenig Überzeugung. Sie wusste, sie schuldete den Graugewandeten viel.

      „Du musst uns ja nicht direkt zu ihm bringen … aber ich weiß, ein paar von uns sind zu ihm geflohen, ein paar Abtrünnige. Sind sie bei ihm aufgenommen worden? Mehr muss ich gar nicht wissen.“

      Samira senkte den Blick. „Ja“, gestand sie schließlich. Alle entspannten sich.

      „Gut. Hier hast du dein kleines Mastschweinchen. Amüsiere dich noch gut mit ihm im Bett. Oink, oink!“

      Samira errötete, als alle angewidert verächtliche Grimassen schnitten und sich zum Gehen wandten.

      „Halt! Ich bin noch nicht so ganz auf der Höhe. Bringt ihn mir bitte noch in den Garten.“ William nahm achselzuckend den Strick und zerrte Luke zur Verandatür hinaus den gewundenen Kiesweg entlang. Samira folgte ihnen.

      „Wie hat er dich denn erledigt?“, frage William abschätzig. Samira errötete noch mehr.

      „Er hat mir irgendwie sein Bralocolin verabreicht.“

      „Seine Dosis??“

      „Ja.“

      „Dann hast du Glück, dass du noch lebst.“

      Samira schwieg.

      Luke stolperte hinter William her durch den herrlichen Garten, den er immer so bewundert hatte. Für die bunten Blumen und hübschen kleinen japanischen Kirschbäumchen hatte er keinen Blick mehr. Es war aus. Zumindest würde er endlich mal in den Pavillon kommen, denn genau darauf steuerten sie zu. Samira hatte ihm nie erlaubt, dorthin zu gehen.

      Der Pavillon schien nichts Besonderes zu sein. Einfach weiß, mit einer Kuppel, in der eine runde Öffnung freigelassen worden war. Es gab komischerweise keine Sitzgelegenheiten, keine Bänke, Stühle oder Tische. Der Boden war gefliest. Luke wunderte sich. Warum hatte er hier nie hin gedurft?

      Das Rätsel löste sich schneller als gedacht: William band Luke an einem der Pfosten an wie ein Stück Vieh, dann bückte er sich und rollte den Fliesenboden einfach auf wie einen Teppich. Luke staunte. Die Fliesen sahen ziemlich echt aus, waren aber nur einfacher PVC Bodenbelag.

      Darunter kam festgestampfte Erde zum Vorschein. Und ein fünfzackiger Stern, den man in den Boden hineingeritzt hatte. Eher gegraben als geritzt, dachte Luke, denn die Linien waren mindestens zehn Zentimeter tief und so breit wie sein Oberarm.

      Es überraschte ihn nicht mehr sonderlich, dass der Stern an den Zacken einbetonierte Ösen aufwies, an denen dünne, aber sehr stark aussehende Ketten mit Handschellen befestigt worden waren. Der Stern war so groß, dass ein ausgewachsener Mann genau hineinpasste, wenn er mit ausgestreckten Armen und Beinen dort angekettet lag.

      Luke zerrte verzweifelt an dem Seil. Er wusste zwar nicht ganz genau, was Samira mit ihm vorhatte, aber er konnte es sich denken.

      William sah sich Lukes Kampf mit seinen Fesseln kurz an, dann zog er einen Elektroschocker aus seiner Hosentasche und schoss Luke ohne mit der Wimper zu zucken Tausende von Volt durch den Körper.

      Luke krümmte sich, Schmerzen jagten durch ihn und er fiel zu Boden. Er konnte sich nicht wehren und musste hilflos dulden, dass Samira und William ihn rasch und geschickt in das Pentagramm zogen und an die Ketten fesselten. Das Pentagramm war so sorgfältig gemacht worden, dass auch Lukes in die Mitte geschleifter Körper es nicht zerstörte.

      Er erholte sich nur langsam von der Attacke mit dem Elektroschocker. Er hob einen Arm und zog an der Kette; irgendein Stahl, der eine Menge aushielt. Man hätte wohl auch ein Kreuzfahrtschiff damit am Kai festmachen können.

      Luke und Samira standen indes ein paar Meter weiter und unterhielten sich. Eine Machtverschiebung war erkennbar, William wirkte jetzt entschieden weniger ehrerbietig, und Samira schämte sich offenbar ganz furchtbar.

      „Hey!“, brüllte Luke nun, „komm zurück, Samira! Heeeey! Du willst mich doch hier nicht liegen lassen, oder?“

      Samira ignorierte ihn und redete noch eine Weile mit William. Dann nickte sie ergeben und William wandte sich zum Gehen. Eine Frau in Schwarz kam und gab Samira mit einem abschätzigen Lachen den Wagenschlüssel. Dann warf sie einen angewiderten Blick auf den strampelnden Luke und schüttelte den Kopf.

      „Wie kann man nur mit so was das Bett teilen? Abscheulich!“

      „Er war sehr viel trainierter, als er zu mir k- “

      „Das meine ich nicht! Er ist so … so erbärmlich. Die Außenseiter taugen wahrlich nur für die eine Sache, und damit meine ich nicht diesen ekelhaften Sex! Lass ab von deinem Tun, Samira, und werde eine von uns! Als Verabscheute kannst du ein gutes Leben haben in Ryan’s Field, vielleicht darfst du sogar in Sharpurbie wohnen!“

      Samiras Gesicht nahm einen spöttischen Ausdruck an. Sie nahm der älteren Frau den Autoschlüssel ab und stopfte ihn in ihre Hosentasche.

      „Ich bin und bleibe eine Hexe, Lydia. Ich danke dir … Unsere Welten unterscheiden sich, aber trotzdem haben wir genug gemeinsam, um nebeneinander existieren zu können.“

      Lydia nickte. „Wir sehen uns beim großen Barbecue.“

      „Bis dann, Lydia.“

      Luke brach in Gelächter aus. Friedliche Koexistenz von Hexen und … ja, wovon noch? ‚Verschiedene Welten, trotzdem Gemeinsamkeiten’ … was war das, eine Ansprache vor den Vereinten Nationen? Es war einfach zu bizarr.

      „Was gibt’s da zu feixen, du Schwachkopf?“ Samira war unbemerkt näher gekommen und trat ihm wütend in die fleischige Wade. Sie mochte es gar nicht, wenn man sich über sie lustig machte.

      „Was hast du jetzt mit mir vor, Samira?“ Luke ging auf ihre Frage nicht ein. Sie würde ihn ja doch nicht verstehen. Sie und er waren es, die in unterschiedlichen Welten lebten. Nur Gemeinsamkeiten hatten sie nicht viele. Eigentlich nur im Bett, aber das war ja nun auch vorbei. Selbst wenn sie jetzt um der alten Zeiten willen noch mal aufgestiegen wäre, das Rodeo wäre ausgefallen. Schon der Gedanke ließ Luke noch mehr einschrumpfen.

      „Jetzt habe ich gar nichts mit dir vor, Luke. Du hast Glück und Pech zugleich.“ Luke musste schon wieder lachen.

      „Ach ja“, kicherte er, „wieso Glück? Das musst du mir erklären. Das mit dem Pech, das spar dir ruhig. Ist mir schon klar, inwiefern ich Pech habe.“

      „Das glaube ich nicht“, grinste sie. Es war das kälteste, fieseste Grinsen, das Luke je gesehen hatte. Selbst im Gefängnis, als Pedro einem Neuling befahl, die Seife aufzuheben, hatte der nicht dermaßen gemein gegrinst.

      „Okay, dann erklär mir mein Glück.“ Kraftlos ließ Luke den Kopf sinken und starrte durch die Öffnung im Dach in den herrlichen blauen Himmel. Er war nun unerreichbar für ihn. Nie wieder, wurde ihm klar, würde er den blauen Himmel wiedersehen. Das fröhliche Gezwitscher der Vögel im Wald, die bunten Blumen und die surrenden Bienen, all das war nah und trotzdem unerreichbar. Und so endlich.

      Und weit weg, irgendwo im Wald. Luke ging erst jetzt auf, dass er hier noch nie einen Vogel gesehen oder gehört hatte. Das Gleiche galt für Insekten oder überhaupt irgendwelche Tiere. Sie mieden


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