Dunkle Tiefen der Seele. Bärbel Junker

Dunkle Tiefen der Seele - Bärbel Junker


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von brutaler Menschenhand, erkannte Fred. Nur, was hatte das mit ihm zu tun?!

      Er versuchte zu sprechen, brachte aber nur ein unverständliches Krächzen hervor. Dafür begann sein mitleidloser Besucher zu reden. Doch vorher erhielt Fred einen Tritt in die Rippen, den er jedoch schon nicht mehr spürte. Er sah ihn zwar kommen, doch der Schmerz blieb aus; seine Gliedmaßen waren bereits abgestorben.

      Was für ein Gift hat mir der Verrückte verabreicht, überlegte er. Strychnin? Blausäure? Nein, Blausäure nicht; den Geruch hätte ich bemerkt. Also Strychnin? Nein, auch nicht. Die Symptome sind anders, und der Tod stellt sich schneller ein. Aber schließlich war das für ihn nicht mehr wichtig. Er starb so oder so. Was sagte der Mann gerade?

      „... und ich dachte noch: Geh zur Polizei. Schalte die Polizei ein. Ausgerechnet die Polizei! Du Perversling bist doch die Polizei! Mein Gott! Wie ich dich hasse!“, keuchte der Unbekannte und versetzte Fred noch einen Tritt. „Weißt du jetzt, weshalb ich gekommen bin?“, zischte er.

      „Nei...ein“, stöhnte Fred.

      „Aber jetzt?“, keuchte der Mann und riss sich den Schlapphut vom Kopf.

      „Wa...as? Wie...wieso?!“, stöhnte Fred.

      „Na? Begreifst du jetzt?“

      Fred versuchte zu sprechen, zu fragen, zu erklären, brachte jedoch nur ein einziges Wort hervor:

      „VERWECHSLUNG“

      Sein Mörder starrte ihn an.

      „VERWECHSLUNG!“, keuchte Fred entsetzt. Und in einer letzten Erkenntnis, bereits auf den Stufen ins Jenseits, schoss ihm ein Name durch den Kopf:

      PAUL! Mein Gott! PAUL!

      Sein durchtrainierter Körper bäumte sich auf. Ein letztes, gequältes Stöhnen. Dann Stille.

      Es war vorbei. Fred Kowalski war tot.

      Minutenlang starrte der Mörder auf den Toten zu seinen Füßen. Endlich hatte er sich gerächt! Drei Tage lang hatte er Fred Kowalski beobachtet und verfolgt; hatte nach einer Chance gesucht es ihm heimzuzahlen. Und es war ihm gelungen!

      Er starrte auf den Leichnam und ... fühlte nichts. Wo blieb der Triumph dieses Monster bestraft zu haben? Wo, das euphorische Gefühl der Genugtuung? Nur Leere. Absolute Leere.

      „Er hat den Tod verdient!“, rief der Mörder in die Stille des Raumes und zuckte vor dem Klang seiner eigenen Stimme erschrocken zurück. Hastig stülpte er sich den Hut über den Kopf und zog ihn tief ins Gesicht. Jetzt noch die Sonnenbrille! Er musste hier raus! Plötzlich bekam er keine Luft mehr. Die Stille des Raumes drohte ihn zu erdrücken. Er hastete aus dem Zimmer und öffnete vorsichtig die Wohnungstür. Er lauschte. Nichts! Im Treppenhaus hielt sich niemand auf. Geräuschlos zog er die Tür hinter sich zu und eilte die Treppe hinunter. Aufatmend trat er in den hellen Tag hinaus. Mit ruhigen Schritten ging er davon.

      DER ZWILLINGSBRUDER

      Kommissar Sven Sörensen starrte auf den vor ihm liegenden Bericht des Gerichtsmediziners. Das konnte doch nicht wahr sein! Wer sollte seinem Partner etwas so Entsetzliches antun? Und doch wurde da in nüchternen Worten der grausame Todeskampf seines besten Freundes beschrieben:

      Fred war durch Aconitin, dem Hauptalkaloid des “Aconitum napellus – auf Deutsch: „Blauer Eisenhut“ – aus der Familie der Hahnenfußgewächse, Ranunculaceae, getötet worden. „Eine äußerst seltene Tötungsart“, hatte der Polizeiarzt gesagt.

      „Wie schnell wirkt das Gift?“, hatte er gefragt.

      „Schnell. Sehr schnell“, war die Antwort des Mediziners gewesen.

      Auf die Frage, ob Fred hatte leiden müssen, hatte ihn der Arzt stumm angesehen und nach einer Weile leise gefragt: „Sind Sie sicher, dass Sie das wirklich wissen möchten? Er war doch Ihr Freund, oder?“

      „Ja, Doktor. Er war mein bester Freund und gerade deshalb muss ich es wissen. Ich muss alles wissen, und sei es noch so fürchterlich, nur dann kann ich seinen Mörder finden.“

      „Also gut. Dann also die Wahrheit und nichts als die Wahrheit“, hatte der Arzt geseufzt. „Ja, er hat gelitten. Da gibt es nichts zu beschönigen. Aconitin verursacht bereits wenige Minuten nach der Aufnahme folgende Symptome: Starkes Brennen im Mundbereich; Schweißausbrüche und Frösteln; dann Übelkeit, Erbrechen verbunden mit unerträglichem Kältegefühl. In der Endphase sterben die Gliedmaßen ab, die Atmung verlangsamt sich und nach etwa zwanzig Minuten tritt der Tod ein“, dozierte der Arzt, wobei er Svens entsetzten Blick mied.

      „Mein Gott“, hatte er kreidebleich gemurmelt und sich überstürzt verabschiedet. Er war zur Toilette geeilt und hatte sich fast die Seele aus dem Leib gewürgt. Und jetzt saß er hier, las immer wieder den sachlichen Bericht des Arztes und vermochte es doch nicht zu glauben.

      Er hatte seinen Freund gefunden. Hatte ihn mit gebrochenen Augen auf dem Teppich des Esszimmers liegend gefunden. Entsetzlich war es gewesen, so entsetzlich, dass der Anblick sich in allen grausamen Einzelheiten wie ein Foto in sein Gedächtnis gebrannt hatte. Er wurde es einfach nicht mehr los. Doch vielleicht würde es verblassen und durch ein schöneres aus glücklichen Tagen ersetzt werden, sobald Freds Mörder seine gerechte Strafe erhalten hatte. Jedenfalls hoffte er das aus tiefstem Herzen. Sven strich sein dichtes, dunkelblondes Haar aus der Stirn und seufzte.

      „Die Ergebnisse der Spurensicherung“, sagte sein Kollege Tom Curtis so dicht an seinem Ohr, dass er erschrocken herumfuhr und Curtis den Bericht aus der ausgestreckten Hand schlug. Eine Entschuldigung murmelnd raffte Sven hastig die einzelnen Blätter zusammen, während sein Kollege kopfschüttelnd davonstiefelte.

      Aber dessen Freund war Fred ja schließlich auch nicht gewesen, dachte Sven und begann zu lesen.

      „Verdammt, nichts Neues. Keine Spur. Nicht das winzigste Indiz. Einfach gar nichts“, murmelte er verzagt. Wer, zum Teufel, konnte auf die wahnsinnige Idee verfallen einen Mann wie Fred umzubringen? Einen Mann, der die Höflichkeit und Hilfsbereitschaft in Person gewesen war? Er konnte sich einfach kein Motiv für diese Tat vorstellen.

      GEWESEN! JA! GEWESEN!

      Die entsetzliche Wirklichkeit erglühte in Leuchtbuchstaben vor seinem inneren Auge.

      GEWESEN! AUS UND VORBEI!

      Nie wieder Freds warmes Lachen, seine Freundlichkeit und sein Verständnis. Svens Augen füllten sich mit bitteren Tränen. Gramerfüllt vergrub er das Gesicht in seinen bebenden Händen. Er litt schrecklich unter dem plötzlichen Verlust seines Freundes. Ihn bei einem Polizeieinsatz zu verlieren wäre schlimm genug gewesen, ihn jedoch unter diesen Umständen zu verlieren, machte ihn fix und fertig.

      Er rang um Fassung; und der Gedanke an das verweinte Gesicht von Freds Freundin half ihm dabei. Wie musste ihr erst zu Mute sein. Er hatte seinen besten Freund verloren, Karla jedoch ihren Lebenspartner nach kaum einem halben Jahr. Traurig dachte er an die wundervollen Abende, die er zusammen mit Fred und Karla verbracht hatte.

      Wie sehr hatte er seinen Freund heimlich um diese kluge und bezaubernde Frau beneidet. Jetzt schämte er sich dafür, obwohl kein schlechter Gedanke in ihm gewesen war. Nur Bewunderung und die Hoffnung, auch irgendwann einmal einer solchen Frau zu begegnen. Nach Freds Tod sei er ihr eine wichtige Stütze in ihrem Leid, hatte sie ihm weinend gestanden. Er war sehr glücklich über ihr Vertrauen. Er würde sie niemals enttäuschen!

      „Sven, du sollst zum Chef kommen“, drang die dunkle Stimme seines neuen Partners Phil Thomsen, einem langjährigen Freund von Fred und ihm, in seine Gedanken. „Alles in Ordnung?“, fragte Phil.

      „Danke, es geht schon“, murmelte Sven. „Was will der Alte von mir?“

      „Es geht wohl um den Mord an Fred.“

      Sven nickte und stand auf. Als er nach kurzem Anklopfen das geräumige Büro seines Chefs betrat, stach ihm sofort ein dicker


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