Dunkle Tiefen der Seele. Bärbel Junker
sie schon ´ne Weile tot, unter ihm gelegen hatte. Aber das war kein Problem gewesen. Die hatte er einfach abtransportiert und danach war er abgehau´n.
Aber die Kleine im Schlafzimmer, die war ein Problem. Da stellte sich echt die Frage: Wohin mit der Leiche und wie? Am besten schaff ich sie nachts weg, überlegte er. Wenn ich sie fest zusammenschnüre, müsste sie eigentlich in den klein´ Teppich passen.
Scheppernd schlug die Klingel an und riss ihn abrupt aus seinen Überlegungen. „Wer is´n das?“, murmelte Kowalski erschrocken und schlüpfte in seine Jeans. Hastig streifte er ein schmuddeliges T-Shirt über, schlich barfuß zur Wohnungstür. Durch den Spion beäugte er die beiden Männer. Er kannte sie nicht, also würde er einfach nicht öffnen. Er drehte sich auf dem Absatz herum und wollte zum Badezimmer zurückgehen, als er wie vom Donner gerührt stehen blieb.
„Herr Kowalski, wir sind von der Polizei. Bitte öffnen Sie. Wir wissen, dass Sie zu Hause sind“, verlangte eine energische Männerstimme.
„So´n Mist! Die Bull´n! Und ich hab ´ne Leiche im Schlafzimmer“, keuchte Kowalski entsetzt. Was sollte er tun, verdammt noch mal?! Und dann hatte er es.
„Moment, ich muss mir nur schnell was überzieh´n“, rief er auf nackten Sohlen zum Schlafzimmer eilend. Hastig warf er die schmuddelige Bettdecke über das tote Mädchen. Er unterdrückte seine Panik, atmete tief durch, ging zurück zur Haustür und legte die Sicherheitskette vor. Erst dann öffnete er. „Was gibt´s? Was woll´n Sie von mir?“, knurrte er unfreundlich durch den Spalt.
„Ich bin Kommissar Sörensen und das ist mein Kollege Inspektor Thomsen. Wir sind von der Mordkommission. Dürfen wir hereinkommen? Wir haben Ihnen eine Mitteilung zu machen“, sagte der Blonde namens Sörensen.
„Wenn´s unbedingt sein muss“, maulte Kowalski und löste die Sicherheitskette. „Aber ich hab nich´ viel Zeit.“
„Wir haben nur ein paar Fragen“, sagte Phil und trat in den Flur. Was ist das bloß für ein unangenehmer Geruch? dachte er angewidert und sah sich unauffällig um.
Paul Kowalskis Wohnung war so ungepflegt wie er selbst. Überall lag etwas herum, und in einer Ecke des schlampigen Wohnzimmers stapelten sich Bier- und Schnapsflaschen. Phil räumte einen Stapel übelster Pornohefte beiseite und setzte sich auf die äußerste Kante des fleckigen Sofas. Sven nahm neben ihm Platz. Kowalski ließ sich ihnen gegenüber in einen altersschwachen Sessel fallen und musterte sie unfreundlich. „Also, was woll´n Sie von mir?“, knurrte er gereizt.
Sven sah ihn an und konnte es kaum glauben. Dieses verkommene Subjekt sollte der Bruder seines besten Freundes sein? Zwar war die Ähnlichkeit verblüffend, aber alles Übrige...! Freds Gesicht war markant, während sein Bruders schwammig und verlebt aussah. Fred war kultiviert und gepflegt, war sehr belesen und hatte regelmäßig Sport getrieben.
Und dem gegenüber Paul Kowalski!
Von Kopf bis Fuß ungepflegt. Das Gesicht von vielfältigen Lastern gezeichnet. Absolut primitiv und ungebildet. Aber gefährlich! Das signalisierte sein unsteter, verschlagener Blick.
„Na, gefällt Ihnen was Sie seh´n?“, riss ihn Kowalskis spöttische Stimme aus seiner Betrachtung.
„Nein, absolut nicht. Aber es muss mir ja auch nicht gefallen“, erwiderte Sven kühl.
„Auch gut“, knurrte Kowalski aggressiv. „Also, was woll´n Sie?“
„Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Bruder getötet wurde“, sagte Sven leise.
Paul Kowalski starrte ihn ungläubig an. Es dauerte eine ganze Weile, bis diese Information zu seinen schwerfälligen Gehirnzellen durchgedrungen war. Aber als es endlich soweit war, fing er schallend an zu lachen. „Ich lach mich tot!“, brüllte er, sich vergnügt auf die feisten Schenkel schlagend. „Mein Bruder, der heilige Antonius der Ehrbaren, wurde ermordet! Wenn das nich´ der Witz des Tages is´, dann weiß ich nich´! Das is´ doch nich´ zu fassen, das halt ich nich´ aus!“, keuchte er.
„Ich habe nicht gesagt, dass Ihr Bruder ermordet wurde. Wie kommen Sie darauf?“, fragte Sven mit vor Abneigung vibrierender Stimme.
Paul Kowalski wischte sich mit einem dreckigen Lappen die Lachtränen aus dem Gesicht. „Na, Sie sind vielleicht ´n Schlauberger“, sagte er spöttisch. „Wenn die Mordkommission plötzlich bei mir auftaucht wird´s ja wohl um ´n Mord geh´n und nich´ um ´nen kleinen Ladendiebstahl, oder?“
„Wissen Sie, ob Ihr Bruder Feinde hatte?“, fragte Phil, ohne auf Kowalskis Ironie einzugehen.
„Ne, woher soll denn ich das wissen. Der Herr Saubermann wollte mit mir doch nichts zu tun ha´m. Ich war ihm nich´ fein genug. Aber einen Feind muss er ja wohl gehabt ha´m, sonst wär´ er ja wohl nich´ ausgeknipst worden. Wie is´ er denn überhaupt umgebracht worden, Inspektor?“, fragte Kowalski neugierig, jedoch ohne jegliche Anteilnahme.
„Er wurde vergiftet.“
„Vergiftet! Na, das is´ ja ´n Ding! Wer tut denn so was? Erschießen oder abstechen, aber vergiften?! Merkwürdige Art jemanden umzubring´“, meinte Kowalski kopfschüttelnd. „Ach, da fällt mir was ein: Erb´ ich jetzt Freds ganzen Kram? Schließlich bin ich ja sein einziger Bruder. Da muss doch was zu hol´n sein. Bestimmt hat er auch was auf der hohen Kante. Also, was meinen Sie?“ Mit gierig funkelnden Augen wartete er auf die Antwort.
Wahrscheinlich zählt er in Gedanken bereits das Geld, dachte Sven. Aber die Freude werde ich dir versalzen, du widerlicher Leichenfledderer! „Ich weiß nur, dass Fred Sie in seinem Testament nicht bedacht hat“, sagte er kalt.
„Mistkerl“, knurrte Kowalski böse und ließ offen, wen er damit meinte. „Dann eben nich´. War´s das oder woll´n Sie noch was wissen?“
„Nein, wir haben keine weiteren Fragen“, sagte Sven knapp und erhob sich gemeinsam mit Phil. Schweigend gingen sie an der Schlafzimmertür vorbei, nicht ahnend, dass dahinter der geschundene Körper einer ermordeten jungen Frau nach Vergeltung schrie. Mit einem knappen Kopfnicken verabschiedeten sie sich von Paul Kowalski, der die Wohnungstür hinter ihnen zuknallte.
„Was für ein Brechmittel“, schüttelte sich Phil. „Und diese Wohnung! Hast du auch diesen eigenartigen Geruch bemerkt?“
„Ja, aber ich will nicht darüber nachdenken, sonst kommt mir bestimmt mein Frühstück hoch.“
Schweigend gingen sie zu ihrem Wagen, stiegen ein und fuhren davon.
„Na endlich“, murmelte der ganz in Schwarz gekleidete Mann, der einen tief ins Gesicht gezogenen Schlapphut trug. Er trat aus dem Schatten einer Toreinfahrt, überquerte schnellen Schrittes die Straße und betrat das Haus, aus dem die beiden Kriminalbeamten gerade gekommen waren. Geräuschlos stieg er die Treppe hinauf. Vor Paul Kowalskis Tür blieb er stehen. Er griff in die Tasche seines Trenchcoats und nahm etwas heraus. Dann legte er seinen in feinem Leder steckenden Finger auf den Klingelknopf.
Kowalski, mit einer Dose Bier in der Hand, riss wütend die Tür auf und keifte: „Was´n nun noch? Jetzt hab ich aber langsam die Schnauze gestrichen voll von eurer blöden Fragerei. Mein Bruder is´ tot. Na und? Langsam weiß ich´s nun. Hau´n Sie ab, Mann! Lassen Sie mich endlich mit Ihrem blöden Gelaber in Ruhe oder ich ...!“ Er verstummte abrupt und starrte mit offenem Mund auf den Unbekannten. „Zum Teufel, wer ...?“
Ein dicker Strahl Tränengas schnitt ihm das Wort ab. Die Bierdose schepperte zu Boden. Kowalski presste wimmernd die Hände vor seine wie Feuer brennenden Augen und taumelte zurück in den Flur. Der Unbekannte setzte geschmeidig hinterher, holte aus, und schlug ihm ein kurzes Bleirohr über den Kopf. Kowalski stürzte wie ein gefällter Baum zu Boden.
Sein Besucher verlor keine Zeit. Er zog die Tür hinter sich zu und schleifte den Bewusstlosen vor Anstrengung stöhnend vor die Küchentür. Er stieß sie auf, zerrte den schweren Körper ins Zimmer und schloss die Tür. Hastig fesselte er die Hand- und Fußgelenke des Bewusstlosen mit Klebeband. Erschöpft sank er auf den einzigen Stuhl.
Er