Dunkle Tiefen der Seele. Bärbel Junker
auf seine gefesselten Hände. „Verdammt! Was is´n jetzt passiert“, knurrte er verwirrt und wälzte sich stöhnend auf die Seite. Sein Blick fiel auf ein Paar schwarze Stiefel, wanderten an den dazugehörigen, in schwarzen Jeans steckenden Beinen hinauf und blieb an dem tief ins Gesicht gezogenen Schlapphut und der großen Sonnenbrille hängen.
„Was soll ´n der Mist?! Wer, zum Teufel, sind Sie?“, knurrte er wütend an seinen Fesseln zerrend. Selbstverständlich ohne Erfolg.
Sein Besucher antwortete nicht. Schweigend holte er aus den unergründlichen Tiefen seiner Manteltaschen eine kleine Flasche hervor und schraubte den Verschluss ab. Dann stellte er die geöffnete Flasche vor sich auf den Tisch. Er stand auf und ging zum Kühlschrank.
Mit einer Dose Bier und einem Glas kam er zurück zum Tisch und setzte sich. Er gab aus dem Fläschchen einige Tropfen in das Glas und füllte mit Bier auf. Mit dem Glas in der Hand drehte er sich zu Kowalski um und sah ihn an.
„Was soll´n das werden, wenn´s fertig is´? Woll´n wir einen zusammen heben oder was soll das blödsinnige Theater?“, pöbelte Kowalski.
Sein Besucher antwortete nicht. Er ließ die kleine Flasche wieder in seiner Manteltasche verschwinden und holte eine kleine Plastikdose hervor, aus der er zwei lachsfarbene Wachskügelchen nahm. „Und nun werde ich dir sagen, was ich mit dir vorhabe“, sagte er ruhig.
Kowalski öffnete den Mund zu einer unflätigen Antwort.
„Ich warne dich“, sagte der Unbekannte eiskalt. „Noch ein einziges Wort und ich ziehe dir mit dem Bleirohr eins über, doch diesmal schlage ich richtig zu, verstanden?“
Wie viele Gewalttäter war auch Kowalski feige, sobald es um sein eigenes Wohl ging. Bloß keine Schmerzen! Die fügte er lieber anderen zu. Also nickte er hastig. Schließlich war er nicht blöde.
„Aber meine Chance wird kommen und dann wird sich dieses Weichei wünschen, nie geboren worden zu sein, dachte Kowalski. Der Typ will mir Angst einjagen, aber warum? Was will der von mir? Was hab ich dem Kerl getan? Will der mich wirklich umbring´? Nein! Dazu sind die meisten Menschen nich´ fähig. Ich kann das, aber ich stehe ja auch außerhalb der Norm, lebe nach meinen Vorstellungen und nich´ so wie diese Schwächlinge.
Ich droh´ nich´ wie die andern, sondern tu´, was ich sage. Die andern kneifen wenn´s darauf ankommt. Die zieh´n den Schwanz ein und hau´n ab wenn´s ernst wird. Schwächlinge! Alles Schwächlinge!“ Er konzentrierte sich auf die Worte des Mannes und grinste innerlich. Bluff! Alles nur Bluff! Und er ahnte nicht einmal wie sehr er sich irrte.
„Na, Kowalski, zurück von Ihrem gedanklichen Trip? Haben Sie einen Fluchtplan ersonnen? Nein? Es würde Ihnen auch nichts nützen, denn Sie sterben hier und jetzt“, erklang die zwar kultivierte, jedoch irgendwie seltsame Stimme des Unbekannten. Leise zischend, kaum den Tonfall haltend, plätscherte sie beängstigend in ihrer Monotonie durch den Raum. Und doch kam sie ihm irgendwie bekannt vor. Wo hatte er diese Stimme gehört? Er strengte seine kümmerlichen grauen Gehirnzellen an, jedoch ohne Erfolg.
„Sie sterben an mit Bier vermischtem Aconitin, dem Gift des Blauen Eisenhuts“, dozierte der Unbekannte. „Sie kennen es nicht, aber Sie werden es spüren.“
Bluff! dachte Kowalski abfällig. Alles nur billiger Bluff! Aber er konnte nicht verhindern, dass ihn ein Gefühl der Angst beschlich. Und wenn der Kerl seine Drohung ernst meinte? Unsinn! So was brachten diese so genannten kultivierten Leute nich´ fertig. Dazu musste man veranlagt sein und Mumm haben.
“Oder durch eine schreckliche Erfahrung dazu gebracht werden“, wisperte eine kleine, unangenehme Stimme in seinem Kopf.
„Eine Aconitin-Vergiftung ist ...“
„Ach, halts Maul, du blöder Scheißer“, unterbrach Kowalski den Schwarzgekleideten rüde. „Du spinnst doch. Du jagst mir keine Angst ein. Ich glaub dir kein Wort. Wenn du mich umbring´ willst, dann tu´s, aber verschone mich mit deinem blödsinnigen Gelaber. Wenn du mich wirklich umbringst, dann bist du ´n Mörder und wirst von den Bullen eingelocht. Aber du bringst mich nich´ um, dafür hast du einfach nich´ das Format“, sagte Kowalski höhnisch.
„So, meinst du. Und wer hat wohl deinen Bruder getötet?“
„Meinen Bruder? Wieso?! Was, zum Teufel, soll das dämliche Gequatsche? Was geht dich ...“, er verstummte so abrupt, als hätte ihm jemand die Stimmbänder gekappt. Entsetzt starrte er den Unbekannten an. Plötzliche Angst überfiel ihn mit brachialer Gewalt. Angst vor diesem Fremden, der ihn so kalt und mitleidlos fixierte, als sei er ein ekliges Insekt, das in der nächsten Sekunde als breiiger Fleck unter seiner Stiefelsohle enden würde.
„Du ha...hast Fred vergiftet?“, stotterte er entsetzt. „Aber warum?!“, quetschte er mühsam heraus und … begriff im selben Moment.
„VERWECHSELT!
Du hast ihn mit mir verwechselt, stimmt´s?“, krächzte er. Schlagartig wurde ihm klar, dass er sich geirrt hatte. Sein Besucher bluffte nicht! Und wenn ihm nicht augenblicklich etwas zu seiner Rettung einfiel, war er in wenigen Minuten so tot wie die Kleine im Schlafzimmer nebenan. „Aber ich hab Ihnen doch nix getan“, krächzte Kowalski. „Warum woll´n Sie mich umbring´?“
Der Mann starrte ihn an. „In den letzten Sekunden deines gewalttätigen Lebens wirst du es erfahren“, sagte der Fremde kalt.
„Gnade!“, wimmerte Kowalski. „Ich will nich´ sterben.“
„Das wollten deine bedauernswerten Opfer auch nicht, also erspare mir das Gewinsel, es widert mich an!“
Trotz seiner geistigen Armut erkannte Kowalski die Endgültigkeit in dieser Antwort, die keinerlei Gnade in sich barg. Und warum auch! Sein erbarmungsloser Besucher hatte ja bereits getötet. War durch einen schrecklichen Irrtum zum Mörder eines Unschuldigen geworden. Weshalb sollte er dann ausgerechnet ihn verschonen, den er als Schuldigen sah? Todesangst überwältigte ihn und ließ ihn verzweifelt an seinen Fesseln zerren. Doch das Klebeband gab keinen einzigen Millimeter nach.
Der Fremde hatte das Wechselspiel der Gefühle, welches sich im Gesicht seines Opfers widerspiegelte, ungerührt beobachtet. Seine Mundwinkel verzogen sich für den Bruchteil einer Sekunde zu einem winzigen Lächeln, welches die kalten wie Glasmurmeln wirkenden Augen jedoch nicht erreichte.
„Ja, Kowalski, du wirst so sterben, wie du es verdienst. Langsam und sehr, sehr qualvoll!“, zischte er.
Da begann der ach, so starke Mann zu wimmern und zu flehen. Vergebens! Seine Skrupellosigkeit, seine Gewalttätigkeit und seine Menschenverachtung waren ihm zum Verhängnis geworden, hatten ihn eingeholt und besiegelten nun sein Geschick.
TOD! TOD! TOD,
befanden die unsichtbaren Geschworenen mit den lebenswichtigen Namen. Namen, die in Kowalskis Leben keinen Platz hatten. Namen wie: Liebe und Gnade; Ethik und Moral; Achtung vor dem Leben; und Demut vor der Seele alles Sterblichen. Von Kowalski verachtete und verspottete Begriffe die hier und jetzt ihr Recht einforderten.
Der Mann nahm das Glas und stand auf. Langsam ging er zu Kowalski, der ihn aus blutunterlaufenen Augen anstarrte.
„Hau ab, du verdammter Mistkerl! Glaub´ man ja nich´, dass ich das Dreckszeug trink´“, geiferte er mit sich vor Angst überschlagender Stimme. Verzweifelt versuchte er seinen schweren Körper wegzurollen. Ein völlig sinnloses Unterfangen.
„Du wirst es trinken, das kannst du mir glauben.“ Der Mann stellte das Glas zurück auf den Tisch und nahm die beiden Wachskügelchen in die Hand.
Und Kowalski begriff! Ein Sadist wie er begriff nur allzu schnell, wenn es sich um eine Gemeinheit handelte. Er bäumte sich in seinen Fesseln auf, konnte jedoch nicht verhindern, dass ihm der Mann die beiden Wachskugeln in die Nasenlöcher schob. Dann ging er zurück zum Tisch. Mit dem Glas in der Hand kehrte er zu seinem Opfer zurück.
Kowalski starrte zu ihm hoch. Und dann brachen Angst und Verzweiflung, Wut und Hass in wüsten Beschimpfungen wie ein