Das Friedrich-Lied - 1. Buch. Henning Isenberg
Petri ein. Dann werden wir die Kräfte des Papstes hier binden. Das kann ich dir anbieten.”
„
Otto, mit Verlaub, das hilft uns jetzt wenig. Die Franzosen werden uns überrollen und auslöschen. Sie morden wie die Bestien. Sie lassen keinen am Leben.“
„
Raimund, deine Leute können in meine Lande kommen und sie werden dort sicher sein. Mit Kriegserklärungen an den Papst oder Philip Auguste und Truppen kann ich derzeit nicht dienen. Meine Position ist noch nicht in der Weise gefestigt, dass ich gegen die Franzosen ziehen kann. Was würdest du an meiner Stelle tun?“
„
Du könntest wenigsten die Ordensritter zu unserem Schutz bestellen.“
„
Die Ordensritter? Unwahrscheinlich! Eher Söldner. Aber ich werde mit Salza darüber sprechen. Er ist vor zehn Tagen angekommen. Vielleicht weiß er einen Weg. Es tut mir leid, dass ich dir kein besseres Angebot machen kann. Ich wünsche Euch Glück, Raimund.“
In den nächsten Tagen war die Burg, obwohl voll besetzt, wie ausgestorben. Kaum etwas regte sich auf den Zinnen, selbst die Luft schien still zu stehen, obwohl es Frühling war. Die Stille machte das Warten auf Nachricht zu einem zermürbenden Ringen mit der Zeit. Auch war das Heer bisher wenig beansprucht. Das Warten verschlechterte die Stimmung im Lager. Die Männer drangen auf Informationen und Waffentaten.
Die Abendsonne wärmte Friedrichs Gesicht, als er zur Unterburg der Feste San Minato del Tedesco hinaufstieg. Er besuchte die Nachtmesse. Dazu musste er in die Kapelle der Feste. Der Zugang zur Burg sowie die Teilnahme an der Messe war dem Adel erlaubt, während das Heer unter freiem Himmel Andacht halten musste. In letzter Zeit nahm er des Öfteren an den Messen in der Burg teil. Ebenso gut hätte er an den Messen im Lager teilnehmen können, doch erhoffte er sich, etwas über die geheimnisvollen Besucher zu erfahren. Als er in einer der Kirchenbänke Platz genommen hatte, sah er weiter vorne einen der fremden Reiter in die Andacht vertieft. Friedrich konnte der Messe kaum folgen. Aufmerksam beobachtete er den Fremdling, dessen schulterlanges Haar von einem Reif gehalten wurde. Er musste etwa im Alter des Kaisers sein und war größer als dieser. Seine Haut war sonnengebräunt, wahrscheinlich von der langen Reise. Doch darunter verbarg sich eine edle Blässe.
Als die Messe vorüber war, zog die Gemeinschaft der Reihe nach aus dem Gotteshaus aus. Zuerst hohe Fürsten oder Berater des Kaisers wie Eberhard von Lautern oder Berenger von Schümpf, dann die Geistlichkeit, die ritterlichen Grafen, dann die Ritter und zuletzt die Edelknappen. Friedrich blieb in seiner Bank stehen, während die Besucher die Kirche verließen. Auch der Fremde ließ allen den Vortritt und ging erst mit den Knappen nach draußen. Als der Fremde passierte, kreuzten sich kurz ihre Blicke. Freundlich und ruhig, so wie er es bei noch keinem anderen Menschen gesehen hatte, lächelte dieser Friedrich zu, bevor er den Blick wieder dem Ausgang zuwandte. Friedrich fühlte sich von der Begegnung wie angezogen. Er folgte dem Fremden ans Licht der nahenden Dämmerung. „Herr“, rief er, „Herr.“ Der Fremde blieb weder stehen, noch drehte er sich um. Friedrich lief ihm nach und berührte ihn am Ärmel, woraufhin er die Hand scheu und fast erschreckt, ob seiner Kühnheit, zurückzog, „Herr.“ Der Mann blieb stehen und schaute ihn offen, jedoch ohne einen Ausdruck, aus dem er etwas hätte herauslesen können, an. „Ja“, sagte er, „was kann ich für Euch tun?“
Friedrich stand verdutzt da, er wusste kaum, warum er dem Fremdling nach gelaufen war. Er musste etwas sagten. Seine Wangen röteten sich.
„
Ihr wart in der Kirche?!“
„
Ja, wie ihr auch. Ich habe Euch gesehen. Warum sollte ich nicht in die Kirche gehen?“
„
Ja, aber…“, Friedrich errötete noch mehr. Er schämte sich dafür, dass er den Fremden als Sonderling gebrandmarkt hatte, obwohl er gar nichts über ihn wusste. Scheinbar konnte für Friedrich niemand, der so besonders war, ein gläubiger Christ sein.
„
Es heißt, … es heißt“, stammelte er, „dass die Menschen in Euerem Land Abtrünnige sind.“
„
Sind sie das?!“, erwiderte der Mann ohne eine Wertung in der Stimme.
„
Ich weiß es nicht, Herr. Deshalb frage ich.“
„
Wir haben Kirchen, wie ihr. Wir haben Mönche wie ihr. Ich gehe in eueren Gottesdienst.“
Der Mann war nicht sehr gesprächig. Es war wohl ein Fehler, ihn angesprochen zu haben. Friedrich überlegt, wie er aus dieser Situation herauskam. Zum Glück begann der andere zu sprechen.
„
Kann ich Euch sonst noch eine Frage beantworten, junger Herr.“
„
Nein, nein, habt Dank, edler Herr.“
Friedrich verbeugte sich und wollte sich zum Gehen abwenden.
„
Wie ist euer Name, Armiger?“
Friedrich erstarrte. Wollte der Fremde ihn beim Hofkanzler, Konrad von Scharfenberg, melden?!
„
Friedrich, Friedrich von Altena.“
„
Dann setzt Euch einen Moment lang zu mir.“
Der Fremdling bot Friedrich mit einer einfachen Geste, einen Platz auf einer steinernen Bank im Mauerwerk des Wehrs an. Friedrich setzte sich zögerlich und scheu. Doch der Anblick der im roten Abendlicht versinkenden Campagna, rief in ihm ein Gefühl der Zustimmung und des Vertrauens mit allem, was geschehen konnte, hervor.
„
Ich bin Raimund von Toulouse“, sagte der fremde Ritter. Friedrich fiel ein Stein vom Herzen.
„
Überwindet Euere Angst vor dem, was Ihr glaubt, was größer ist als Ihr, Friedrich von Altena. Aber ich bin zuversichtlich, denn Ihr habt einen offenen Geist. Allerdings weiß der noch nicht so recht, wonach er suchen soll.“
„
Worin, Herr, kann denn die Antwort liegen?“
„
Im Languedoc sprechen wir ein Gebet. Es lautet so: Komm, komm …wer immer du bist, Wanderer, Sucher nach der ewigen Heimat, du, der du zauderst und die Flucht liebst, es spielt keine Rolle! Dies ist keine Karawane der Verzweiflung. Komm, auch wenn du deinen Schwur tausendfach gebrochen hast. Komm, komm, noch einmal, komm!“
Rainald schwieg als er geendet hatte, schaute in die staubige Dämmerung und atmete tief durch.
Friedrich fühlte sich hilflos. „…und… und, was sagen mir die Worte, Herr?“
„
Es ist ein Gebet der immer wieder erneuerbaren Vergebung, statt der Verurteilung und Freisprechung. Es ist ein Gebet der Annahme und Vergebung gegenüber jedem und sich selbst. Es ist die Überwindung des Dualen. Es ist der Weg zum All-Einen.“
„
Heißt es bei Euch nicht, dass Ihr den Körper überwinden müsst, damit Ihr frei werdet?“
„
Ihr sprecht den größten Vorwurf, der uns gemacht wird, an. Es heißt, wir würden diese Welt verdammen. Dabei sterben wir alle und unsere Körper werden zu Staub. Wir bereiten uns auf das körperliche Sterben in dieser grausamen Welt vor und predigen, dass der Geist frei wird und weiter lebt, bis er in einem neuen Körper wiedergeboren wird und sich durch alle Körper arbeitet, bis auch die letzte Wiedergeburt vollendet ist. An deren Ende gibt es für den Geist nichts mehr zu tun. Dann ist er vollkommen frei. Daher braucht kein lebendes Wesen, Angst vor dem Tod zu haben, denn sein Geist ist göttlich und ewiglich.