Broken Bones. Andrea Appelfelder
„So ein Mist! Wieso machen mich Worte mehr fertig als körperlicher Schmerz.“
Tom, der sich eigentlich mit den anderen in die Stadt geschlichen hatte, um dort seinen Spaß ohne die Spielverderbern vom Vatikan zu haben, hörte in der Dunkelheit nur ein leises Wimmern.
Er fragte sich, ob er es sich in seinem etwas angetrunkenen Zustand nur eingebildet hatte, doch dann vernahm er es erneut. Diesmal machte er sich so seine Gedanken, wer wohl so mies drauf war, dass er allein vor sich hinweinte.
Nachdem er den Ursprung des Geräusches gefunden hatte, machte er sich auf den Weg dorthin. Er sprang ohne Anstrengungen auf den Balkon des trauernden Vampirs.
Angel bemerkte ihn und wandte sich von ihm ab. Er versuchte mit einem Lachen seine Tränen zu verbergen. „Na, hattest du keine Lust mehr dich zu amüsieren. Ich nehme euch das übrigens krumm, dass ihr mich heute im Stich gelassen habt.“
Tomoyuki wollte seinen Freund nicht bloßstellen und tat unwissend.
„Aber du warst doch nicht allein, Mike war doch bei dir.“
Angel, der plötzlich nicht mehr wusste, wieso er überhaupt geweint hatte, antwortete gefasster als zuvor: „Der ist dann auch, allerdings erst später am Abend, verschwunden.“
Tom wollte aber nun doch wissen was in dem anderen Vampir vorging.
„Was ist passiert, du siehst echt fertig aus. Hat jemand etwas Hässliches zu dir gesagt, oder hat dir jemand wehgetan?“
Der Junge schüttelte den Kopf, ihm war das Thema sichtlich unangenehm, er wollte eigentlich nicht antworten, aber er wusste, dass das nichts helfen würde, Tom würde doch nicht locker lassen.
„Wieso interessiert dich das, du bist zwar schon seit 80 Jahren bei uns, aber grundlegend müsstest du mich doch abgrundtief hassen. Ich habe versucht dich zu töten und habe darüber hinaus noch dein gesamtes Leben zerstört.“
Tom stützte sich mit den Armen auf die Brüstung des Balkons und blickte nachdenklich in den Himmel.
„Du hast vielleicht versucht mich umzubringen, aber wie ich damals drauf war, habe ich das förmlich provoziert. Vielleicht hatte ich den Tod sogar verdient und das du mein Leben zerstört hast, stimmt auch nicht. Ich war damals allein und völlig verstört.“
Tomoyuki lächelte seinen Freund sanft an.
„Ich bereue nichts von dem, was passiert ist. Mich mit euch anzufreunden war das Beste, was mir passieren konnte.“
Angel drehte sich verwundert, aber immer noch mit Tränen in den Augen, zu ihm um.
„Ich verstehe das nicht, ich, ich habe dir in Nagasaki soviel Leid angetan und du bist mir praktisch noch dankbar dafür?“
Tom trat zu ihm und streichelte ihm zaghaft über den Kopf.
„Manchmal merkt man wirklich, dass du noch ein Kind bist. Du hast Schuldgefühle für etwas was nicht sein muss.“
Angel schrak zurück als er die fremde Hand auf seinem Kopf spürte. „Lass das und geh in dein Zimmer, ich will allein sein.“
Der weißhaarige Vampir, der sich seine langen Haare zu einem geflochtenen Zopf gebunden hatte, machte nicht die Anstalten, auf ihn zu hören und zu gehen.
„Ich erinnere mich gerne an die Zeit von vor über 80 Jahren zurück. Damals bist du wegen eines übernatürlichen Killers in die Stadt Nagasaki gekommen. Ich zog bis dato von einem Ende Japans zum anderen, immer auf der Suche nach etwas, was ich selbst nicht kannte, glaube ich, aber dann stand so ein kleiner Vampir mit eisblauen Augen vor mir. Obwohl er sehr viel jünger war als ich, schaffte er es locker, mich nach einem kleinen Handgemenge zu Boden zu schicken. Er zog dann sein Schwert und versuchte mir den Kopf abzuschlagen. Er hatte meinen Hals mit seiner langen schwarzen Klinge schon angekratzt, hielt dann aber inne, weil er merkte, dass ich nicht der Mörder war, nach dem er suchte. Er ließ mich einfach, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, zurück.“
Der Junge mit der Tätowierung auf der Wange und den goldenen Augen, sah Angel weiter an.
„Ich habe mich nie für die Gemeinheiten, die ich dir damals an den Kopf geworfen habe, entschuldigt. Ich habe die Menschen gehasst und hasse sie vielleicht auch heute noch. Ich war zwar früher nicht der Killer, den du gesucht hast, aber ich bin auch kein Kirchenknabe gewesen. Nachdem mich einer von Kaiser Akihitos Getreuen verwandelte und mich dann nach nur einem Tag völlig auf mich gestellt zurückließ, weil es ihm nicht gelang mich so zu manipulieren wie er wollte, war ich völlig überfordert mit dem was jetzt aus mir geworden war. Niemand sagte mir, wie ich überleben soll und was mit mir passiert war. Ich war wie ein Kind, verängstigt und allein. Erst versuchte ich mir selbst Schaden zu zufügen und habe mir diese Tätowierung in mein Gesicht einritzen lassen. Komischerweise ist diese Wunde, dann aber nicht mehr verschwunden, aber bei dir ist es genauso, deine Tätowierungen verheilen auch nicht mehr. Normalerweise verheilen ja all unsere Verletzungen. Nachdem diese Verstümmlung mir schließlich keine Erleichterung verschaffte, richtete sich mein ganzer Hass nur noch gegen die Menschen. Ich tötete bestimmt hunderte von ihnen und dafür wiederum hassten und jagten sie mich.“
Angel hatte sich vollständig beruhigt, dass was ihm sein Freund erzählte, war wichtiger als diese fremde Frau. Nach so vielen Jahren sprach er endlich einmal über seine Gefühle.
„Davon hast du mir noch nie erzählst. Du bist genauso selbstzerstörerisch wie ich. Nein, sogar noch mehr als ich, aber was ich mich bis heute frage ist der Aspekt, warum du dann mit mir gekommen bist.“
Tom hatte sich mittlerweile auf dem Boden des Balkons niedergelassenen.
„Ich bin mit dir gekommen, weil du der Erste und der Einzige warst, der mich in meine Schranken verwiesen hat. Du kamst nachdem du den wahren Killer erledigt hattest, noch einmal zu mir zurück. Du hast dann versucht, mich zu überreden mit dir zu gehen, aber ich war einfach zu sehr von meinen Überzeugungen geblendet. Ich griff dich an und versuchte dich mit meiner Peitsche, welche ich mir extra für diese Revanche besorgt hatte, zu töten. Es gelang mir sogar, dich einige Male zu treffen. Mit der Eisenspitze brachte ich dir tiefe Wunden in deinem schönen Gesicht bei. Aber dir gelang es trotzdem mich zu überwältigen. Du hast mir dann meine schönen langen Haare mit deinem Samuraischwert, welches du von deinem Meister hast, abgeschlagen. Davon war ich so beeindruckt, dass ich dir endlich zugehört habe. Ich war verdammt beeindruckt von dir. Also ich glaube, dass ich dir dann überallhin gefolgt wäre, selbst wenn es bis in die Hölle selbst gewesen wäre.“
Angel war beeindruckt, aber der Gedanke gefiel ihm irgendwie nicht und er lief an seinem Freund vorbei.
„Sage nicht so etwas, du Idiot und bezeichne diesen Mann von dem ich das Schwert habe, nie wieder als meinen Meister. Auch wenn ich dich genauso gerne habe wie du mich, muss ich dich jetzt doch bitten zu gehen.“
Tomoyuki zögerte: „Ja ich gehe, aber versprich mir, dass du dich nicht mehr so gehen lässt.“
Sein Gegenüber nickte etwas zögerlich und Tom sprang den Balkon wieder hinunter.
Angel sah ihm noch einmal kurz nach, bevor er in das Innere seines Zimmers zurückging: „Kann der nicht mal jetzt die Tür nehmen. Oh Mann! So gerne ich ihn auch habe, manchmal werde ich nicht schlau aus ihm.“
Kapitel 6
Es war ein schöner, aber noch etwas frischer Morgen, gerade erst sieben Uhr und wie an jedem Tag, an dem er nicht seiner Arbeit als Jäger nachgehen musste, war Angel außerhalb seiner Heimatstätte unterwegs.
Er trug eine bequeme, schwarze Jogginghose und einen weisen Kapuzenpulli mit einer schwarzen Aufschrift „ANGELO“ (Engel) und schwarzen Flügeln links und rechts von der Engelsbekundigung, auf dem Rücken.
Der Vampir mit den kurzen schwarzen Haaren hatte sich die Kapuze bis tief ins Gesicht gezogen und rannte in einem ihm angenehmen Tempo, aber trotzdem noch zu schnell für einen normalen Menschen, durch die Stadt.
Laufen