Verfluchtes Erbe Gesamtausgabe. T.D. Amrein
lebte, sein ganzes Vermögen vermachen, wenn er wollte.
Dafür durfte er volle Diskretion verlangen und auch mit den Steuern sollte eine gute Lösung möglich sein. Die würden ihm kaum unangenehme Fragen stellen. Denn er konnte ja jederzeit umziehen.
Und wenn das nicht klappen sollte, kann ich immer noch in die Schweiz gehen, dachte er. Dort konnte man sich in einer Gemeinde leicht einkaufen, das wusste er sicher. Vorerst stand dies jedoch höchstens als Druckmittel im Raum.
Sein Ziel lag in Deutschland. Hier kannte er bestimmte Orte, aus denen er einen auswählen wollte.
Am Anfang des Krieges hatte es auch zu seinen Aufgaben gehört, Bauplätze für Privatbunker zu suchen. In denen hohe Parteimitglieder ihre Familien unterbringen konnten, falls der Feind einmal Luftangriffe auf deutschem Gebiet fliegen sollte. Dabei handelte es sich zu dieser Zeit natürlich nur um Planspiele gelangweilter Herrenmenschen. Wie wichtig musste eine Person sein, der das Reich einen eigenen Luftschutzraum zubilligte. In ruhigen Gegenden, so wie der Berghof des Führers.
Dass die Wege zu den Bunkern viel zu weit und eine adäquate Versorgung kaum möglich war, zeigte sich erst, als die Bomben tatsächlich fielen.
Der größte Teil dieser Räume wurde nie gebraucht. Und ein beträchtlicher Teil vermutlich auch nie entdeckt. Oft lagen die Eingänge unter einem unscheinbaren Schachtdeckel, der schon im nächsten Herbst unter gefallenem Laub verschwand.
Dornbach hatte sich eine Liste ausgedacht. Standorte, die in Frage kamen und die er in der nächsten Zeit aufsuchen wollte.
Alle diese Bunker, denen sein Interesse galt, lagen an einsamen Stellen. Jedoch nie sehr weit von einem Weiler oder einem kleinen Dorf entfernt. Wenn er ein Haus an einem solchen Platz kaufen konnte, hätte er ein sicheres Versteck für den Notfall gleichsam umsonst dabei.
Zuerst musste er sich jedoch einen Mietwagen besorgen. Ohne festen Wohnsitz die einzige Möglichkeit, ein eigenes Fahrzeug zu führen. Dann konnte er mit der Suche beginnen.
***
Erich Merz wohnte seit gut zwei Wochen im Hotel, in dem er sich vor der Welt vergraben hatte. Er hatte das Zimmer kaum verlassen. Die ganze Zeit zu viel getrunken und sogar das Rauchen angefangen.
Langsam dämmerte ihm, dass er auf diese Weise nicht weitermachen konnte. Ich sollte nach Hause fahren, dachte er immer wieder. Aber er schob es jedes Mal auf den nächsten oder übernächsten Tag.
Genauso oft überlegte er, wie er die Krise aus eigener Kraft überwinden könnte. Stets endeten die ersten paar positiven Gedanken in der gleichen Schlaufe. Ich brauche eine Aufgabe. Etwas das ich gerne tue, wovon ich am Abend müde bin. Wie oft hatte er sich vorgestellt, wie schön das Leben sein würde, wenn er einmal nicht mehr arbeiten musste. Dann konnte er machen, was er wollte.
Und jetzt, wo es so weit war, kam er sich völlig nutzlos vor. Das Nichtstun ging ihm an die Nieren, ließ sich kaum Aushalten. Er konnte nicht aufhören, zu grübeln. Was wäre passiert, wenn er nicht gesucht hätte? Wahrscheinlich gar nichts. Nur alle noch am Leben. Das einzige Ergebnis meiner ausgezeichnet vorbereiteten, superteuren Recherchen, die für Gerechtigkeit sorgen sollten: Tote. Und es geht nicht nur um Fritz und Mendel.
Dornbach ist vermutlich nur wegen mir abgetaucht. Damit bin ich auch am Tod seiner gesamten Mannschaft schuld. Das fand Merz dann doch zu viel, deshalb versuchte er, diesen Gedanken von sich zu schieben.
Aber in seinem Innern fraß sich Stück für Stück die Gewissheit ein, dass es genauso gewesen war.
Das nahm ihm die Lebenskraft, die er jetzt dringend gebraucht hätte.
Nur die Jagd nach Dornbach hielt ihn noch am Leben. Er spielte mit dem Gedanken, ein Ende zu machen. Aber nicht bevor Dornbach hinter Gittern sitzt. Oder noch besser, tatsächlich tot ist, dachte er grimmig.
Hatte der Kommissar doch Recht? Er brauchte einen Psychiater.
Schlimm fand Merz auch, dass er mit niemandem über seine Sorgen sprechen konnte. Wem sollte er sich anvertrauen. Er wusste keinen Ausweg. Also trank er noch mehr, um alles zu vergessen.
***
Am nächsten Morgen fand ihn ein Zimmermädchen leblos auf dem Boden liegend. Der Notarzt stellte eine massive Alkoholvergiftung fest.
Merz wurde in eine Klinik gefahren, wo er schließlich wieder zu sich kam. „Wo bin ich?“, fragte er die Schwester, die sich über ihn beugte.
„Im Krankenhaus“, antwortete sie. „Wir mussten Ihren Magen auspumpen, Sie hatten viel zu viel getrunken.“
Merz versuchte, sich zu erinnern. Aber ihm fehlte ein großes Stück. Er war in ein Hotel gezogen. Danach verschwamm die Erinnerung. Was er dort und wie lange gemacht hatte, davon wusste er fast nichts mehr.
Er hatte einen furchtbaren Geschmack im Mund. Alle Glieder wogen schwer. Er fühlte sich schwach.
„Kann ich was trinken?“, bat er die Schwester.
„Ja, aber wir haben hier nur Tee. Etwas anderes ist auch nicht ideal für Sie.“
Merz war noch zu belämmert, um die Antwort richtig zu verstehen. Dass sie ihn für einen Alkoholiker hielt, darauf wäre er nie gekommen. Gierig trank er den braunen Tee, der kaum Zucker enthielt. Egal wie fade das Zeug schmeckte, Hauptsache, in seinem Mund veränderte es das Aroma.
Langsam begann sein Gehirn wieder zu arbeiten. „Wie lange bin ich schon hier?“, fragte er.
„Seit gestern“, antwortete die Schwester. „Wir haben Ihre Frau verständigt. Sie muss jeden Moment hier eintreffen.“ Merz freute sich überhaupt nicht über den Bescheid. Was um alles in der Welt, sollte er ihr sagen?
Sie dachte doch, dass er in Norwegen angelte. Und jetzt lag er in Frankfurt in einem Spital, als Folge von zu viel Alkohol. Krampfhaft begann er zu überlegen, was er als Erklärung verwenden wollte. Aber dazu war es schon zu spät. Die Tür zu seinem Krankenzimmer quietschte leise, die atemlose Cécile hastete an sein Bett. „Du bist wach, Gott sei Dank! Sie haben mir so Angst gemacht. Du wirst vielleicht nie mehr aufwachen, haben sie mir gesagt!“
Sie begann zu weinen. Merz schämte sich, er konnte überhaupt nichts sagen. Stattdessen nahm er sie in den Arm und streichelte mit der Hand über ihr Haar.
Cécile war vollkommen überwältigt von ihren Gefühlen. Deshalb stellte sie keine Fragen.
Erst nach einigen Minuten konnte sie wieder sprechen. „Ich wusste, dass mit dir etwas nicht stimmt. Seit Opa gestorben ist, machst du dir dein Leben schwer. Warum sagst du niemandem, was dich bedrückt?
Dass du mit Trinken angefangen hast, habe ich nicht einmal gemerkt. Ich war so beschäftigt, dass ich dich völlig vernachlässigt habe. Damit ist jetzt Schluss. Wir werden viel mehr Zeit zusammen verbringen, dann wird alles besser.“
Inzwischen war auch ein Arzt erschienen. Mit ernster Miene tastete er nach Puls von Merz. „Wie fühlen Sie sich?“, fragte er schließlich.
„Etwas müde“, antwortete Merz.
Wie viel trinken Sie normalerweise pro Tag?“
Merz wurde langsam sauer. Alle hielten ihn hier offenbar für einen Säufer. „Ich trinke eigentlich überhaupt nicht!“, verteidigte er sich.
Der Arzt zog die Brauen hoch. „Sie müssen ehrlich sein. Sonst können wir Ihnen nicht helfen!“
Das war zu viel für Merz. Er fuhr hoch, um den Arzt am Kragen zu packen.
Ein starker Schwindel ließ ihn gleich wieder in die Kissen zurücksinken. Dann besann er sich. In kurzen Worten schilderte er, was er in Norwegen erlebt hatte. Die Leiche im Wasser. Die Träume davon. Das wollte er mit Alkohol aus seinem Kopf vertreiben.
Der Arzt empfahl ihm eine psychologisch unterstützte Entwöhnungstherapie. Er würde noch ein bis zwei Tage hierbleiben müssen. Dann solle er nach Hause fahren. Am besten direkt in ein Sanatorium, wo man ihm bestimmt helfen könne.
Merz