Verfluchtes Erbe Gesamtausgabe. T.D. Amrein
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Also ließ Merz alles mit sich geschehen, was ihm empfohlen wurde. Viel anderes blieb ihm auch nicht übrig. Cécile sorgte sich rührende um ihn, so dass er sich bald wie ein kleines Kind vorkam. Jetzt wollte sie ihn bemuttern. Und so schnell, würde sich das nicht mehr legen.
Mehrmals täglich besuchte sie ihn. Seine Therapie fand ganz am Rand von Zürich statt. Die Klinik lag am Fuß eines bewaldeten Hügels. Hinter dem Gebäude standen die Bäume in einem kleinen Park, der bald in den ganz normalen Wald überging. Ideal für einsame, besinnliche Spaziergänge.
Cécile versuchte, ihm eine Arbeit in ihrer Immobilienverwaltung schmackhaft zu machen. „Du könntest dich um Umbauten und Modernisierungen kümmern. Damit kannst du etwas Neues, etwas Konkretes schaffen. Das würde dir gut tun, glaube mir.“
Merz reagierte wenig begeistert. „Ich habe doch keine Ahnung von Baustellen. Ich stehe doch nur wie ein Idiot da, wenn mich jemand etwas fragt.“
Sie ließ nicht locker. „Dafür haben wir Architekten. Die bereiten alles vor. Du musst nur die Pläne ansehen. Da und dort kannst du ein paar Kleinigkeiten ändern, wenn du willst. Schon nur, um die Handwerker auf Trab zu halten. Ich mache das auch so, und ich verstehe auch nichts davon. Aber in der kurzen Zeit habe ich einiges gelernt. So schwer ist das nicht.“
Mit der Zeit begann er doch zu überlegen. Warum nicht einmal einen Versuch wagen. Außerdem würde sie dann Ruhe geben. Er wusste, sie wollte einfach nur ihren Erich zurückhaben. So wie er früher gewesen war. Ein unbekümmerter Mann, zwar ein wenig unzuverlässig aber meistens fröhlich.
Über seine wahren Probleme hatte er ihr immer noch nichts erzählt. Er ließ sie im Glauben, dass er krank sei.
Sie war in letzter Zeit so nett zu ihm, wie schon lange nicht mehr. Weshalb sollte er das ändern wollen? Er ließ sich treiben, wie er es eigentlich am liebsten hatte.
Und die Behandlung zeigte langsam Erfolg, auch wenn er nur den Teil seiner Erlebnisse in Norwegen erzählt hatte.
Die Vergangenheit seines Opas. Den Zusammenhang mit dem Tod von Fritz und Mendel, sowie mit Dornbachs Mannschaft, das alles behielt er für sich.
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Nach einem Monat wurde er entlassen. Natürlich war er freiwillig im Sanatorium gewesen. Aber Cécile hatte darauf bestanden, erst zu gehen, wenn die Ärzte es für richtig hielten. Seinen Zustand nahm sie hin, wie eine Krankheit, die man nicht heilen kann. Aber sie war davon überzeugt, wenn er erst einmal etwas gebaut hat, dann kann er darauf stolz sein. Das würde ihm helfen.
So kam er zu seinem ersten Arbeitstag ins Büro. Gespannt darauf, was er zu tun hatte. Und tatsächlich fand er es interessant.
Cécile hatte ihm alles bereitgelegt. Er konnte die Pläne in Ruhe studieren, bevor er mit dem Architekten zusammentraf. Danach fuhren sie gemeinsam auf die Baustelle, wo Merz das Objekt auch in der Realität ansehen konnte. Er schien ein gewisses Talent zu haben, zwischen Plänen auf Papier und echten Gebäuden, schnell den Zusammenhang zu finden. In den nächsten Wochen erlebte er zum ersten Mal hautnah mit, wie ein altes Haus umgebaut wurde.
Er hatte immer zwei linke Hände gehabt. Merz hätte sich niemals für einen Beruf entschieden, in dem es auf Geschicklichkeit ankam. Schon in der Schule war er ständig ausgelacht worden, wenn sie etwas anfertigten. Die anderen hatten schöne Holzteile zustande gebracht. Merz war trotz intensiver Hilfe nie ein Stück wirklich richtig gelungen.
Hier brauchte er nur zu sagen, wie etwas gebaut werden sollte. Die Ausführung wurde durch die Handwerker erledigt.
Merz hatte sofort großen Spaß an dieser Arbeit. Wie unglaublich stolz er war, als die ersten Wohnungen bezogen werden konnten, an denen er mitgewirkt hatte.
Seine bisherige Unlust etwas zu tun, verkehrte sich ins Gegenteil. Cécile musste ihn manchmal richtiggehend aus dem Büro schleppen, weil er noch weitermachen wollte. Selbst wenn es schon Nacht geworden war, gab er nur ungern nach.
Er hatte offenbar seinen Traumberuf gefunden. Er dachte kaum noch an Dornbach und verlebte glückliche Monate, bis die ersten, größeren Schwierigkeiten auftauchten.
Seine Maßlosigkeit, immer mehr Projekte gleichzeitig erledigen zu wollen, führte schließlich zu einem undurchschaubaren Chaos, das ihn wieder an den Rand eines Nervenzusammenbruchs brachte.
Mitten in einer Besprechung mit fassungslosen Architekten und aufgeregten Bauleitern, schmiss er die Unterlagen auf den Tisch und verließ den Raum.
Seiner verdutzten Sekretärin erklärte er nur noch, dass sie die Versammlung auflösen und alle wegschicken solle. Er würde ab sofort nicht mehr zur Verfügung stehen.
Einige Tage vergrub er sich zu Hause, dann versuchte er es mit Waldspaziergängen. Auch dieses hielt nur kurze Zeit. Er fühlte sich völlig unnütz. Nichts kann ich richtig. Ich bin ein totaler Versager, das ging ihm dauernd durch den Kopf.
Mit allen möglichen Dingen versuchte er, ein Hobby zu finden. Briefmarken, Modellbau. Ein Boot auf dem Zürichsee, das ihm wenigstens endlich die Bootsprüfung ermöglichte. Eines der wenigen Erfolgserlebnisse, die er hatte. Aber trotzdem blieb sein Leben leer.
Cécile versuchte zwar, ihn wieder in sein Büro zu bringen. Er könnte noch einmal von vorne anfangen, sagte sie, was er jedoch kategorisch ablehnte.
Schließlich fand sie sich damit ab. Insgeheim hoffte sie, dass er nach einiger Zeit von selbst zurückfinden würde.
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Auch Dornbach war inzwischen zur Ruhe gekommen. Er hatte ein geeignetes Haus gefunden. Die Gemeinde vermietete es ihm auf Lebenszeit.
Er hatte rasch durchblicken lassen, dass sie sein Vermögen erben konnten, wenn es ihm in der Gemeinde gefiel. Das wirkte wie ein goldener Schlüssel. Dornbach musste kaum lästige Formulare ausfüllen oder Fragen beantworten.
Die Gemeinden im Schwarzwald waren nicht auf Rosen gebettet. So ein Vermächtnis wollten sie sich nicht entgehen lassen. Dornbach hatte als Einziges, äußerste Diskretion verlangt. Daran hielten sich die Verantwortlichen gern. Auch sie hatten wenig Interesse daran, sich irgendwo rechtfertigen zu müssen.
Einen jungen deutschen Schäferhund hatte sich Dornbach gekauft. Dessen Erziehung nahm viel Zeit in Anspruch. Den Haushalt führte ihm eine alleinstehende Frau aus dem Dorf.
Erst im nächsten Frühling wollte Dornbach wieder einmal zum Angeln oder überhaupt in den Urlaub fahren. Den ganzen Winter verbrachte er in seinem Ferienhaus. Stundenlang ging er spazieren, immer mit dem Hund an der Seite. Wie er sich gewünscht hatte, traf er selten jemanden an. Und wenn, knurrte sein Hund so bedrohlich, dass ihn niemand in ein Gespräch verwickeln wollte.
Nur die Haushälterin duldete der Hund im Haus. Dornbach hatte ihm absoluten Gehorsam beigebracht. So wie er sich die Menschen um sich gewünscht hätte. Das Tier war sein bester Kamerad geworden. Wenn nötig würde es sein Leben ohne zu zögern, für ihn opfern. Dies beeindruckte Dornbach tief.
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Kommissar Reuter war mit seinen Ermittlungen keinen Schritt weitergekommen. Die Zielfahndung hatte nichts ergeben. Alles verlief im Sand.
Er gelangte langsam zum Schluss, dass Dornbach ins Ausland geflohen sein musste. Wahrscheinlich schon bevor sie ihn gesucht hatten.
Trotz internationaler Fahndung. Nirgends war ein Jens Müller aufgetaucht, auf den die Beschreibung passte.
Natürlich fand sich dieser Name nicht gerade selten. Des Öfteren wurde jemand gemeldet. Doch immer handelte es sich um eine andere Person.
Reuter hatte sich bereits einige Male bei Urlaubern entschuldigen müssen, die unnötig aufgehalten worden waren. Inzwischen ließ er sich immer sofort die Passnummer melden, wenn sie nicht stimmte, konnte die Person ohne weitere Kontrolle weiterreisen.
Der Kommissar fand sich damit ab, dass er ihn nicht mehr finden würde. In knapp zwei Jahren gehe ich in Pension, dann sollen sich andere damit herumschlagen, sagte er