Verfluchtes Erbe Gesamtausgabe. T.D. Amrein
nur vorbei, um sich die Örtlichkeit zu merken.
Die Gartenlauben haben eigentlich keine richtigen Adressen, sind aber von allen Besitzern liebevoll angeschrieben.
Sie sahen Merz und Mendel in der Laube sitzen, so dass kein Zweifel bestand, mit wem er sich traf.
Merz und Mendel kamen sich schnell näher. Der alte Jude war sehr höflich, und freute sich aufrichtig über seinen Besuch. „Der Enkel von meinem lieben Freund Traugott. Ich kann es gar nicht glauben!“, rief er aus.
„Ohne ihn würde ich gar nicht hier sitzen. Er hat mich rechtzeitig gewarnt und mit einem Kohlenzug nach Italien verschickt. In der Schweiz bin ich dann abgesprungen und wurde von einem Bauern aufgenommen. Die ganze Kriegszeit habe ich bei ihm verbracht und gut gelebt.“
Merz fühlte Balsam auf seiner Seele. Wenigstens einen hat er gerettet, dachte er sich.
Er entschloss sich, Mendel das richtige Foto zu zeigen. Dieser musste erst seine Brille suchen, aber dann sagte er sofort: „Ja, das ist Willhelm Dornbach und der Andere ist Konrad Hammer.“
„Wissen Sie, was aus ihnen geworden ist?“, fragte Merz gespannt.
„Aber nein“, antwortete Mendel kopfschüttelnd. „Wie könnte ich? Ich bin im Sommer einundvierzig geflohen und erst siebenundvierzig zurückgekommen“.
„Schade“, stellte Merz fest.
Mendel erzählte ihm dafür noch einige andere Anekdoten und Erinnerungen, die sich immer mehr einstellten.
Es war schon dunkel, als Merz langsam aufbrechen wollte. Mendel lud ihn für den folgenden Abend ein: „Bringen Sie doch bitte eine Flasche Wein mit! Ich habe in meiner Stadtwohnung noch ein paar Fotos, die ich morgen holen kann.
Im Sommer lebe ich in meiner Laube, in der Stadt ist es zu warm. Dann können wir noch ein paar Stunden plaudern.“ Merz nahm die Einladung dankend an.
Mendel begleitete ihn bis zur nächsten Telefonzelle und umarmte ihn zum Abschied. „Ich freue mich auf morgen.“
Merz rief sich ein Taxi und ließ sich in die Pension fahren. Er war bester Laune. Dieser Mendel hatte ihm, ohne es zu wissen, mehr geholfen, als er erwartet hatte. Willhelm Dornbach und Konrad Hammer. Außerdem war Opa doch nicht so schlecht gewesen wie es ausgesehen hatte.
Jetzt muss ich nur noch die richtige Familie Dornbach finden, dachte er sich.
Wieder fiel ihm nicht auf, dass seinem Taxi derselbe Kleinwagen folgte, und in der Nähe parkte, ohne dass jemand ausstieg.
Am nächsten Morgen erstattete Horst Pohl Willhelm Dornbach seinen ersten Bericht: „Er hat einen gewissen Mendel besucht und ist fast fünf Stunden bei ihm geblieben.“
„Mendel?“, Dornbach runzelte die Stirn. „Einen Juden hat er besucht. Konntest du etwas davon hören, was sie gesprochen haben?“
„Nein, das ging nicht. In diesen Gartenlauben kann man nicht stehenbleiben, ohne aufzufallen.“
Dornbach überlegte eine Weile, und befahl dann: „Fahrt zu diesem Mendel und fragt ihn, was Merz von ihm wollte! Lasst euch was einfallen! Ihr seid Ermittler vom BKA oder so. Für die Überwachung hast du ja andere Leute.“
Horst nahm Haltung an und verabschiedete sich. „Wir erledigen das sofort. Sobald ich etwas weiß, melde ich mich.“
Zusammen mit Jens fuhr er in die Gartenlaube, wo Mendel gerade seine Rosen pflegte.
Mit schnellen Schritten traten sie bei ihm ein. „Herr Mendel, wir sind vom BKA und haben ein paar Fragen an Sie“, erklärte Horst in scharfem Ton.
„Vom BKA?“, wiederholte Mendel mit zittriger Stimme. „Glauben Sie uns etwa nicht?“, herrschte ihn Horst an und baute sich drohend vor ihm auf.
Mendel wurde blass. Diesen Ton hatte er noch gut im Ohr. Er griff sich an die Brust und fiel einfach um.
Horst begann zu fluchen. „Scheiße, was macht der denn?“ Er suchte Mendels Puls am Handgelenk. Aber da war keiner mehr zu finden.
„Komm, Jens! Wir hauen ab.“ An der Gartentüre blieb Horst noch kurz stehen und wischte die Klinke mit einem Taschentuch ab. „Wir wollen doch keine Spuren hinterlassen“, sagte er zu Jens. Dieser nickte eifrig.
Schweigend gingen sie zum Wagen und machten sich auf den Weg, zurück in die Stadt.
„Wie soll ich das, Dornbach erklären? Der Jude kratzt einfach ab, ohne etwas zu sagen“, regte sich Horst auf.
Jens fasste sich an die Nase. „Als wir gekommen sind, war er schon tot, könnten wir sagen. Dann sind wir fein raus.“
„Du hast Recht.“ Horst lehnte sich zurück. „Er ist eines natürlichen Todes gestorben, daran gibt es keinen Zweifel. Niemand kann uns eine Schuld nachweisen.“
„Sollten wir die Polizei benachrichtigen?“, fragte Jens.
„Spinnst du?“, fauchte Horst. „Mann, bist du blöd. Ohne mich wärst du schon lange wieder im Bau gelandet. Die Bullen rufen. So etwas kann nur dir einfallen.“
„Ja, ist ja gut“, antwortete Jens kleinlaut.
***
Dornbach tobte in seinem schalldichten Büro. Seine Angestellten waren das gewohnt und außerdem hatte er dafür gesorgt, dass man nichts verstehen konnte. „Was heißt, er war schon tot, als wir gekommen sind? Was habt ihr genau gemacht?“
„Nichts haben wir gemacht!“, beteuerte Horst zum wiederholten Mal. „Er liegt tot in seinem Garten. Er war ja auch schon ziemlich alt.“
„Hast du ihn angefasst? War er noch warm?“, fragte Dornbach bohrend.
„Ich habe nur seinen Puls gesucht. Richtig kalt war er jedenfalls noch nicht“, entgegnete Horst. „Keine Verletzungen, nichts Auffälliges.“
Schade, dass wir den nicht schon früher erwischt haben, dachte Dornbach. Laut sagte er: „Woher soll ich jetzt erfahren, was sie gesprochen haben?“
„Wir können ja den andern fragen“, schlug Horst vor.
„Auf keinen Fall!“, brüllte Dornbach. „Er darf auf keinen Fall merken, dass wir ihn überwachen! Wenn das passiert, dann bekommst du richtige Probleme! Merk dir das!“
„Ja, Chef!“, antwortete Horst unterwürfig. „Wir passen schon auf. Ich melde mich, wenn es etwas Neues gibt“, schob er noch nach.
„Habe ich etwa gesagt, du kannst gehen?“ Dornbach war immer noch in Fahrt.
„Verzeihung Chef!“, stammelte Horst.
„Verschwinde jetzt, bevor ich mich vergesse.“ Dornbach schlug mit der Faust auf den Tisch.
Horst hob die Hand zum Gruß und verschwand in Dornbachs Lift, der direkt in die Garage führte. Dornbach hatte ihn extra einbauen lassen, damit sich seine diskreten Besucher ungesehen bewegen konnten.
***
Erich Merz hatte lange ausgeschlafen. Erst gegen Mittag verließ er sein Zimmer, um zum Essen zu gehen.
Er hielt daran fest, jeden Tag ein anderes Restaurant zu besuchen, um vielleicht doch noch einen Eisenbahnerstammtisch zu finden. Bisher hatte er damit noch nicht viel Erfolg gehabt, aber er war trotzdem immer noch in bester Laune.
Am Abend würde Mendel ihm noch weitere Informationen liefern. Er konnte ihn auch fragen, wo sich die alten Reichsbahnangestellten trafen. Daran hatte er bei seinem ersten Treffen nicht gedacht.
Nach dem Essen ging er noch eine Weile spazieren und kaufte einen guten Tropfen, wie Mendel ihn gebeten hatte. In seinem Zimmer begann er seine bisherigen Erkenntnisse aufzuschreiben, um alles einordnen zu können.
Außerdem wollte er nicht wieder vergessen, nach wichtigen Dingen zu fragen. Er machte sich für alle Fälle ein paar Notizen in dem kleinen Buch, das dem Alten Fritz gehört hatte. Schon oft hatte er versucht, noch