BonJour Liebes Leben .... Rose Hardt
zu begründen, dass Gustav der Erstgeborne war und sie ihr ganzes Leben, bis auf einige kurze Ausnahmen, unter einem Dach wohnten – aber wer weiß das schon! Vielleicht erinnerte er sie auch nur an ihren verstorbenen Mann, beide trugen nicht nur die gleichen Vornamen, sondern ihr Äußeres war von frappierender Ähnlichkeit.
Wie auch immer, jedenfalls bei Ludgers Anblick, hatte Charlotte sichtlich Mühe nicht laut aufzulachen.
„Wenn Gustav noch am Leben wäre, so hätte er diese Lilo längst rausgeschmissen“, fügte er zähneknirschend an.
„Ach … Gustav … Gustav! Gustav ist nicht mehr unter uns“, unterbrach sie ihn empört, „und nur, dass du es weißt, ER gehört ab sofort der Vergangenheit an – Punkt!“
Für diesen Ausspruch erntete sie einen strafenden Blick. „Also ich muss mich doch sehr wundern, Charlotte“, dein Mann ist gerade mal ein Jahr unter der Erde und du …“
„… ja! Er ist seit einem Jahr mausetot und ich, ich lebe!“ Um jetzt keine Diskussion vom Zaun zu brechen, sagte sie: „Ich denke, mein lieber Ludger, wir sollten ins Büro gehen, da kannst du dir die verdammten Unterlagen raussuchen“, fügte sie genervt an. Ohne eine Antwort abzuwarten stand sie auf und ging schnurstracks zu Gustavs Büro.
Er folgte ihr wie ein gehorsamer Dackel, „duuu Charlotte, wie du weißt, handle ich nur in guter Absicht …“
Unvermittelt blieb Charlotte stehen, „ja ja … ist schon gut. Ich weiß, dass du deinem Bruder versprochen hast auf mich aufzupassen, das hast du bereits des Öfteren erwähnt …“ mitten im Satz stoppte sie, denn ihr war durchaus bewusst, dass sie ohne Ludgers Hilfe – zumindest was die finanzielle Seite anging, ganz zu schweigen von der komplizierten Rentenabwicklung – aufgeschmissen gewesen wäre, dann fuhr sie fort: „mein lieber Ludger, ich bin dir wirklich sehr, sehr dankbar, dankbar für alles was du nach seinem Tod für mich getan hast, das darfst du mir gerne glauben, aber …“ dann hielt sie kurz inne um ihre Worte sorgfältig auszuwählen, denn sie wollte ihm keinesfalls vor den Kopf stoßen oder ihn gar vergällen, „sieh mal, im Trauerjahr war ich nie wirklich alleine. Immer war jemand da … mal ganz abgesehen von Frida. Doch jetzt brauche ich etwas mehr Zeit für mich. Verstehst du? Ich muss meinem Leben wieder einen Sinn geben. Ich muss es neu ordnen!“
Auch wenn er sie mit seinem berühmt-berüchtigten Dackelblick, ganz so als ob er kein Wässerchen trüben könnte, ansah, so lauerte im Hintergrund ein listiger Fuchs, der nur darauf wartete im richtigen Moment zuzuschnappen. Für einen Moment überlegte er, was sie gerade gesagte hatte dann antwortete er: „Meine liebe Charlotte, das verstehe ich durchaus, aber …“
„… ohne Wenn und Aber“, stoppte sie ihn, und mit dieser resoluten Antwort öffnete sie die Tür zum Büro. Muffige abgestandene Luft schlug ihnen entgegen. Seit Gustavs Ableben war sie nur noch selten hier im Raum, wenn, dann höchstens um einige Papiere rauszuholen oder um vielleicht mal die Rollläden hochzuziehen. Es wird Zeit einige Dinge zu entsorgen, dachte sie, mit diesem Gedanken riss sie das Fenster sperrangelweit auf. Während sie die eindringende Luft einatmete sagte sie: „Du weißt in welchem Ordner die Unterlagen sind?“ Was für eine überflüssige Frage! Die zwei Brüder hielten wie Pech und Schwefel zusammen. Sie wussten alles voneinander – oder? Wusste er auch über seine Affären Bescheid? Ein Gedankengang, der ihr sogleich über die Lippen sprudelte: „Sag‘ Ludger, hattest du immer von den Affären deines Bruders gewusst?“
Worte, die ihn wie Wurfgeschosse am Kopf trafen, fast wäre ihm beim Aufprall die Kinnlade runtergefallen, doch im letzten Moment blies er die Backen auf und beim Ausatmen sagte er: „Weißt du Charlotte, das war …“
„… ganz anders als ich denke! Ich weiß“, beendete sie seine Ausrede barsch, „gib dir keine Mühe, Einzelheiten interessieren mich eh nicht. Ich möchte nur eine ehrliche Antwort von dir.“ Mit großen Augen sah sie ihn erwartungsvoll an.
Verlegen schlug er die Augenlider nieder, blies nochmals die Backen auf, und während er die Luft ausblies nuschelte er, „jaaa … aber ich habe ihm immer gesagt, dass ich das nicht für gut finde …“
„So hast du das?“
„Jaaa! Wie oft habe ich zu ihm gesagt, dass ich dich für eine wunderbare Frau halte und du das nicht verdienst“, achselzuckend fügte er noch an, „was sollte ich denn tun, er war mein älterer Bruder und gegen Ratschläge – wie du selbst weißt – immun!“
Wieso konnte sie ihm das nicht glauben? Jedenfalls hatte ihre Frage ihn sichtlich in Verlegenheit gebracht, er vergrub die Hände tief in seinen Hosentaschen und unter seinem Jackett konnte man die Windungen seines Oberkörpers sehen, gerade so, als wäre ihm seine eigene Haut zu eng geworden. Nein sie gab ihm keine Antwort mehr, stattdessen ließ sie ihn, samt seinem schlechten Gewissen, alleine. Für Charlotte war die Untreue ihres verstorbenen Mannes längst kein Thema mehr. Die letzten Jahre ihres Ehe-Lebens hatte sie in dem Bewusstsein verbracht die Betrogene zu sein. Sie hatten sich, wie es so schön heißt: über die Jahre zusammengerauft, die dunklen Beziehungszeiten gemeistert und sich irgendwann arrangiert! Ja, und daran gab es nichts mehr zu rütteln.
Okay, dachte sie, dein schlechtes Gewissen, lieber Ludger, darfst du gerne bei mir abarbeiten. Auf der Türschwelle blieb sie stehen, sagte das Thema wechselnd: „Im Übrigen, ich wollte den Porsche verkaufen. Könntest du mir dabei behilflich sein? … Ach ja, noch etwas, gestern Abend wurde ich auf der Landstraße geblitzt, könntest du dich auch darum kümmern?“
„Gustavs Porsche?“ fragte er sichtlich erstaunt. Die Frage schien zunächst im Raum zu rotieren bevor er überhaupt in der Lage war sie zu realisieren.
„Jaaa! Oder hast du etwas dagegen?“ fügte sie stirnrunzelnd an.
Ludger legte zunächst nachdenklich die Stirn in Falten, doch schon im nächsten Augenblick überzog ein selbstgefälliges Grinsen sein Gesicht, zögerlich antwortete er: „Ich könnte … ich meine, nur wenn nichts dagegen spricht … so könnte ich den Porsche kaufen!“ nachsinnierend spitzte er seine Lippen, dann brach es laut aus ihm heraus: „Ja, ich kaufe ihn“, mit dem Ausspruch war sein Entschluss Fakt. Und nach dem Strahlen seiner Augen sah er sich bereits in dem sportlichen Gefährt hocken, sah sich mit gemäßigtem Tempo, sodass ihn auch alle sehen konnten, durch die Innenstadt fahren.
Verblüffung stand in Charlottes Gesicht, doch wenn sie es sich recht überlegte, hätte sie diese Entscheidung vorhersehen können. Und soweit sie sich zurückerinnern konnte versuchte er Gustav nachzueifern, alles was er hatte, wollte auch er, und seit seinem Tod, beschlich sie zuweilen das Gefühl, dass es Zeit für ihn wäre einen Platz – hier im Hause und an ihrer Seite, womöglich in ihrem Bett – einzufordern. Ein Gedankengang der sogleich für eine Gänsehaut sorgte. Igitt, Igitt nein! Und überhaupt, er und sie – unmöglich! Stattdessen versuchte sie vor ihrem geistigen Auge, Ludger und den Porsche zusammenzubringen. Sie sieht den drahtigen Ludger – ein junggebliebener Sechziger, im elegant-klassischen Jackett, mit offenstehendem Hemd, dem passenden Halstuch sowie blankpolierten Schuhen und seinem selbstgefälligen Grinsen – im Porsche sitzen. Eigentlich fand sie ihn ja ganz attraktiv, wenn da nur seine Pedanterie nicht wäre. Sein übertriebener Hang zur Genauigkeit konnte jede Frau zur Raserei bringen. Vermutlich war er deshalb auch Single. Auch seine Haarfrisur, die gegelten Haare mit den Kammspuren und dem immer perfekten Seitenscheitel, sagten schon sehr viel über seine Pingeligkeit aus. Dabei fiel ihr auf, dass sein volles dunkles Haar noch keine einzige Spur von einem grauen Haar aufwies, aber wer weiß, vielleicht war es ja nachgefärbt. Ihr Blick vertiefte sich kurz in seinen Haaren. Man neigte immer dazu hineinzufassen um es durcheinander zu bringen – um endlich die Perfektion aus ihm herauszuholen. Ein Wunschgedanke, bei dem Charlotte, trotz allem, lächeln musste, denn ihre beste Freundin, Doro von Sickingen, hatte das einmal, bei einer Geburtstagsfeier und im betrunkenen Zustand, versucht ... oh, da war aber was los. Ja doch, Ludger passte in den Porsche! Mit hundertprozentiger Sicherheit würde er den kleinsten Vogeldreck mit etwas Spucke, auf einem seiner weißen Stofftaschentücher, die alle mit seinem Monogramm versehen waren, sofort wegpolieren. Ein Fantasiegebilde das sie fast ausgesprochen hätte, doch im letzten Moment korrigierte sie ihre Wortwahl und sagte nur: „Schön,