Der wandernde Aramäer. Karsten Decker
stehen, sondern unsere Freundschaft befestigen.«
Terach war zufrieden, und so auch die Stadtväter. Das Grundstück war etwa dreimal so groß wie das, das er in Ur zurückgelassen hatte, dazu Land vor den Mauern, das ausschließlich ihm zur Verfügung stand. Drei Brunnen wurden ihm erlaubt zu graben, zwei innerhalb der Mauer, einer außerhalb, um das Vieh zu tränken. Als Baumaterial dienten Balken und Bretter von Bäumen des im Norden beginnenden Hochlandes, dazu gehauene Steine, Marmor, und auch gebrannte Ziegelsteine, die aber von den Flusstälern hergebracht werden mussten. Die üblichen Lehmziegel wollte Terach nicht benutzen. Auch gab es kein Pech zum Verkleben der Steine, stattdessen benutzte man einen hellbraunen Mörtel aus Lehm, Kalksand und Wasser. Und wieder merkte Terach, wie gut es war, seine Sklaven als Knechte zu halten, die ihm treu ergeben waren und bereit, ihr Wissen aus ihrer Heimat mit ihm zu teilen. So bekamen die Mauern ägyptische Fundamente, syrische Torbögen und von den Einheimischen übernahm er die Kuppeldächer, allerdings aus gehauenen Steinen kunstvoll aufgemauert und dann mit Mörtel verputzt. Man hatte ihm von Flachdächern abgeraten, da es in der Hochebene rund um die Stadt sehr viel öfter und stärker regnete als im Südosten bei Ur.
Ähnlich wie in Ur entschloss sich Terach das Gehöft mit einer eigenen Mauer zu umgeben, indem er die unterschiedlichen Gebäude am Rand des Grundstückes platzierte und mit kurzen Mauerstücken verband. Ein Haupttor mit Rundbogen auf der Altstadtseite diente als standesgemäßer Eingang für Gäste und die Familie, außerdem wurden in allen Richtungen kleinere rechteckige Türen angebracht, um Knechten und Mägden die täglichen Wege zu verkürzen. Für die Tiere wurde ein eigenes Tor dicht am nächsten Stadttor angelegt. Wie das Haupttor auf der gegenüberliegenden Seite, nach dem Vorbild der Tore in Terachs altem Haus, hatte es zwei schwere, dreilagige Torflügel, die mit Querbalken verrammelt werden konnten. Die Brunnen wurden jeweils dicht zu diesen beiden Toren gegraben, der eine um Trinkwasser für den Haushalt zu schöpfen, und dieser Brunnen wurde im begehbaren Bereich mit Marmorplatten ausgelegt, um eine Verschmutzung des Wassers weitestgehend zu vermeiden, während der zweite Brunnen deutlich einfacher ausgeführt wurde, da sein Wasser vorwiegend für den kleinen Garten und als Viehtränke verwandt wurde. Auch ließ Terach Zisternen unter den Unterkünften anlegen, in denen Regenwasser gesammelt wurde. Steinerne Wendeltreppen führen hinunter zu den Zisternen.
Es dauerte drei Jahre bis die Bauarbeiten endlich an ein Ende kamen. Meschek war zu einem stattlichen jungen Mann herangewachsen, auch Abram bekam deutlich breitere Schultern, und mit Stolz strich er sich durch den ersten Flaum im Gesicht, obgleich man schon genau hinsehen musste, um ihn zu bemerken. Er hatte von Meschek viel gelernt in dieser Zeit. Terach hatte von Anfang an das Talent dieses Jungen erkannt und ihn im häusliche Bereich eingesetzt und zusammen mit Abram weiter geschult. Sarai und Hagar waren nun vier Jahre alt, plapperten unaufhörlich vor sich hin und spielten mit geschnitzten Puppen und seit neuestem auch mit dem Reifen, den Lot nun meisterte wie einst Abram. Zusammen mit den zahlreichen Kindern der Knechte und Mägde war es ein lebhaftes Bild, die Kinder mal kreischend, mal singend, hüpfend, springend und krabbelnd, spielen zu sehen.
Mittlerweile hatte Terach mit Nahor eine feste Karawane eingerichtet, die ständig zwischen Ur und Haraan als Handelsposten hin und her pendelte. Bald schon wurde Haraan als Handelsposten auch von anderen Kaufleuten aus Ur genutzt, die sich Nahors Karawane anschlossen. Der Handel blühte und die Gewinne waren beträchtlich. Durch Kreuzung mit den Tieren, die man in Haraan erstanden hatte, hatte die Herde ganz neue Qualitäten gewonnen. Wenn sie auch keine goldenen Felle trugen, so waren Ziegen, Schafe und Rinder kräftiger und von besserer Qualität als Terach es je gesehen hatte, aber auch besser als die Tiere, die es sonst in der Stadt gab und weniger Tiere wurden tot geboren. Er war begeistert davon. Abram beobachtet dies sehr genau, und aus Neugier führte er eine kleine Liste. Bald erkannte er bestimmte Muster, welche Kreuzungen die besten Ergebnisse brachten, und bald konnte er die Fellfärbung oder Hörnergröße der nächsten Generation mit hoher Genauigkeit vorhersagen. Er verriet aber nicht allen, wie er dies wusste, sondern bewahrte dieses Wissen für sich. Er hatte am Beispiel von Meschek gelernt, dass Fähigkeiten und Talente umso wertvoller sind, um so seltener sie zu finden sind. Wer weiß, vielleicht würde ihm oder seinen Kindern und Kindeskindern dieses Wissen einmal helfen.
Durch Haraans Lage zwischen Hethitern, Assyrern und Babyloniern, dazu die Karawanen, waren die Sprachen bunt gemischt in der Stadt. Abram hatte von Telna schon einen guten Grundwortschatz in Ägyptisch gelernt, nun kamen andere Dialekte hinzu. Auch lernte er die verschiedenen Schriften kennen, doch waren sowohl Keilschrift als auch die ägyptischen Hieroglyphen eher umständlich und Zeitraubend. Zusammen mit den anderen Kindern entwickelte er daher eigene Geheimzeichen. Die Idee für die Grundform der Buchstaben hatte er bekommen, als er die verschiedenen Pläne für das Haus gesehen hatte. Seine Zeichen waren von quadratischer oder rechteckiger Struktur und hatten Toröffnungen an unterschiedlichen Seiten, oder erinnerten an Balkenkonstruktionen, Brunnen, Tierhörner oder zusammenfließende Bäche. Die Tiere oder Dinge, begannen mit dem Laut des jeweiligen Zeichens. Um die Zahl der Buchstaben, die man sich merken musste, gering zu halten, gab es nur Zeichen für Konsonanten, die Vokale ließen sich beim Lesen fast automatisch einsetzen.
So schrieb sich »Wir treffen uns morgen hinter dem Haus« etwa so: »WR TRFFN NS MRGN HNTR DM HS«
Telna hatte ihnen von Papyrus erzählt, eine Art Papier, das in Ägypten aus Pflanzenfasern hergestellt wurde. Doch es gab keine Papyrusstauden in Haraan, und das aus Ägypten importierte Papyrus war für Kinder viel zu teuer. Auch benutzten die Kinder keine Tontafeln, die sie viel zu schwer fanden, um sie mit sich herumzuschleppen, so kamen sie auf die Idee, alte Lederfetzen oder auch Stücke von Baumrinde zu benutzen, auf die sie mit einer eigenen Rußtinte schrieben. Um die Häute öfter benutzen zu können, kratzten sie immer wieder mit Messern die oberste beschriebene Schicht ab. Die Nachrichten konnten einfach aufgerollt und so weggesteckt werden. Abram, Meschek waren bereits fließend mit den Zeichen, und versuchten sie auch den anderen Kindern beizubringen. »Es ist wichtig, aufzuschreiben, was geschieht,« sagte Meschek immer wieder, »nur so hat man Wurzeln, die bleiben.« Abram stimmte mit ihm überein. Selbst wenn es noch eine Geheimsprache war, solange man sie anderen beibrachte, so lange würde man auch noch die Geschichten lesen können, etwa von den Wurzeln des Terach. Er begann seine eigene Geschichte und schrieb auf einem Stück Lederhaut:
Nahor war 29 Jahre alt und zeugte Terach und lebte danach 119 Jahre und zeugte Söhne und Töchter. Terach war 70 Jahre alt und zeugte Abram, Nahor und Haran. Dies ist das Geschlecht Terachs: Terach zeugte Abram, Nahor und Haran; und Haran zeugte Lot. Haran aber starb vor seinem Vater Terach in seinem Vaterland zu Ur in Chaldäa.
Wie die Geschichte wohl weitergehen würde? Es war noch viel Platz für weitere Geschehen auf der Lederhaut. Wen würden sie heiraten, wo würden sie wohnen? Oder würden sie in Haraan ein Leben lang bleiben? Würde Abram dann einmal das Haus übernehmen? Lag nicht die ganze Welt vor ihnen, und was mochte die Zukunft für ihn bringen. Ja, sein Vater hatte sich niedergelassen, aber muss ein Sohn tun, was sein Vater getan hat? Dann gäbe es doch nie wirklichen Fortschritt. Neues will entdeckt werden.
Terach war sehr erfolgreich, und dank seiner freundlichen, umgänglichen Art hatte er bald Freundschaft mit vielen Bürgern der Stadt geschlossen und gehörte schließlich zu den führenden Männern der Stadt. Immerhin kam Terach aus der Großstadt, aus Ur, er kannte sich mit vielen kulturellen und technischen Dingen aus, die der Stadt zugutekommen konnten. Durch seine Handelsverbindungen, die eben auf persönlichen Kontakten basierten, gedieh die Stadt auch als ganze, und bald schon zog sie so viele Neubürger an, dass die Neustadt schon fast wieder zu klein war. Das Leben in den Gassen des Basars pulsierte und war fast so bunt wie in Ur, die Tempel waren prächtig, auf Terachs Anregung beriet man im Ältestenrat bald eine eigene kleine Stadtordnung, die das Zusammenleben regelte und eine angenehme Ordnung und Sicherheit schaffte.
Es gab Regeln gegen den Inzest, über die Behandlung von Knechten, Mägden und Sklaven, und ein Verbot der Menschenopfer, die es in vielen anderen Orten noch gab, um die Fruchtbarkeitsgötter zu bestechen, indem man neben den erstgeborenen Tieren und der ersten Frucht auch die Erstgeborenen in der Familie opferte. Es wurde auch festgelegt, wie viel des Getreides zum Bierbrauen benutzt werden durfte, und wie viel davon ausschließlich zum Brotbacken aufbewahrt werden musste. Dadurch versuchte man die immer drohenden Brotknappheiten