Der wandernde Aramäer. Karsten Decker

Der wandernde Aramäer - Karsten Decker


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in der jedes Zeichen einen Laut bedeutete, und nicht mehr die alte Silbenschrift, die schwer zu erlernen war. Es war dennoch ein langsames Schreiben, denn jeder Buchstabe erforderte mehrere verschiedene Keilkerbungen in unterschiedlichen Winkeln, die in den Ton gedrückt oder geschabt wurden. Doch schließlich hielt Meschek das Boot in die Höhe und lass vor:

      »Lieber Nahor, wir sind am Euphrat und wollen in eine Stadt, die Haran heißt. Dort werden wir ein großes Haus bauen, und goldene Schafe züchten oder so ähnlich, wie geht es dir? Wie geht es Milka? Wir hatten einen Überfall, wir waren aber stärker. Allen geht es gut. Abram, Lot und Meschek.«

      Die drei Freunde nahmen ihr kleines Boot mit sich und gingen zur Furt. Damit das Boot nicht gleich ans Ufer gespült wurde, gingen sie bis weit in die ruhig dahinfließende Flussmitte. Mücken und Eintagsfliegen schwebten in großen Schwärmen über dem Wasser und mit dem Sinken der Sonne schienen auch sie mehr und mehr zum Wasser hinunter zu sinken. Im Westen senkte sich die rote große Sonne schließlich so weit, dass sie wie ein enormer oranger Ball auf dem Horizont ruhte, und ließ das Wasser in unglaublichen Rot- und Rosatönen blühen, und Abram seufzte leise: »Ich wäre gerne weiter nach Westen gezogen, es ist, als riefe mir die Sonne zu: Hier ist es noch besser, noch schöner, noch mehr wie im Himmel.« Langsam ließen sie das Boot ins Wasser, sehr vorsichtig, damit die kleinen Wellen nicht hinein schwappten und den Lehm unleserlich machten. Und nun fuhr es davon, von den auf und nieder schwankenden Wogen getragen, flussabwärts, zurück in das, was hinter ihnen lag. Als die drei ihren Weg zurück zum Ufer machten, bemerkten sie, dass sich da noch etwas Anderes im Wasser regte, dass die Furt nun, da es Abend wurde, sich mit Hunderten von Fischen füllte, die immer wieder aus der Flut aufsprangen, um nach den Fliegen und Mücke zu schnappen, die von der schweren, schwül feuchten Luft immer niedriger über das Wasser gedrückt wurden. Sie riefen die Knechte, und schnell waren einige Netze gefunden und alle stürmten in die Fluten. Es war wie eine gewaltige Wasserschlacht, und nach nur wenigen Minuten kamen sie schon wieder aus dem Fluss, nass und mit Schlamm verdreckt am ganzen Körper, und mit Duzenden von silbrig glänzenden, großen, fleischigen Fischen. Wenig später war das Lager erfüllt vom Geruch gebratener Fische, fein gewürzt mit Kräutern und Olivenöl, angerichtet mit gebratenen Feigen und Rosinen: Ein Festessen, würdig der Gelegenheit, denn ein neues Leben lag vor ihnen.

      Haraan, am nördlichen Rand der Provinz Paddan-Aram, war schön, ja fast idyllisch, in einer Ebene wie ein Kessel am Fuße eines gewaltigen Bergmassives gelegen, wenn das Umland auch recht karg und trocken wirkte. Die Stadt war bei weitem nicht so groß wie Ur, die Metropole des Euphratdeltas. Seltsam mutete die bestehende Altstadt an, denn die Dächer sahen aus wie Bienenstöcke, große Kuppelbauten aus Lehmziegeln, und die Häuser hatten nur wenige Fenster. Die neue Mauer schien jedoch äußerst stabil. Sie bildete ein großes, fast symmetrisch anmutendes Gebilde, im Westen wie ein halbes gewaltiges Achteck, im Osten mehr sternförmig und gut zu verteidigen. Die zwei Zubringerarme eines kleinen Flusses, des Belik, verliefen entlang der westlichen und östlichen Mauer wie ein Burggraben, vereinigten sich direkt südlich der Stadt zum eigentlichen Belik und flossen weiter Richtung Süden zum Euphrat hin. Sie als Teil der Stadtbefestigung zu nutzen, war genial, denn sie gaben so zusätzliche Sicherheit vor Angreifern aus drei Richtungen. Auch sonst fand Terach es so, wie Semech es ihm beschrieben hatte, doch bei weitem nicht so, wie er es im Traum gesehen hatte. Zwar waren die Straßen tatsächlich angenehm breit ausgelegt, doch hatten sie keine Wassergräben, und es gab auch keine von Obstbäumen gesäumte Straßen in der Stadt, noch nicht. Rund um die Stadt floss wie gesagt der Belik, mehr Bach als Fluss, gemächlich in südlicher Richtung auf den Euphrat zu, aber nicht schiffbar. Von den einheimischen Hirten erfuhr Terach, dass der Fluss im Hochsommer meist trocken, im Frühling jedoch wild und unberechenbar war. In Herbst und Winter war es ein breiter Bach. Es war also notwendig, vom Fluss unabhängig zu sein, so dass ein Brunnen für die Tiere dringend geboten war, vielleicht ließe sich auch ein kleiner Teich anlegen, um eine weniger arbeitsintensive Wasserversorgung für die Felder und Weiden außerhalb der Stadt sicher zu stellen. Terach begutachtete die freien Flächen in den neuen Bezirken. Er hatte eine große Auswahl, wo er sein Haus bauen konnte. Daher musste er alle mögliche Aspekte versuchen zu bedenken. Wie würde ein Sturzregen, der wegen der direkt hinter der Stadt liegenden Gebirgskette sicher zu erwarten war, ablaufen, von welcher Seite musste man am ehesten feindliche Angriffe erwarten, und welcher Teil der alten Stadt war am nächsten, denn man wollte nicht neben einem Bordellviertel enden, oder in einer Armeleutegegend, in deren Gassen sich Räuber und anderes Gesindel herumtrieben. Dazu war zu bedenken, wie die Karawanenstraße verlief. Seine Wahl fiel auf einen der südwestlichen Bezirke. Nun galt es, den Preis auszuhandeln. Die Stadtväter konnten ohne Mühe erkennen, dass Terach vermögend war, und sie hätten wohl gern einen guten Batzen von seinen Edelsteinen, Gold, Silber, Tieren und anderen Waren für die Stadt und für sich bekommen, doch mussten sie vorsichtig und realistisch bleiben, denn sie wussten, dass Terach viele andere Orte offenstanden. Viele Städte in den nördlichen und westlichen Provinzen hatten in den letzten Jahren nach dem Ende der letzten Kleinkriege einen enormen Aufschwung erlebt, ihre Mauern vergrößert und hofften nun auf Neubürger wie Terach. Ninive, weiter östlich am Tigris, dem zweiten Strom des Zweistromlandes, war sicherer, da es mehr im Zentrum des babylonischen Reiches lag, und als Königsstadt hatte es über Jahrhunderte die Kultur gepflegt, eine gewaltige Bibliothek eingerichtet, in der die Sagen und Berichte von Jahrhunderten auf Tausenden von Tontafeln aufgezeichnet waren. Für Assur, ebenfalls am Tigris, galt ähnliches und Rezeph, etwa 70 Meilen südlich an der Euphrat Furt im Zentrum von Paddan-Aram, war auch im Aufschwung. Haraan lag im Grenzbereich zu den Hethitern, die nun zwar verbündet mit Babylon waren, und gerade daher kam ja der Aufschwung im Handel, doch barg die Lage auch gewisse Gefahren, und Charkamis auf der hethitischen Seite der Grenze, am Oberlauf des Euphrat, wetteiferte mit Haraan als neues Provinzzentrum und hatte durch den Euphrat gewisse Vorteile, denn Haraan hatte keinen schiffbaren, ja nicht einmal einen wassersicheren Fluss zu bieten. Man hatte versucht, einige Sklaven in das Lager der Karawane zu schicken, sie sollten in kleinen Gesprächen versuchen herauszufinden, wie entschlossen Terach sei, in Haraan zu siedeln, doch Terach hatte allen strikte Anweisung gegeben, mit Ausflüchten zu antworten, der Sitten des orientalischen Handels gewahr.

      Die Verhandlungen zogen sich über drei Tage und Nächte hin und schienen an den immer wieder gleichen Punkten zu scheitern: eigene Brunnen, eigenes Tor, eigene Weiden. Am dritten Abend holte Terach ein kleines, unscheinbares Ledersäckchen hervor. Die drei Vertreter der Stadt, leicht angeheitert vom südlichen Wein, der seit drei Tagen reichlich floss, starrten auf das kleine Tablett vor ihnen, als Terach den Beutel langsam und nicht ohne Schmunzeln ausschüttete.

      »Oh, ah« entfuhr es ihnen unwillkürlich, als das Licht der Fackeln in hundertfachen, grünen Fassetten gebrochen, an den Stoffwänden entlang widerschien wie die Sterne des Firmaments in einer klaren Neumondnacht im Frühsommer. Drei Smaragde, meisterhaft geschliffen, schimmerten vor ihnen.

      »Wenn wir uns nur bald einigen könnten, ich müsste mich wirklich mal vom Wein erleichtern und euch drei hier einen Augenblick allein lassen« sagte Terach mit einem gewissen Unterton.

      »Nun, mein Freund, dein letztes Angebot, wenn ich es recht bedenke, hört sich doch recht gut an für die Stadt. Für wahr, wir haben ja nur die Interessen der Stadt im Sinn, wie du verstehst, ich glaube, wir sind einig und können den Vertrag schließen«, sagte der älteste der drei, und die beiden anderen nickten eifrig.

      So war das also, dachte sich Terach. Nun, es schien, als sei Haraan keine Ausnahme, wenn es zu Amtsträgern kam. Nach dem Handschlag, stand Terach auf, und ging hinter das Zelt. Er hörte die drei Murmeln, doch zu seiner größten Überraschung lagen die drei Edelsteine noch immer auf dem Tablett, als er zurückkam.

      »Du wirst einer unserer Bürger, Terach, und wir haben drei Tage und Nächte mit dir gesessen, da sollen nicht drei kleine Steine zwischen uns stehen. Wir müssen einander vertrauen können, wenn wir gemeinsam in die Zukunft gehen. Nie würden wir deine Steine nehmen, es sei denn, du gäbst sie uns, gleichsam als kleine Anerkennung für unsere Bemühungen.« Erklärte der Wortführer mit einer freundlichen, die Arme weidenden Geste.

      Terach nahm die Funkelsteine vom Tablett, reichte jedem von den dreien einen in die Hand, und sprach: «ich bin froh von euch in dieser Weise aufgenommen zu sein, nehmt diese Steine als Zeichen meiner Dankbarkeit für


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