Der wandernde Aramäer. Karsten Decker

Der wandernde Aramäer - Karsten Decker


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Er deutet auf Meschek. Terach sah zu den beiden Jungen hinüber. Meschek war fast einen Kopf größer als Abram, er war in den wenigen Monaten seit dem Zwischenfall in Ur ungeheuer gewachsen.

      »Das, das ist mein Knecht«, sagte Terach. »Und es scheint, es ist ein treuer Knecht. Mein Sohn ist der Jüngere von den beiden.«

      »Nun, dann ist dein Sohn auch sehr mutig, denn er kam ihm zur Hilfe; obgleich, Hilfe hat dein Knecht nicht gebraucht. Seine Füße waren wie Keulen.«

      Mit diesen Worten verabschiedete er sich. Jeder ging und sah nun nach seiner eigenen Reisegruppe, die Wachen wurden verstärkt, und alle anderen gingen zu Bett. Für den Rest der Nacht blieb es tatsächlich ruhig. Allein in den Träumen war der Kampf noch nicht ausgestanden. Und sollte es wirklich noch schlimmer werden, umso weiter sie reisten? Terach mochte keine Orakel und Prophezeiungen. Sie machen uns nur unnötig Angst, oder auch leichtsinnig. Nachdem er sich noch einmal vergewissert hatte, dass alles ruhig was, drehte er sich um, schloss die Augen und schlief.

      Kapitel 4: Ein Neubeginn

       Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.

       Albert Einstein

      Am nächsten Morgen wurde sorgfältig alles geordnet, gezählt und neu verpackt. Eine der Edelsteintruhen lag auf dem Boden dicht neben dem Wagen. Hätte Meschek nicht aufgepasst, wäre sie hin gewesen, ein Vermögen, dazu bestimmt, neues Land und ein Haus zu kaufen. In einer Nacht hätte es weg sein können. Nur ein aufmerksames Auge und dieser ungeheuer starke Tritt hatten diesen Verlust verhindert. Was, wenn Meschek nicht gewesen wäre? Bei diesem Gedanken stockte Terach, denn wäre Meschek nicht gewesen, dann wäre Haran nicht getötet worden, wäre er nie aufgebrochen von Ur. »Was wäre wenn?« ein unendliches Gedankenspiel. Terach begann zu grübeln: »gibt es einen Plan für unser Leben, oder ist alles reiner Zufall? Doch wenn Zufall, von wo oder wem fällt es uns zu? Das Leben ist, wie es ist, und wir können uns dagegen kaum auflehnen, alles kommt, wie es wohl kommen muss. Wir meinen, wir haben alles in der Hand, wir planen und denken, unser Reichtum könne uns alles kaufen, und doch, alles ist vergänglich, nichts ist von Dauer. Ich kann verstehen, dass die Menschen versuchen, die Götter zu bestechen, ja für jeden Fall der Fälle je einen Gott zu haben. Eigentlich ist es kein Wunder, dass die Menschen immer neue Götter erdenken, für Fruchtbarkeit, Krieg, Wetter, Liebe und Tod. Doch die Vielzahl der Götter macht sie eben nur zu Teilgöttern, mit begrenzter Macht und begrenzter Zuständigkeit, und wie vertragen sich solche Götter, streiten sie wie wir Menschen? Nein, es kann nicht mehrere Götter geben, sonst sind es eben keine Götter. Aber es muss einen Gott geben, einen mit unbegrenzter Macht, einen, der hinter allem steht, hinter dem Zufall, durch den unser Dasein in einen größeren Zusammenhang gestellt wird, Sinn zugemessen bekommt. Die Geschichten der Urzeit, sie alle belegen, dass unser Geschick in einem Zusammenhang steht, ohne Gott lässt sich nichts deuten, hat nichts Bedeutung. Ohne Gott, ja ohne Gott versänke die Menschheit im Chaos. Ohne einen Gott ist unser Leben ohne Bedeutung, sind wir wie Fliegen, oder wie Gras, das heute wächst und blüht, aber morgen von der Sonne versengt welkt und verdorrt. Ohne Gott gibt es keine Gemeinschaft, ist Lust und Trieb der einzige Lebenszweck, ist der Tod das Siegel der Sinnlosigkeit und Bedeutungslosigkeit. Und gleichzeitig, gibt es einen Gott, so sind wir verantwortlich, müssen Antwort geben.«

      Mitten in diesem Gedankenspiel, das Terach seit Harans Tod immer öfter beschäftigte, bemerkte er Abram, der zu ihm gekommen war. »Wann ziehen wir denn weiter?« fragte er.

      »Ja, du hast Recht, lasst uns aufbrechen! Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.«

      Die nächsten Tage sollten tatsächlich ruhiger bleiben. Kurz hinter Babel trennte sich die Hauptstraße. Die nördliche Route führte nach Assyrien mit Assur und Ninive, immer entlang des nördlichen Ufers des Tigris, während die südlichere Route am Euphrat entlang westwärts zu den neuen Provinzen in Syrien, Libanon und Kanaan sowie zum nun verbündeten Hethiterreich führte. Terach folgte der südlichen Route. Nicht nur war es der Weg zu den neuen Provinzen, die ja sein Ziel waren, sondern auch, da der Tigris wegen der Regenfälle im Norden Hochwasser führte, und somit wegen der Stromschnellen ein Übersetzen in absehbarer Zeit nicht möglich schien. Die Flussbarken waren nicht besonders stark und man hätte unzählige Male hin und her übersetzen müssen, und auch das hätte noch gewaltige Risiken beinhaltet. Nein, die südliche Route war die bessere in dieser Jahreszeit. Ein Kaufmann aus Ugarit hatte Terach zudem von der Küste des Mittelmeeres berichtet, und den Möglichkeiten die sich dort boten. Ugarit hatte gerade einen neuen Hafen angelegt, und wandelte sich in eine neue Metropole für den Handel. Von einer fernen Insel namens Kreta wurden dort besonders hart gebrannte und glasierte Ton- und Töpferwaren in Massen eingeführt. Sie waren ein Verkaufsschlager. Terach hatte von den Seevölkern gehört, die unerschrocken mit Booten über das Meer segelten, in Hoffnung auf ganz neue Handelsmöglichkeiten. Die Abschiedsworte Nahors hallten noch in Terach nach, vielleicht waren Handel und Karawanen tatsächlich die Zukunft, und dann könnte eine Seeverbindung tatsächlich die Gewinne erst richtig in die Höhe treiben. Mesopotamien war vertraglich in ein neues Bündnis mit Chaldäa und den Hethitern getreten. Damit war der gesamte Bereich zwischen Mittelmeer und dem Golf geeint. Handel war nun über weite Entfernungen möglich und die Völker begannen, voneinander zu lernen. Man wusste ja noch so wenig von den fernen Ländern, und auf dem Seeweg waren Ägypten und Zypern, Attika, und Vorderasien viel sicherer und schneller zu erreichen als mit Karawanen.

      Die Landschaft wurde mit jeder Etappe abwechslungsreicher. Die weite, staubige und öde Ebene, die sich jenseits der grünen bewässerten Felder entlang des Euphrat ausbreitete, wich einer mehr hügeligen Landschaft mit niedriger Buschvegetation. Die Hirten mussten nun aufpassen, dass sie die Tiere zusammenhielten.

      Es war an einem Abend im Frühjahr, die Karawane war seit dem Aufbruch vor vier Monaten viele hundert Meilen in westlicher Richtung gezogen, als sie in einer Karawanserei eine Karawane trafen, die aus einer kleinen Provinzstadt namens Haraan kam. Noch nie hatte Terach von dieser Stadt gehört.

      »Haraan«, das klingt doch fast wie Haran, nur ein wenig schärfer gehaucht am Anfang, fast wie ein Ch-Laut, doch nicht ganz so scharf und die Betonung auf der gestreckten zweiten Silbe statt auf der ersten; und genau das hatte Haran immer gemacht, als er Sprechen lernte. Terach hörte mit einem Mal Harans Kinderstimme rufen: »Haraan auch haben! Haraan mitkommen! Haraan will auch …«

      »Haraan bietet große Möglichkeiten«, erzählte ihm der Karawanenführer Semech. »Die Stadt war einst sogar Königsstadt und hat gerade eine neue Mauer errichtet, um sich zu vergrößern. Die Grundstücke im neuen Bezirk sind groß geschnitten und ideal, um große Haushalte unterzubringen, und die Weidegründe liegen unmittelbar hinter der Mauer, so dass man die Herden schnell in die Stadt in Sicherheit bringen kann. Es liegt dicht an der Grenze zu den Hethitern, die nun Handel mit uns treiben wollen. Die nördliche Karawanenstraße führt an der Stadt vorbei bis ins fremde Indien und China. In unserer Sprache bedeutet Haraan, oder Ḫarranu, wie auch viele sagen, so viel wie Weg, Reise oder Karawane, denn dort kreuzen sich die Handelswege und viele kommen in die Stadt in der Hoffnung auf Handel. Für die meisten Karawanen ist es einfacher, immer die gleiche Strecke zu bedienen, die Waren dann umzuschlagen und mit anderer Ware nach Hause zu ziehen. So kennt man sich besser aus, und hat feste Partner, und ist nicht so lange von der Heimat und seiner Familie getrennt. Für die Händler in der Stadt ist das ein lukratives Geschäft. Die Stadtväter werden dich mit offenen Armen empfangen, sie brauchen dringend neue Investitionen und Männer mit Weitblick, und sagtest du nicht, dass du in Ur auch einen Haushalt hast? In Haraan ist auch ein Tempel für den gleichen Mondgott Sin, den Ihr in Ur habt. Schon seit vielen Hundert Jahren gilt dieser Tempel, wir nennen ihn Echulchul, das Haus das Freude schenkt, als die Wohnung des Sin auf Erden. Aber die Handelsmöglichkeiten alleine, das wäre doch ein idealer Handelsstützpunkt für einen Kaufmann aus Ur. Du solltest es zumindest in Betracht ziehen! Es ist eine goldene Gelegenheit.«

      ›Haraan – Haran - Haraan – Haran - Haraan – Haran - Haraan –


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