Der verborgene Erbe. Billy Remie

Der verborgene Erbe - Billy Remie


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Furcht empfinden.« Bellzazar schauderte. Obgleich er Hexen kein Vertrauen schenkte, wusste er jedoch um den Vorteil ihrer Magie.

      »Das beantwortet nicht die Frage, wo wir anfangen sollen, sie zu suchen, falls noch welche leben.«

      »Es gibt welche westlich des Gebirges, in den Wäldern der Schwarzfelsburg«, sagte Cohen plötzlich und stand auf. Er klopfte sich den Dreck von den Hosen, als er sich zu ihnen stellte und berichtete. »Sie nennen sich selbst den Hexenzirkel, und sagen für Opfergaben den Menschen ihre Schicksale voraus.«

      Desiderius und Bellzazar sahen sich an.

      Zazar zog die Augenbraune hoch. »Sieh mal einer an, dein Lustknabe ist ja tatsächlich zu mehr nütze, als dir den Schwanz zu streicheln.«

      »Genug«, warnte Desiderius nun ernst, »sonst werde ich wütend.« Es war eine Sache, wenn er selbst Cohen provozierte, denn Cohen wusste, dass er es niemals ernst meinte. Aber er würde nicht gestatten, das andere Cohen zu nahetraten.

      »Ich kann mich auch selbst verteidigen«, zischte Cohen ihn an.

      Seltsam, dabei war Desiderius doch gerade auf seiner Seite gewesen. Aber Cohen war mindestens halb so stolz wie er, weshalb es nicht leicht war, ihn in Schutz zu nehmen, ohne ihn zu beleidigen.

      Wie gesagt, Cohen war schwierig, aber genau deswegen liebte er ihn.

      Bellzazar hob beruhigend die Hände. »Cohen weiß doch, wie ich es meine.«

      Doch Cohen sah ihn ärgerlich an. »Weiß ich das?«

      »Nun gut«, unterbrach Desiderius das unnötige Verschwenden von Atemluft, er wollte jetzt zum wesentlichen Punkt kommen. »Und wie erreichen wir den Hexenzirkel, um mit ihnen reden zu können, ohne dass Rahff etwas davon mitbekommt?«

      »Wenn er sie nicht längst gefunden hat«, befürchtete Cohen.

      »Herr?«

      Sie drehten sich alle drei zu dem Mann um, der in Plattenrüstung in der Sonne stand, und sie dringlich anstarrte.

      Die Wache vom Tor sprach zu Desiderius: »Ein reiterloses Pferd vor den Toren, Herr. Wir dachten, das wollt Ihr selbst sehen.«

      »Das ist Wanderer«, seufzte Desiderius und winkte den Mann fort, »lasst ihn rein, er findet den Weg zu den Ställen selbst. Keine Sorge, er ist nicht wild.«

      Doch die Wache zögerte. »Vergebung, Herr, doch Wanderer ist uns wohl bekannt.

      Es ist ein hellbraunes Pferd, kräftig und schön. Ein Kaltblut. Es trägt das Brandzeichen der Schwarzfelsburg, Herr.«

      Cohen horchte sofort auf. »Ist es eine Stute?«

      Die Wache zuckte mit den Achseln. »Kann schon sein.«

      Bevor Desiderius begriff, was vor sich ging, eilte Cohen an ihm vorbei und ließ sie allesamt stehen.

      Fluchend, weil er nicht wusste, was eigentlich los war, eilte Desiderius Cohen nach. Bellzazar folgte ihnen auf dem Fuße.

      Je näher sie dem Tor kamen, je eiliger hatte es Cohen. Es wurde für Desiderius immer schwieriger, ihm zu folgen. Er bahnte sich mit Bellzazar im Schlepptau einen Weg durch die vielbeschäftigte Menge der Festungsbevölkerung. Knechte trugen Schwerter und Rüstungen vom Schmied und Schneider durch die Gegend. Bäuerinnen trugen überfüllte Eimer und Säcke mit Vorräten zu den Kasernen, wo sie für den Aufbruch aufgeteilt und verpackt wurden. Die wenigen Kinder, die Desiderius nur weiterhin duldete, weil sie die letzten Nachkommen seines Volkes waren, jagten Hunden hinterher, sodass sie geradezu gefährliche Stolperfallen bildeten. Desiderius fluchte verhalten, als er beinahe über einen Jungen fiel, der verschreckt von Dannen zog und von einer sicheren Ecke aus mit großen Augen zu ihm blickte, als erwartete er, Desiderius würde ihm nach eilen und im Genick packen um ihn zu rügen.

      »Du machst den Kindern Angst, mein Bruder«, lachte Bellzazar ihm ins Ohr.

      Desiderius konnte sich nicht damit aufhalten, er nickte dem Jungen zu, und hoffte, es würde reichen, ihn zu beruhigen. Dann versuchte er, Cohen wieder einzuholen, der sich gerade durch eine Wachpatrouille schob.

      »Cohen!« Desiderius eilte ihm nach, bahnte sich mit den Händen einen Weg durch die disziplinierten Wachen, die ihn erst ärgerlich ansahen, weil er ihre Schultern berührte, um sie auf die Seite zu schieben, jedoch aus dem Weg sprangen, als sie ihn erkannten, damit er ungehindert passieren konnte.

      Es gelang ihm, Cohen bis auf zehn Schritte einzuholen, dafür keuchte er allerdingst, weil sein Körper nicht für lange Laufereien durch die Mittagshitze gemacht war. »Cohen, warte! Was …«

      Kaum war das Tor in Sicht, rannte Cohen plötzlich los, als hätte jemand hilferufend seinen Namen geschrien.

      »Öffnet das Tor!«, rief er zu den Wällen hinauf, ehe Desiderius ihn aufhalten konnte. »Öffnet sofort das Tor!« Cohen warf sich dagegen. »Hört ihr nicht?«

      Keuchend – und seine schweren Muskeln verfluchend – kam Desiderius hinter Cohen an und trug den verwunderten Torwachen gelassen auf: »Öffnet das Tor.«

      Eine Welle der Bewegung ging durch die drei Wachen am Tor auf den Wällen. Umgehend gaben sie Befehle weiter, woraufhin sich knarrend die massiven, mit schwarzem Eisen verstärkten Tore öffneten.

      Desiderius fasste Cohen an der Schulter und musste ihn zurückziehen, damit er nicht von den sich langsam öffnenden Toren einfach Beiseite geschoben wurde.

      Er hielt Cohens zitternden, aufgewühlten Leib an den Schultern fest, während sie warteten.

      »Verrätst du mir, was hier los ist?«, fragte er Cohen ins Ohr. Er wusste nicht, was genau vor der Festung auf sie wartete, doch was es auch war, es war ihm fremd und konnte Cohen gefährlich werden. Deshalb hatte er an seiner Seite stehen wollen. Er würde Cohen nach der Sache, die vor einigen Wochen in der Nähe dieser Festung vorgefallen war, nie wieder irgendwo alleine hingehen lassen.

      Cohen schüttelte den Kopf, als wäre er zu aufgebracht, um eine Erklärung vorzubringen. Doch er versuchte es wenigstens: »Sie ist hier. Ich kann sie jetzt spüren.«

      »Wer?«, fragte Desiderius, darum bemüht, seine Ungeduld nicht erkennen zu lassen.

      »Galia!« Cohen rief das Wort nicht zur Antwort. Kaum hatte sich ein Spalt zwischen den Toren aufgetan, konnten sie das lange Pferdegesicht dazwischen erkennen, dass mindestens ebenso danach drängte, hineingelassen zu werden, wie Cohen hinauswollte.

      »Cohen, warte-«

      Aber er hatte sich bereits losgerissen und schlängelte sich mit klimpernder Kettenrüstung durch den Spalt. Herr und Tier fielen stürmisch übereinander her. Und wenn Desiderius daran dachte, welch tiefe Verbindung Luro zu seiner Nachtschattenkatze Marrah gehabt hatte, konnte er die Wiedersehensfreude sogar fast verstehen.

      Kopfschüttelnd lächelte er.

      »Darf ich dir einen Rat geben?« Bellzazar trat hinter ihn. Ihm war die Frechheit, die folgen würde, bereits in der Stimme anzuhören. »Du magst zwar dank deiner breiten Schultern und starken Arme ein großes Schwert führen können, doch wenn dich ein so kurzer Sprint bereits in Atemnot versetzt, sollten wir uns mal deiner Ausdauer zuwenden.«

      »Leck mich.«

      Bellzazar kicherte. »Gräme dich nicht. Du hast andere Qualitäten. Andererseits frage ich mich, ob du angesichts deiner geringen Ausdauer im Stande bist, einen Jungspund wie Cohen zu befriedigen.«

      »Immer wieder erstaunlich«, sagte Desiderius trocken, während er mit verschränkten Armen Cohen beobachtete, der die Arme um den Kopf der schönen braunen Stute schlang und die Wange an ihre Stirn lehnte. So glücklich sah man ihn selten lächeln, es erwärmte Desiderius das Herz.

      »Meine Unverfrorenheit?«, säuselte Bellzazar. Er hob eine Hand und fuhr mit einem Finger geradezu spielerisch über Desiderius‘ Nacken, um den Dreck zu entfernen, der noch von Cohens Wurfattacke übriggeblieben war.

      »Nein«, konterte Desiderius, »die Tatsache, wie sehr du auf mein Liebesleben fixiert


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